Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Aus Goethes Todesjahr reinsten Dank zu zollen, und doch liefen, wie sich erraten läßt, einzelne Mensch¬ 1 Weimar, den 10 August 1832. Nach meiner Gewohnheit sauge ich schou heute einen Brief an Dich an, ge¬ Es gehet mir wohl und mehr uach Wunsch, als ich erwartet hatte; so daß Adressirt sind alle drei Briefe gleichmäßig: "Jhro Wohlgeb. der Frau Hofrcithiu
Rochlitz, geb. Hausen in Leipzig, Roßplatz, Schwarzes Roß." Es bedarf wohl nicht der Be¬ merkung, daß unter dem "Fürsten" und der "Fürstin" der regierende Großherzog Karl Friedrich und die Großherzogin Maria Paulowna von Sachsen-Weimar zu verstehen sind, daß "die Goethe" Frau Ottilie von Goethe, geborne von Pogwisch, die verwitwete Schwiegertochter des Dichters ist, und daß mit Müller der Kanzler Friedrich vou Müller gemeint ist. Aus Goethes Todesjahr reinsten Dank zu zollen, und doch liefen, wie sich erraten läßt, einzelne Mensch¬ 1 Weimar, den 10 August 1832. Nach meiner Gewohnheit sauge ich schou heute einen Brief an Dich an, ge¬ Es gehet mir wohl und mehr uach Wunsch, als ich erwartet hatte; so daß Adressirt sind alle drei Briefe gleichmäßig: „Jhro Wohlgeb. der Frau Hofrcithiu
Rochlitz, geb. Hausen in Leipzig, Roßplatz, Schwarzes Roß." Es bedarf wohl nicht der Be¬ merkung, daß unter dem „Fürsten" und der „Fürstin" der regierende Großherzog Karl Friedrich und die Großherzogin Maria Paulowna von Sachsen-Weimar zu verstehen sind, daß „die Goethe" Frau Ottilie von Goethe, geborne von Pogwisch, die verwitwete Schwiegertochter des Dichters ist, und daß mit Müller der Kanzler Friedrich vou Müller gemeint ist. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212651"/> <fw type="header" place="top"> Aus Goethes Todesjahr</fw><lb/> <p xml:id="ID_534" prev="#ID_533"> reinsten Dank zu zollen, und doch liefen, wie sich erraten läßt, einzelne Mensch¬<lb/> lichkeiten zwischendurch. Die Briefe lauten:*)</p><lb/> <div n="2"> <head> 1</head><lb/> <p xml:id="ID_535"> Weimar, den 10 August 1832.</p><lb/> <p xml:id="ID_536"> Nach meiner Gewohnheit sauge ich schou heute einen Brief an Dich an, ge¬<lb/> liebte Henriette, ohngeachtet er uicht eher abgehen soll, bis ich Nachricht von Dir<lb/> habe und kaum Etwas mit mir vorgefallen ist, was zu schreiben geeignet, will ich<lb/> nicht in lange Schilderungen dessen verfallen, was weit besser einer mündlichen<lb/> Unterhaltung aufgespart bleibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_537" next="#ID_538"> Es gehet mir wohl und mehr uach Wunsch, als ich erwartet hatte; so daß<lb/> ich durchaus über nichts zu klagen wüßte, als über das allerunterste Stückchen<lb/> meines ganzen Wesens. Daß ich hier in demselben Zimmer, des denselben dienst-<lb/> fertigen Leuten wohne, die meine Art längst kennen und wie ich die Einrichtung<lb/> schon längst ersonnen und in Uebung gebracht hatte: das ist schon eine Art guter<lb/> Grundlage meiner Existenz. So weit man häuslich leben kann außer dem Hanse,<lb/> so weit lebe ich hier häuslich. Freylich habe ich nur die ersten Morgenstunden<lb/> ganz und ini Stillen sür mich — von gegen 6 bis höchsteus 9 Uhr: dann