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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die kritische Schreckensherrschaft

Bedankt man, daß nach diesem Vorschlage weit über tausend Assessoren als
AmtSanwälte ausreichende Thätigkeit und mich allenfalls genügende Bezahlung
erhalten würden, so dürfte anzuerkennen sein, daß mit einer derartigen Neue¬
rung einem vielbeklagten Notstände wesentlich abgeholfen sein würde. Bei
großem Sinken der Assessvrenzahl (wenn es wirklich trotz eines solchen Ver¬
zichts ans alle "Abschrecknngsmnßregeln" eintreten sollte) würde es, wie schon
erwähnt, stets möglich sein, in geeigneten Fällen auf Referendare, übrigens
aber auf die Vorsteher der Gemeindeverwaltungen oder andre geeignete Per¬
sönlichkeiten (die sich trotz der vermehrten Thätigkeit der Amtsanwälte wegen
der verbesserten Bezüge leicht finden würden) zeitweilig zurückzugreifen. Zum
Schluß sei noch bemerkt, daß das Umgekehrte, ein noch höheres Anwachsen
der Assessorenzahl, bei dem auch die vorgeschlagne Neueinrichtung keinen ge¬
nügenden Schutz vor der Wiederkehr des "unbesoldeten" böte, nicht gerade
wahrscheinlich ist, weil die 150 Mark Monatsgehalt immerhin kein allzugroßes
Lockmittel sein würden, namentlich wenn ein langjähriges Verweilen in solchem
Gehaltssatze drohte. Sollte dennoch ein solch.es Wachstum eintreten, so würde
die Staatsregierung doch das Bewußtsein haben, wenigstens das Mögliche
gethan zu haben, und dann vielleicht darauf verzichten, von Beamten, die
der Staat nicht bezahlen kann, Dienste zu fordern.




Die kritische Schreckensherrschaft

n diesem und dem folgenden Jahre können Leute, denen daran
liegt, die Sükularfcier der glorreichen Schreckensherrschaft in
Frankreich begehen und die wüste Orgie von blutigen Greueln,
sinnloser Wüterei und schmutziger Narrheit zum tausendstenmale
als "historische Notwendigkeit" erweisen und verkaufen. Im
ganzen werden sie nichts mehr an der Erkenntnis ändern, daß der vielver¬
herrlichte Schrecken, samt Wohlfahrtsausschuß, Revolutionstribunal und Guil¬
lotine, die brutalste Vergewaltigung der ungeheuern Mehrheit eines Volkes
durch eine Rotte kurzsichtiger Fanatiker und ruchloser Gesellen, ein hirn¬
loser wilder Wutlauf aller niedrigen Instinkte gewesen ist, bei dem nnr das
eine erstaunlich bleibt, daß er zwei Jahre ertragen wurde. Die Starrkrampf^
ähnliche Hilflosigkeit der Millionen gegenüber der frechsten Tyrannei weniger
Tausende bleibt nach allen Erklärungsversuchen ein psychologisches Rätsel,


Die kritische Schreckensherrschaft

Bedankt man, daß nach diesem Vorschlage weit über tausend Assessoren als
AmtSanwälte ausreichende Thätigkeit und mich allenfalls genügende Bezahlung
erhalten würden, so dürfte anzuerkennen sein, daß mit einer derartigen Neue¬
rung einem vielbeklagten Notstände wesentlich abgeholfen sein würde. Bei
großem Sinken der Assessvrenzahl (wenn es wirklich trotz eines solchen Ver¬
zichts ans alle „Abschrecknngsmnßregeln" eintreten sollte) würde es, wie schon
erwähnt, stets möglich sein, in geeigneten Fällen auf Referendare, übrigens
aber auf die Vorsteher der Gemeindeverwaltungen oder andre geeignete Per¬
sönlichkeiten (die sich trotz der vermehrten Thätigkeit der Amtsanwälte wegen
der verbesserten Bezüge leicht finden würden) zeitweilig zurückzugreifen. Zum
Schluß sei noch bemerkt, daß das Umgekehrte, ein noch höheres Anwachsen
der Assessorenzahl, bei dem auch die vorgeschlagne Neueinrichtung keinen ge¬
nügenden Schutz vor der Wiederkehr des „unbesoldeten" böte, nicht gerade
wahrscheinlich ist, weil die 150 Mark Monatsgehalt immerhin kein allzugroßes
Lockmittel sein würden, namentlich wenn ein langjähriges Verweilen in solchem
Gehaltssatze drohte. Sollte dennoch ein solch.es Wachstum eintreten, so würde
die Staatsregierung doch das Bewußtsein haben, wenigstens das Mögliche
gethan zu haben, und dann vielleicht darauf verzichten, von Beamten, die
der Staat nicht bezahlen kann, Dienste zu fordern.




Die kritische Schreckensherrschaft

n diesem und dem folgenden Jahre können Leute, denen daran
liegt, die Sükularfcier der glorreichen Schreckensherrschaft in
Frankreich begehen und die wüste Orgie von blutigen Greueln,
sinnloser Wüterei und schmutziger Narrheit zum tausendstenmale
als „historische Notwendigkeit" erweisen und verkaufen. Im
ganzen werden sie nichts mehr an der Erkenntnis ändern, daß der vielver¬
herrlichte Schrecken, samt Wohlfahrtsausschuß, Revolutionstribunal und Guil¬
lotine, die brutalste Vergewaltigung der ungeheuern Mehrheit eines Volkes
durch eine Rotte kurzsichtiger Fanatiker und ruchloser Gesellen, ein hirn¬
loser wilder Wutlauf aller niedrigen Instinkte gewesen ist, bei dem nnr das
eine erstaunlich bleibt, daß er zwei Jahre ertragen wurde. Die Starrkrampf^
ähnliche Hilflosigkeit der Millionen gegenüber der frechsten Tyrannei weniger
Tausende bleibt nach allen Erklärungsversuchen ein psychologisches Rätsel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/240>, abgerufen am 23.07.2024.