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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Preußen, wenn sie uns gleich gern das Unglück gönnten. Aber die wüßten
auch, was sie von den Preußen zu erwarten hätten, nämlich zehnmal so hohe
Steuern und zehn Jahre Kasernenzeit für ihre Söhne, für alle ohne Aus¬
nahme. Und die Pastoren könnten es sich an den Fingern ausrechnen, daß
dann die schönen Pfarrstellen im Lande von ausgehungerten Preußen besetzt
würden. Es nütze darum den Preußen nichts, die katholische Religion in
Deutschland ausrotten zu wollen, die Evangelischen in Schwaben wollten
dennoch nichts von ihnen wissen. Das beweise aber zur Genüge, welche Gäste
diese Preußen sein müßten. Um so mehr sollten wir Katholiken sie verab¬
scheuen und in inbrünstigen Gebet Gott um den Sieg unsrer Waffen bitten,
der übrigens gar nicht zweifelhaft sei; denn der Kampf sei zu ungleich, die
Übermacht zu sehr auf unsrer Seite: Sie müssen verlieren, die Preußen, es
ist nicht anders denkbar. Sie können schon deshalb nicht siegen, weil ihr Krieg
ungerecht ist, ein Krieg gegen deutsche Brüder, ein himmelschreiender Bruderkrieg!

Dann sprach er noch von einem Kreuzzug, einem heiligen Kreuzzug, was
ich nicht verstand.

So lang wie an diesem Sonntag hatte der Pfarrer Bartholomes noch
nie gepredigt, und doch war ihm dabei, vielleicht zum erstenmale, niemand
eingeschlafen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Akademisch. Die Kritik der "Jüngstdeutschen," wenn man angesichts des
rohen Absprechens und der hohlen Phraseologie dieser Litteraturapostel noch von
einer Kritik sprechen darf, hat die Wirkung gehabt, daß ein Teil unsrer Zeitungen
und sonstigen Tagesblätter mit dem Schlagwort "akademisch" um sich wirft, von
akademischer Poesie und akademischer Malerei spricht, womit alle nicht der modernsten
Richtung ungehörigen Schöpfungen bezeichnet und gebrnndmarkt werden sollen. In
dem vollen Bewußtsein, daß das Wort "akademisch" von alter Zeit her -- und
im ursprünglichen, eigentlichen Sinne des Worts mit gutem Recht -- einen schlimmen
Klang hat, daß es eine leblose, dem Zusammenhange mit der Natur entfremdete,
an die äußerliche Nachahmung äußerlich überlieferter Formen gebundne Kunst be¬
zeichnete, im Fanatismus für ein sogenannt Neues, was zwar nicht akademisch, aber
oft in der kläglichsten Weise konventionell erscheint, hauptsächlich doch wohl in be¬
liebter Gedankenlosigkeit wird die Beschuldigung, ein Werk, ein Talent, eine Rich¬
tung wären akademisch oder doch wenigstens akademisch angehaucht, Tag für Tag
gegen Leistungen und Bestrebungen ausgespielt, auf die es schlechter paßt, als die
Faust aufs Auge. Und jene angenehme Mehrheit unsers lesenden Publikums, die


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Preußen, wenn sie uns gleich gern das Unglück gönnten. Aber die wüßten
auch, was sie von den Preußen zu erwarten hätten, nämlich zehnmal so hohe
Steuern und zehn Jahre Kasernenzeit für ihre Söhne, für alle ohne Aus¬
nahme. Und die Pastoren könnten es sich an den Fingern ausrechnen, daß
dann die schönen Pfarrstellen im Lande von ausgehungerten Preußen besetzt
würden. Es nütze darum den Preußen nichts, die katholische Religion in
Deutschland ausrotten zu wollen, die Evangelischen in Schwaben wollten
dennoch nichts von ihnen wissen. Das beweise aber zur Genüge, welche Gäste
diese Preußen sein müßten. Um so mehr sollten wir Katholiken sie verab¬
scheuen und in inbrünstigen Gebet Gott um den Sieg unsrer Waffen bitten,
der übrigens gar nicht zweifelhaft sei; denn der Kampf sei zu ungleich, die
Übermacht zu sehr auf unsrer Seite: Sie müssen verlieren, die Preußen, es
ist nicht anders denkbar. Sie können schon deshalb nicht siegen, weil ihr Krieg
ungerecht ist, ein Krieg gegen deutsche Brüder, ein himmelschreiender Bruderkrieg!

Dann sprach er noch von einem Kreuzzug, einem heiligen Kreuzzug, was
ich nicht verstand.