geht<lb/> die Unruhe an und endet gewöhnlich erst in späteren Abendstunden. Das würde<lb/> mir nun ebeu recht seyn — denn es sind meist angenehme Unruhen — wenn ich<lb/> etwa 20 Jahre jünger wäre: so aber seufze ich doch zuweilen wie jener Hnns-<lb/> vater am Wochenbett: Herr, hör auf zu segnen! Doch magh recht heilsam seyn,<lb/> daß die alte stagnirende Masse einmal tüchtig umgerührt wird. Der Kanzler<lb/> von Müller thut, was er uur ersinnen kann, mir das Leben angenehm zu macheu.<lb/> Er widmet mir alle seine freye Zeit den ganzen Tag hindurch. Er thut bey<lb/> weitem zu viel, indem er den Maasstab von sich, in vollkräftigen Jahren und bey<lb/> immerwährender Thätigkeit nach außen, uicht aus der Hand zu legen vermag.<lb/> Seine Frau braucht eine Cur auf dem Guthe und kömmt uur von Zeit zu Zeit<lb/> zur Stadt. Anders und weit mehr mir, wie ich nun bin, angemessen, macheu es<lb/> die Hoheiten; denn da waltet und dirigirt eine Frau. Man überhäuft mich durch¬<lb/> aus nicht, läßt mir aber gerade das zukommen, was eben mir das Allerwertheste<lb/> seyn kann, ohne mir zugleich eine Last aufzubürden. Jedes Andere, woran ich<lb/> theilnehmen könnte, wird mir nnr gemeldet, und zwar — damit ich ganz uach<lb/> freyem Willen verfahre, nicht mir selbst Zwang auferlege — gleichsam blos durch<lb/> die dritte Hand, durch deu Ober-Hofmarschall, deu Kanzler und tgi. Davon wird<lb/> Vieles zu erzählen seyn. — Von Andern, die Dir bekannt wäre,:, weiß ich nur<lb/> die Frau von Goethe. Diese ist von Frankfurt zurück. Ich fand sie kränkelnd,<lb/> unzufrieden (wegen der nun begonnenen Auseinnndersetzungeu mit den Kindern,<lb/> wo sie sich durch das, was doch gar uicht anders sein kann, verletzt, zurückgesetzt<lb/> glaubt) und entschlösse», sich von Weimar wegzuwenden. Sie ist nun ebeu ein<lb/> vou klein an verwöhntes Kind; mag, wie alle solche, kein Gesetz anerkennen, als<lb/> das sie selbst gegeben oder doch zu geben Belieben tragen würde undsieht in</p><lb/> <note xml:id="FID_10" place="foot"> Adressirt sind alle drei Briefe gleichmäßig: „Jhro Wohlgeb. der Frau Hofrcithiu<lb/> Rochlitz, geb. Hausen in Leipzig, Roßplatz, Schwarzes Roß." Es bedarf wohl nicht der Be¬<lb/> merkung, daß unter dem „Fürsten" und der „Fürstin" der regierende Großherzog Karl Friedrich<lb/> und die Großherzogin Maria Paulowna von Sachsen-Weimar zu verstehen sind, daß „die<lb/> Goethe" Frau Ottilie von Goethe, geborne von Pogwisch, die verwitwete Schwiegertochter<lb/> des Dichters ist, und daß mit Müller der Kanzler Friedrich vou Müller gemeint ist.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0175]
Aus Goethes Todesjahr
reinsten Dank zu zollen, und doch liefen, wie sich erraten läßt, einzelne Mensch¬
lichkeiten zwischendurch. Die Briefe lauten:*)
1
Weimar, den 10 August 1832.
Nach meiner Gewohnheit sauge ich schou heute einen Brief an Dich an, ge¬
liebte Henriette, ohngeachtet er uicht eher abgehen soll, bis ich Nachricht von Dir
habe und kaum Etwas mit mir vorgefallen ist, was zu schreiben geeignet, will ich
nicht in lange Schilderungen dessen verfallen, was weit besser einer mündlichen
Unterhaltung aufgespart bleibt.
