Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches natürlich die Einseitigkeiten, Übertreibungen und Verdrehungen von Thatsachen nicht, Biologie in der Schule. Erst jetzt ist uns der Bericht über eine vor¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches natürlich die Einseitigkeiten, Übertreibungen und Verdrehungen von Thatsachen nicht, Biologie in der Schule. Erst jetzt ist uns der Bericht über eine vor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212626"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> natürlich die Einseitigkeiten, Übertreibungen und Verdrehungen von Thatsachen nicht,<lb/> woran Nietzsches Schriften nach den Proben, die wir davon kennen, reich zu sein<lb/> scheinen. Die Art und Weise z. B., wie er den guten Sokrates schlecht macht,<lb/> läßt mehr auf leidenschaftliches Vorurteil und Liebe zum Paradoxen, als auf Liebe<lb/> zur Wahrheit schließen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Biologie in der Schule.</head> <p xml:id="ID_459" next="#ID_460"> Erst jetzt ist uns der Bericht über eine vor¬<lb/> jährige Vereinsgründnug in die Hände gefallen, die einigermaßen das allgemeine<lb/> Interesse berührt. In einer am ö. und 6. Oktober 1891 zu Braunschweig ab-<lb/> gehaltnen Versammlung haben Lehrer einen „Verein zur Forderung des Unterrichts<lb/> in der Mathematik und in den Naturwissenschaften" gegründet. Der Bericht darüber<lb/> ist im Pädagogischen Archiv veröffentlicht worden und im Sonderabdrnck bei<lb/> Herrcke und Lebeling in Stettin erschienen. Der einleitende Vortrag des Herrn<lb/> Krumme bewegte sich günz in jenen Gedankenreihen und Redensarten Prehers, die<lb/> wir im ersten Vierteljahre des Jahrgangs 1890. S. 100 — 104 einer kurzen Kritik<lb/> unterzogen haben, die gelegentlich einmal zu vervollständigen vielleicht nicht schaden<lb/> könnte. Heute lassen wir uns darauf uicht ein, sondern bemerken nur, daß nicht<lb/> die vielgeschvltnen alten Sprachen daran schuld sind, wenn, wie auf S. 8 erzählt<lb/> wird, in den Berliner Neuesten Nachrichten irgend ein Esel den Satz schreibt:<lb/> „aus dieser Pendelbewegung der Erde gegen die Sonne ist ja auch Sommer und<lb/> Winter zu erklären," und wenn sich Redaktion und Leser dergleichen Unsinn ge¬<lb/> fallen lassen. Wie die Jahreszeiten entstehen, das erfahren die Kinder in jeder<lb/> Elementarschule. Wenn nun trotzdem auch viele der sogenannten Gebildeten solche<lb/> einfache Dinge nicht wissen, so sieht man daraus, wie unzweckmäßig unser ganzes<lb/> Schulwesen eingerichtet ist, und daß, je mehr Wissensstoff die Spezialisten auf¬<lb/> häufen, die Unwissenheit der Durchschnittsiucuscheu desto ärger wird. Gründliches,<lb/> festes, klares Wissen ist bei der beschränkten Verslandeskraft des Durchschnitts¬<lb/> menschen nnr durch Beschränkung ans eine kleine Menge ausgewählten Stoffs zu<lb/> erreichen; die Vielwisserei, Vielschreiberei und Vielleserei unsrer Zeit muß daher<lb/> notwendig Oberflächlichkeit, Unklarheit und Verwirrung erzeugen, nicht bloß in den<lb/> Naturwissenschaften, sondern in allen Gebieten des Wissens. Die Zeitungsschreiber<lb/> müssen, um leben zu können, Tag für Tag so und so viel Seiten zusammen¬<lb/> schmieren, wie könnten sie jeden Satz überlegen, jedesmal, wo ihnen etwas unklar<lb/> ist, ein Buch nachschlagen oder einen Sachkenner befragen? Zudem haben viele<lb/> von ihnen angefangen, sich mit Schreiben ihr Brot zu verdienen, ehe sie noch<lb/> etwas ordentliches gelernt hatten, und bei der ewigen Schreiberei bleibt ihnen keine<lb/> Zeit, die Lücken ihres Wissens auszufüllen, das Gelernte durch Wiederhole» zu<lb/> befestigen. Die Redakteure sodann haben wieder keine Zeit, alles Eingesandte zu<lb/> prüfen, und schließlich sagen sich Einsender wie Redakteur, daß es Luxus wäre,<lb/> große Mühe und Sorgfalt ans das Zeug zu verwenden, das ja doch nur von<lb/> Leuten, die ebenso oberflächlich sind wie sie selbst, gedankenlos verschlungen wird.<lb/> Ob selbst der beste Unterricht dieser Zerfahrenheit, die eine Wirkung des moderne»<lb/> Lebens ist, steuern könnte, bleibt vor der Hand zweifelhaft. Natürlich ist nicht<lb/> das geringste dagegen einzuwenden , sondern es verdient vielmehr alles Lob, wenn<lb/> sich die Lehrer jedes Fachs bemühen, den Unterricht in diesem ihrem Fach so gut<lb/> und frilchtreich wie möglich zu gestalten. Darauf will ja Wohl auch der neu-<lb/> gegründete Verein hinwirken, und zu diesem Zweck haben seine einzelnen Abtei¬<lb/> lungen eine Reihe von Vorschlägen und Forderungen aufgestellt, die zu prüfen<lb/> uns die Sachkenntnis fehlt. Nur eine dieser Forderungen möchten wir ein</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
natürlich die Einseitigkeiten, Übertreibungen und Verdrehungen von Thatsachen nicht,
woran Nietzsches Schriften nach den Proben, die wir davon kennen, reich zu sein
scheinen. Die Art und Weise z. B., wie er den guten Sokrates schlecht macht,
läßt mehr auf leidenschaftliches Vorurteil und Liebe zum Paradoxen, als auf Liebe
zur Wahrheit schließen.
