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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lhina und das Abendland

Kummers und des Elends, die er verursacht hat; sei" Maß war voll, und
der Grimm von Göttern und Menschen hatte sich gegen ihn erhoben.

So endete der chinesische Thomas Münzer. Noch jetzt sind trotz der
großen Betriebsamkeit des Volks die fürchterlichen Spuren seines Wirkens
nicht verwischt. Wer von Shanghai aus den Mngtzekiang hinausfährt, erblickt
etwas oberhalb von Tschinkiang auf einem in den gewaltigen Strom vor¬
springende"? Felsenkegel in wunderschöner Lage ein mächtiges Bauwerk, das
wie eine Pagode aussieht, und doch wieder nicht wie eine Pagode. Das ist
Golden Island, eine frühere Insel. Die Pagode da oben zeigt noch deutlich
die Spuren davon, wie die Taipings hier gewütet haben: alle Verzierungen
sind weggebrochen, aber das starke Mauerwerk hat ihrem Feuer und Eisen
widerstanden. So ist ein weit in der Umgegend sichtbares Wahrzeichen stehen
geblieben, das noch heute von der grauenhaften Verwüstung erzählt, die der
himmlische König aus der großen Friedeusdynastie angerichtet hat. "Die
vorher von einer friedfertigen Bevölkerung dicht bewohnten Teile der neun
Provinzen -- sagt Williams --, wo seine Horden hindurchzogen, haben sich noch
immer uicht wieder völlig erholt. Zerstörte Städte, verlaßne Ortschaften und
große Haufen von allerhand Schutt zeigen noch jetzt auf einer Strecke von
zweitausend englischen Meilen den Weg, den sie von Süden nach Norden
zurückgelegt haben. Ihre Gegenwart war eine Gottesgeißel mit schrecklichsten
Unheil im Gefolge; sie machten nicht den geringsten Versuch, das, was zer¬
stört worden war, wieder aufzubauen. Wilde Tiere streiften durch die ver¬
wüsteten Landesteile und suchten sich Höhlen in den verödeten Städten. Wo
sonst das Getreide des fleißigen Volkes zu hören war, schwirrte nun der
scheue Fasan, und Unkraut oder Dschungeln bedeckten den Boden, den einst
der geduldige Bauer bestellt hatte. Volle zwanzig Millionen Menschen müssen
bei dem Aufruhr umgekommen sein, während ungezählte weitere Millionen
auf Jahre hinaus ein elendes Dasein zu fristen hatten."


5

Ein aufmerksamer Beobachter wird aber auch hier die alte Regel bestätigt
finden, daß selbst das größte menschliche Elend immer irgend eine gute Folge
hat. So grauenhaft auch die Verwüstungen in den durch die Empörung be-
trofsuen Provinzen waren, und so sehr die Regierung darum wünschen mußte,
deu Aufstand rasch zu unterdrücken, so war doch für sie das Verlangen, das
die zu derselben Zeit wieder andrängenden äußern Feinde stellten, noch weit
schrecklicher als der ganze Aufruhr. Und was war das für ein unerhörtes
Verlangen? Nun, die unbequemen Ausländer erdreisteten sich wahrhaftig,
das seit Jahrtausenden gewahrte Vorrecht der Herrscher in Peking, mit den
draußen wohnenden Barbaren nur ganz nach eignem Ermessen und Beliebe"
zu verkehren, ernstlich in Frage zu stellen. So etwas war doch noch nicht


Lhina und das Abendland

Kummers und des Elends, die er verursacht hat; sei» Maß war voll, und
der Grimm von Göttern und Menschen hatte sich gegen ihn erhoben.

So endete der chinesische Thomas Münzer. Noch jetzt sind trotz der
großen Betriebsamkeit des Volks die fürchterlichen Spuren seines Wirkens
nicht verwischt. Wer von Shanghai aus den Mngtzekiang hinausfährt, erblickt
etwas oberhalb von Tschinkiang auf einem in den gewaltigen Strom vor¬
springende«? Felsenkegel in wunderschöner Lage ein mächtiges Bauwerk, das
wie eine Pagode aussieht, und doch wieder nicht wie eine Pagode. Das ist
Golden Island, eine frühere Insel. Die Pagode da oben zeigt noch deutlich
die Spuren davon, wie die Taipings hier gewütet haben: alle Verzierungen
sind weggebrochen, aber das starke Mauerwerk hat ihrem Feuer und Eisen
widerstanden. So ist ein weit in der Umgegend sichtbares Wahrzeichen stehen
geblieben, das noch heute von der grauenhaften Verwüstung erzählt, die der
himmlische König aus der großen Friedeusdynastie angerichtet hat. „Die
vorher von einer friedfertigen Bevölkerung dicht bewohnten Teile der neun
Provinzen — sagt Williams —, wo seine Horden hindurchzogen, haben sich noch
immer uicht wieder völlig erholt. Zerstörte Städte, verlaßne Ortschaften und
große Haufen von allerhand Schutt zeigen noch jetzt auf einer Strecke von
zweitausend englischen Meilen den Weg, den sie von Süden nach Norden
zurückgelegt haben. Ihre Gegenwart war eine Gottesgeißel mit schrecklichsten
Unheil im Gefolge; sie machten nicht den geringsten Versuch, das, was zer¬
stört worden war, wieder aufzubauen. Wilde Tiere streiften durch die ver¬
wüsteten Landesteile und suchten sich Höhlen in den verödeten Städten. Wo
sonst das Getreide des fleißigen Volkes zu hören war, schwirrte nun der
scheue Fasan, und Unkraut oder Dschungeln bedeckten den Boden, den einst
der geduldige Bauer bestellt hatte. Volle zwanzig Millionen Menschen müssen
bei dem Aufruhr umgekommen sein, während ungezählte weitere Millionen
auf Jahre hinaus ein elendes Dasein zu fristen hatten."