So lang wie an diesem Sonntag hatte der Pfarrer Bartholomes noch
nie gepredigt, und doch war ihm dabei, vielleicht zum erstenmale, niemand
eingeschlafen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Akademisch. Die Kritik der „Jüngstdeutschen," wenn man angesichts des
rohen Absprechens und der hohlen Phraseologie dieser Litteraturapostel noch von
einer Kritik sprechen darf, hat die Wirkung gehabt, daß ein Teil unsrer Zeitungen
und sonstigen Tagesblätter mit dem Schlagwort „akademisch" um sich wirft, von
akademischer Poesie und akademischer Malerei spricht, womit alle nicht der modernsten
Richtung ungehörigen Schöpfungen bezeichnet und gebrnndmarkt werden sollen. In
dem vollen Bewußtsein, daß das Wort „akademisch" von alter Zeit her — und
im ursprünglichen, eigentlichen Sinne des Worts mit gutem Recht — einen schlimmen
Klang hat, daß es eine leblose, dem Zusammenhange mit der Natur entfremdete,
an die äußerliche Nachahmung äußerlich überlieferter Formen gebundne Kunst be¬
zeichnete, im Fanatismus für ein sogenannt Neues, was zwar nicht akademisch, aber
oft in der kläglichsten Weise konventionell erscheint, hauptsächlich doch wohl in be¬
liebter Gedankenlosigkeit wird die Beschuldigung, ein Werk, ein Talent, eine Rich¬
tung wären akademisch oder doch wenigstens akademisch angehaucht, Tag für Tag
gegen Leistungen und Bestrebungen ausgespielt, auf die es schlechter paßt, als die
Faust aufs Auge. Und jene angenehme Mehrheit unsers lesenden Publikums, die


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[0199] Maßgebliches und Unmaßgebliches Preußen, wenn sie uns gleich gern das Unglück gönnten. Aber die wüßten auch, was sie von den Preußen zu erwarten hätten, nämlich zehnmal so hohe Steuern und zehn Jahre Kasernenzeit für ihre Söhne, für alle ohne Aus¬ nahme. Und die Pastoren könnten es sich an den Fingern ausrechnen, daß dann die schönen Pfarrstellen im Lande von ausgehungerten Preußen besetzt würden. Es nütze darum den Preußen nichts, die katholische Religion in Deutschland ausrotten zu wollen, die Evangelischen in Schwaben wollten dennoch nichts von ihnen wissen. Das beweise aber zur Genüge, welche Gäste diese Preußen sein müßten. Um so mehr sollten wir Katholiken sie verab¬ scheuen und in inbrünstigen Gebet Gott um den Sieg unsrer Waffen bitten, der übrigens gar nicht zweifelhaft sei; denn der Kampf sei zu ungleich, die Übermacht zu sehr auf unsrer Seite: Sie müssen verlieren, die Preußen, es ist nicht anders denkbar. Sie können schon deshalb nicht siegen, weil ihr Krieg ungerecht ist, ein Krieg gegen deutsche Brüder, ein himmelschreiender Bruderkrieg! Dann sprach er noch von einem Kreuzzug, einem heiligen Kreuzzug, was ich nicht verstand. So lang wie an diesem Sonntag hatte der Pfarrer Bartholomes noch nie gepredigt, und doch war ihm dabei, vielleicht zum erstenmale, niemand eingeschlafen. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Akademisch. Die Kritik der „Jüngstdeutschen," wenn man angesichts des rohen Absprechens und der hohlen Phraseologie dieser Litteraturapostel noch von einer Kritik sprechen darf, hat die Wirkung gehabt, daß ein Teil unsrer Zeitungen und sonstigen Tagesblätter mit dem Schlagwort „akademisch" um sich wirft, von akademischer Poesie und akademischer Malerei spricht, womit alle nicht der modernsten Richtung ungehörigen Schöpfungen bezeichnet und gebrnndmarkt werden sollen. In dem vollen Bewußtsein, daß das Wort „akademisch" von alter Zeit her — und im ursprünglichen, eigentlichen Sinne des Worts mit gutem Recht — einen schlimmen Klang hat, daß es eine leblose, dem Zusammenhange mit der Natur entfremdete, an die äußerliche Nachahmung äußerlich überlieferter Formen gebundne Kunst be¬ zeichnete, im Fanatismus für ein sogenannt Neues, was zwar nicht akademisch, aber oft in der kläglichsten Weise konventionell erscheint, hauptsächlich doch wohl in be¬ liebter Gedankenlosigkeit wird die Beschuldigung, ein Werk, ein Talent, eine Rich¬ tung wären akademisch oder doch wenigstens akademisch angehaucht, Tag für Tag gegen Leistungen und Bestrebungen ausgespielt, auf die es schlechter paßt, als die Faust aufs Auge. Und jene angenehme Mehrheit unsers lesenden Publikums, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/199>, abgerufen am 05.01.2025.