Biologie in der Schule. Erst jetzt ist uns der Bericht über eine vor¬
jährige Vereinsgründnug in die Hände gefallen, die einigermaßen das allgemeine
Interesse berührt. In einer am ö. und 6. Oktober 1891 zu Braunschweig ab-
gehaltnen Versammlung haben Lehrer einen „Verein zur Forderung des Unterrichts
in der Mathematik und in den Naturwissenschaften" gegründet. Der Bericht darüber
ist im Pädagogischen Archiv veröffentlicht worden und im Sonderabdrnck bei
Herrcke und Lebeling in Stettin erschienen. Der einleitende Vortrag des Herrn
Krumme bewegte sich günz in jenen Gedankenreihen und Redensarten Prehers, die
wir im ersten Vierteljahre des Jahrgangs 1890. S. 100 — 104 einer kurzen Kritik
unterzogen haben, die gelegentlich einmal zu vervollständigen vielleicht nicht schaden
könnte. Heute lassen wir uns darauf uicht ein, sondern bemerken nur, daß nicht
die vielgeschvltnen alten Sprachen daran schuld sind, wenn, wie auf S. 8 erzählt
wird, in den Berliner Neuesten Nachrichten irgend ein Esel den Satz schreibt:
„aus dieser Pendelbewegung der Erde gegen die Sonne ist ja auch Sommer und
Winter zu erklären," und wenn sich Redaktion und Leser dergleichen Unsinn ge¬
fallen lassen. Wie die Jahreszeiten entstehen, das erfahren die Kinder in jeder
Elementarschule. Wenn nun trotzdem auch viele der sogenannten Gebildeten solche
einfache Dinge nicht wissen, so sieht man daraus, wie unzweckmäßig unser ganzes
Schulwesen eingerichtet ist, und daß, je mehr Wissensstoff die Spezialisten auf¬
häufen, die Unwissenheit der Durchschnittsiucuscheu desto ärger wird. Gründliches,
festes, klares Wissen ist bei der beschränkten Verslandeskraft des Durchschnitts¬
menschen nnr durch Beschränkung ans eine kleine Menge ausgewählten Stoffs zu
erreichen; die Vielwisserei, Vielschreiberei und Vielleserei unsrer Zeit muß daher
notwendig Oberflächlichkeit, Unklarheit und Verwirrung erzeugen, nicht bloß in den
Naturwissenschaften, sondern in allen Gebieten des Wissens. Die Zeitungsschreiber
müssen, um leben zu können, Tag für Tag so und so viel Seiten zusammen¬
schmieren, wie könnten sie jeden Satz überlegen, jedesmal, wo ihnen etwas unklar
ist, ein Buch nachschlagen oder einen Sachkenner befragen? Zudem haben viele
von ihnen angefangen, sich mit Schreiben ihr Brot zu verdienen, ehe sie noch
etwas ordentliches gelernt hatten, und bei der ewigen Schreiberei bleibt ihnen keine
Zeit, die Lücken ihres Wissens auszufüllen, das Gelernte durch Wiederhole» zu
befestigen. Die Redakteure sodann haben wieder keine Zeit, alles Eingesandte zu
prüfen, und schließlich sagen sich Einsender wie Redakteur, daß es Luxus wäre,
große Mühe und Sorgfalt ans das Zeug zu verwenden, das ja doch nur von
Leuten, die ebenso oberflächlich sind wie sie selbst, gedankenlos verschlungen wird.
Ob selbst der beste Unterricht dieser Zerfahrenheit, die eine Wirkung des moderne»
Lebens ist, steuern könnte, bleibt vor der Hand zweifelhaft. Natürlich ist nicht
das geringste dagegen einzuwenden , sondern es verdient vielmehr alles Lob, wenn
sich die Lehrer jedes Fachs bemühen, den Unterricht in diesem ihrem Fach so gut
und frilchtreich wie möglich zu gestalten. Darauf will ja Wohl auch der neu-
gegründete Verein hinwirken, und zu diesem Zweck haben seine einzelnen Abtei¬
lungen eine Reihe von Vorschlägen und Forderungen aufgestellt, die zu prüfen
uns die Sachkenntnis fehlt. Nur eine dieser Forderungen möchten wir ein
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