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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur Entwicklungsgeschichte des deutschen
Katholizismus

rvfefsor Nensch, der Unermüdliche, hat nun noch eine Anzahl
von Arbeiten seines verewigten großen Freundes in einen Band
zusammengefaßt, die teils nur in Zeitungen veröffentlicht worden,
also uicht mehr allgemein zugänglich waren, teils überhaupt
noch nicht gedruckt worden waren.Dies letzte gilt von dreien;
es sind dies die Aufsätze: Die Speicrische Seminarfrage und der Syllabus,
Geschichtliche 'Übersicht des Konzils von Trient und Pius IX. Die Biographie
dieses Papstes wurde nach seinem Tode begonnen und ist unvollendet liegen
geblieben. Dn der Zeitraum, in den die Abfassung dieser Aufsätze fällt, die
dreißig Jahre von 1848 bis 1878 umfaßt, so können wir darin, und das ist
das Interessante daran, den Fortschritt Döllingers von der römisch-katholischen
zur freien Protestantischen Auffassung der Welt- und Kirchengeschichte einiger¬
maßen verfolgen. Die Tiefe seiner Gedankenwerkstatt allerdings wird uns
auch hier n^de enthüllt; weder erfahren wir etwas von den Seelenkämpfen,
die ihm das Wachstum seiner historischen Einsicht verursacht haben muß, noch
erhalten wir Aufschluß über das Glaubenssystem, das er sich mich dem Zu-
sammenbruch der geschichtlichen Grundlage seines frühern aufgebaut haben mag.
Soweit aber daraus die Entwicklung Döllingers zu erkennen ist, gewährt sie
uns zugleich einen Einblick in die Ansichten und Stimmungen der großen
Masse seiner Glaubensgenossen und lehrt uus einigermaßen begreifen, wie es
kam, daß diese den entgegengesetzten Weg einschlugen.

Die erste Abteilung enthält Reden und Gutachten ans der Zeit des
Nvlkerfrühliugs von 1848, der auch für die katholische Kirche ein Frühling
war und für sie bedeutend länger anhielt, als für die Völker. Sie sind, wie
man sich denken kaun, von der gehobensten Stimmung erfüllt. Mit den



Kleinere Schriften, gedruckte und ""gedruckte von Joh. Jos. Jgn. von Dol-
Unger. Gesammelt und herausgegeben von F. H. Reusch. Stuttgart, I. G. Cölln, 18S0.
Bet dieser Gelegenheit empfehlen wir zugleich die vou Professor I. Friedrich veranstaltete
und ebenfalls im vorigen Jahre bei Cotta erschienene neue Ausgabe von Döllingers "Papst-
Fabeln."


Zur Entwicklungsgeschichte des deutschen
Katholizismus

rvfefsor Nensch, der Unermüdliche, hat nun noch eine Anzahl
von Arbeiten seines verewigten großen Freundes in einen Band
zusammengefaßt, die teils nur in Zeitungen veröffentlicht worden,
also uicht mehr allgemein zugänglich waren, teils überhaupt
noch nicht gedruckt worden waren.Dies letzte gilt von dreien;
es sind dies die Aufsätze: Die Speicrische Seminarfrage und der Syllabus,
Geschichtliche 'Übersicht des Konzils von Trient und Pius IX. Die Biographie
dieses Papstes wurde nach seinem Tode begonnen und ist unvollendet liegen
geblieben. Dn der Zeitraum, in den die Abfassung dieser Aufsätze fällt, die
dreißig Jahre von 1848 bis 1878 umfaßt, so können wir darin, und das ist
das Interessante daran, den Fortschritt Döllingers von der römisch-katholischen
zur freien Protestantischen Auffassung der Welt- und Kirchengeschichte einiger¬
maßen verfolgen. Die Tiefe seiner Gedankenwerkstatt allerdings wird uns
auch hier n^de enthüllt; weder erfahren wir etwas von den Seelenkämpfen,
die ihm das Wachstum seiner historischen Einsicht verursacht haben muß, noch
erhalten wir Aufschluß über das Glaubenssystem, das er sich mich dem Zu-
sammenbruch der geschichtlichen Grundlage seines frühern aufgebaut haben mag.
Soweit aber daraus die Entwicklung Döllingers zu erkennen ist, gewährt sie
uns zugleich einen Einblick in die Ansichten und Stimmungen der großen
Masse seiner Glaubensgenossen und lehrt uus einigermaßen begreifen, wie es
kam, daß diese den entgegengesetzten Weg einschlugen.