Es gehet mir wohl und mehr uach Wunsch, als ich erwartet hatte; so daß
ich durchaus über nichts zu klagen wüßte, als über das allerunterste Stückchen
meines ganzen Wesens. Daß ich hier in demselben Zimmer, des denselben dienst-
fertigen Leuten wohne, die meine Art längst kennen und wie ich die Einrichtung
schon längst ersonnen und in Uebung gebracht hatte: das ist schon eine Art guter
Grundlage meiner Existenz. So weit man häuslich leben kann außer dem Hanse,
so weit lebe ich hier häuslich. Freylich habe ich nur die ersten Morgenstunden
ganz und ini Stillen sür mich — von gegen 6 bis höchsteus 9 Uhr: dann geht
die Unruhe an und endet gewöhnlich erst in späteren Abendstunden. Das würde
mir nun ebeu recht seyn — denn es sind meist angenehme Unruhen — wenn ich
etwa 20 Jahre jünger wäre: so aber seufze ich doch zuweilen wie jener Hnns-
vater am Wochenbett: Herr, hör auf zu segnen! Doch magh recht heilsam seyn,
daß die alte stagnirende Masse einmal tüchtig umgerührt wird. Der Kanzler
von Müller thut, was er uur ersinnen kann, mir das Leben angenehm zu macheu.
Er widmet mir alle seine freye Zeit den ganzen Tag hindurch. Er thut bey
weitem zu viel, indem er den Maasstab von sich, in vollkräftigen Jahren und bey
immerwährender Thätigkeit nach außen, uicht aus der Hand zu legen vermag.
Seine Frau braucht eine Cur auf dem Guthe und kömmt uur von Zeit zu Zeit
zur Stadt. Anders und weit mehr mir, wie ich nun bin, angemessen, macheu es
die Hoheiten; denn da waltet und dirigirt eine Frau. Man überhäuft mich durch¬
aus nicht, läßt mir aber gerade das zukommen, was eben mir das Allerwertheste
seyn kann, ohne mir zugleich eine Last aufzubürden. Jedes Andere, woran ich
theilnehmen könnte, wird mir nnr gemeldet, und zwar — damit ich ganz uach
freyem Willen verfahre, nicht mir selbst Zwang auferlege — gleichsam blos durch
die dritte Hand, durch deu Ober-Hofmarschall, deu Kanzler und tgi. Davon wird
Vieles zu erzählen seyn. — Von Andern, die Dir bekannt wäre,:, weiß ich nur
die Frau von Goethe. Diese ist von Frankfurt zurück. Ich fand sie kränkelnd,
unzufrieden (wegen der nun begonnenen Auseinnndersetzungeu mit den Kindern,
wo sie sich durch das, was doch gar uicht anders sein kann, verletzt, zurückgesetzt
glaubt) und entschlösse», sich von Weimar wegzuwenden. Sie ist nun ebeu ein
vou klein an verwöhntes Kind; mag, wie alle solche, kein Gesetz anerkennen, als
das sie selbst gegeben oder doch zu geben Belieben tragen würde undsieht in
Adressirt sind alle drei Briefe gleichmäßig: „Jhro Wohlgeb. der Frau Hofrcithiu
Rochlitz, geb. Hausen in Leipzig, Roßplatz, Schwarzes Roß." Es bedarf wohl nicht der Be¬
merkung, daß unter dem „Fürsten" und der „Fürstin" der regierende Großherzog Karl Friedrich
und die Großherzogin Maria Paulowna von Sachsen-Weimar zu verstehen sind, daß „die
Goethe" Frau Ottilie von Goethe, geborne von Pogwisch, die verwitwete Schwiegertochter
des Dichters ist, und daß mit Müller der Kanzler Friedrich vou Müller gemeint ist.
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