5

Ein aufmerksamer Beobachter wird aber auch hier die alte Regel bestätigt
finden, daß selbst das größte menschliche Elend immer irgend eine gute Folge
hat. So grauenhaft auch die Verwüstungen in den durch die Empörung be-
trofsuen Provinzen waren, und so sehr die Regierung darum wünschen mußte,
deu Aufstand rasch zu unterdrücken, so war doch für sie das Verlangen, das
die zu derselben Zeit wieder andrängenden äußern Feinde stellten, noch weit
schrecklicher als der ganze Aufruhr. Und was war das für ein unerhörtes
Verlangen? Nun, die unbequemen Ausländer erdreisteten sich wahrhaftig,
das seit Jahrtausenden gewahrte Vorrecht der Herrscher in Peking, mit den
draußen wohnenden Barbaren nur ganz nach eignem Ermessen und Beliebe»
zu verkehren, ernstlich in Frage zu stellen. So etwas war doch noch nicht


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[0122] Lhina und das Abendland Kummers und des Elends, die er verursacht hat; sei» Maß war voll, und der Grimm von Göttern und Menschen hatte sich gegen ihn erhoben. So endete der chinesische Thomas Münzer. Noch jetzt sind trotz der großen Betriebsamkeit des Volks die fürchterlichen Spuren seines Wirkens nicht verwischt. Wer von Shanghai aus den Mngtzekiang hinausfährt, erblickt etwas oberhalb von Tschinkiang auf einem in den gewaltigen Strom vor¬ springende«? Felsenkegel in wunderschöner Lage ein mächtiges Bauwerk, das wie eine Pagode aussieht, und doch wieder nicht wie eine Pagode. Das ist Golden Island, eine frühere Insel. Die Pagode da oben zeigt noch deutlich die Spuren davon, wie die Taipings hier gewütet haben: alle Verzierungen sind weggebrochen, aber das starke Mauerwerk hat ihrem Feuer und Eisen widerstanden. So ist ein weit in der Umgegend sichtbares Wahrzeichen stehen geblieben, das noch heute von der grauenhaften Verwüstung erzählt, die der himmlische König aus der großen Friedeusdynastie angerichtet hat. „Die vorher von einer friedfertigen Bevölkerung dicht bewohnten Teile der neun Provinzen — sagt Williams —, wo seine Horden hindurchzogen, haben sich noch immer uicht wieder völlig erholt. Zerstörte Städte, verlaßne Ortschaften und große Haufen von allerhand Schutt zeigen noch jetzt auf einer Strecke von zweitausend englischen Meilen den Weg, den sie von Süden nach Norden zurückgelegt haben. Ihre Gegenwart war eine Gottesgeißel mit schrecklichsten Unheil im Gefolge; sie machten nicht den geringsten Versuch, das, was zer¬ stört worden war, wieder aufzubauen. Wilde Tiere streiften durch die ver¬ wüsteten Landesteile und suchten sich Höhlen in den verödeten Städten. Wo sonst das Getreide des fleißigen Volkes zu hören war, schwirrte nun der scheue Fasan, und Unkraut oder Dschungeln bedeckten den Boden, den einst der geduldige Bauer bestellt hatte. Volle zwanzig Millionen Menschen müssen bei dem Aufruhr umgekommen sein, während ungezählte weitere Millionen auf Jahre hinaus ein elendes Dasein zu fristen hatten." 5 Ein aufmerksamer Beobachter wird aber auch hier die alte Regel bestätigt finden, daß selbst das größte menschliche Elend immer irgend eine gute Folge hat. So grauenhaft auch die Verwüstungen in den durch die Empörung be- trofsuen Provinzen waren, und so sehr die Regierung darum wünschen mußte, deu Aufstand rasch zu unterdrücken, so war doch für sie das Verlangen, das die zu derselben Zeit wieder andrängenden äußern Feinde stellten, noch weit schrecklicher als der ganze Aufruhr. Und was war das für ein unerhörtes Verlangen? Nun, die unbequemen Ausländer erdreisteten sich wahrhaftig, das seit Jahrtausenden gewahrte Vorrecht der Herrscher in Peking, mit den draußen wohnenden Barbaren nur ganz nach eignem Ermessen und Beliebe» zu verkehren, ernstlich in Frage zu stellen. So etwas war doch noch nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/122>, abgerufen am 05.01.2025.