Die erste Abteilung enthält Reden und Gutachten ans der Zeit des
Nvlkerfrühliugs von 1848, der auch für die katholische Kirche ein Frühling
war und für sie bedeutend länger anhielt, als für die Völker. Sie sind, wie
man sich denken kaun, von der gehobensten Stimmung erfüllt. Mit den



Kleinere Schriften, gedruckte und »»gedruckte von Joh. Jos. Jgn. von Dol-
Unger. Gesammelt und herausgegeben von F. H. Reusch. Stuttgart, I. G. Cölln, 18S0.
Bet dieser Gelegenheit empfehlen wir zugleich die vou Professor I. Friedrich veranstaltete
und ebenfalls im vorigen Jahre bei Cotta erschienene neue Ausgabe von Döllingers „Papst-
Fabeln."
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[0597] [Abbildung] Zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus rvfefsor Nensch, der Unermüdliche, hat nun noch eine Anzahl von Arbeiten seines verewigten großen Freundes in einen Band zusammengefaßt, die teils nur in Zeitungen veröffentlicht worden, also uicht mehr allgemein zugänglich waren, teils überhaupt noch nicht gedruckt worden waren.Dies letzte gilt von dreien; es sind dies die Aufsätze: Die Speicrische Seminarfrage und der Syllabus, Geschichtliche 'Übersicht des Konzils von Trient und Pius IX. Die Biographie dieses Papstes wurde nach seinem Tode begonnen und ist unvollendet liegen geblieben. Dn der Zeitraum, in den die Abfassung dieser Aufsätze fällt, die dreißig Jahre von 1848 bis 1878 umfaßt, so können wir darin, und das ist das Interessante daran, den Fortschritt Döllingers von der römisch-katholischen zur freien Protestantischen Auffassung der Welt- und Kirchengeschichte einiger¬ maßen verfolgen. Die Tiefe seiner Gedankenwerkstatt allerdings wird uns auch hier n^de enthüllt; weder erfahren wir etwas von den Seelenkämpfen, die ihm das Wachstum seiner historischen Einsicht verursacht haben muß, noch erhalten wir Aufschluß über das Glaubenssystem, das er sich mich dem Zu- sammenbruch der geschichtlichen Grundlage seines frühern aufgebaut haben mag. Soweit aber daraus die Entwicklung Döllingers zu erkennen ist, gewährt sie uns zugleich einen Einblick in die Ansichten und Stimmungen der großen Masse seiner Glaubensgenossen und lehrt uus einigermaßen begreifen, wie es kam, daß diese den entgegengesetzten Weg einschlugen. Die erste Abteilung enthält Reden und Gutachten ans der Zeit des Nvlkerfrühliugs von 1848, der auch für die katholische Kirche ein Frühling war und für sie bedeutend länger anhielt, als für die Völker. Sie sind, wie man sich denken kaun, von der gehobensten Stimmung erfüllt. Mit den Kleinere Schriften, gedruckte und »»gedruckte von Joh. Jos. Jgn. von Dol- Unger. Gesammelt und herausgegeben von F. H. Reusch. Stuttgart, I. G. Cölln, 18S0. Bet dieser Gelegenheit empfehlen wir zugleich die vou Professor I. Friedrich veranstaltete und ebenfalls im vorigen Jahre bei Cotta erschienene neue Ausgabe von Döllingers „Papst- Fabeln."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/597>, abgerufen am 13.11.2024.