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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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besten unter seinen deutschen Glaubensgenossen sieht Döllinger wirklich für die
Kirche wie für die Völker einen neuen Frühling, wo nicht ein goldnes Zeit¬
alter Heraufziehen. Die Kirche braucht nur durch die Erklärung der Grund¬
rechte, die er in der Paulskirche versieht, von den Fessel" des Polizeistaates
befreit zu werden, um zur Segenspenderi" für die Völker zu werdeu. Insofern
verleugnet er bereits seine in demselben Jahre 1848 herausgegebene, aber
freilich der Hauptsache nach schon weit früher vollendete Reformationsgeschichte,
als er ganz frei ist von polemischer Bitterkeit und die gläubigen Protestanten,
mit denen er als Mitglied der Nationalversammlung freundschaftlich verkehrt,
sehr hochschätzt als Bundesgenossen sowohl gegen den Unglauben wie gegen
den absoluten Polizeistaat. Zwar ist ihm die "Kirchenspaltung" noch das
größte Unglück für die deutsche Nation, und er hofft die Wiedervereinigung
auf dem Wege reuiger Rückkehr der Protestanten zur Mutterkirche, aber er
spricht diese Gedanken in einer Form ans, die niemand verletzen kann, und
vorläufig erwartet er von der wiederherzustellenden Kirchenfreiheit ein fried¬
liches und freundschaftliches Verhältnis zwischen den Konfessionen; denn, meint
er, der Konfessionshnß rühre doch vor allem daher, daß die Gläubigen jeder
Konfession von andersgläubigen Regierungen so viele schmerzliche Eingriffe in
ihre Herzens- und Gewissensangelegenheiten zu erdulden gehabt hätten. Auch
verträgt sich sein Katholizismus nicht allein mit dem wärmsten Patriotismus,
sondern beide scheinen ihm derselben Wurzel zu entspringen, indem er sich die
Vollendung der Menschenseele gar nicht anders denken kann, als wenn sie in
der die Menschheit umfassenden Weltkirche und zugleich im eigentümlichen
Geiste ihres Volkes lebt und webt. So sagt er in einem für die Konferenz
der deutschen Bischöfe zu Würzburg (Oktober 1848) abgearbeiteten Gutachten:
"Die Nationalität ist etwas der Freiheit des menschlichen Willen entrücktes,
geheimnisvolles und in ihrem letzten Grnnde selbst etwas von Gott gewolltes.
Daß die Menschen sich zu großen Völkerschaften ausprägen, daß in diesen
welthistorischen Völkern sich bestimmte eigentümliche Richtungen, Lebens- und
Anschauungsweisen entwickeln, das gehört mit zur Ökonomie der göttlichen
Vorsehung, die im moralischen und geistigen Gebiete so wenig als im physischen
will, daß allen Väumen eine Rinde wachse und alle Völker in starrer Uniformität
einander gleich seien. Auch im religiösen und kirchlichen Gebiete ist daher bei aller
katholische:: uuiws in luz(;o"8s.rÜL der Eigentümlichkeit der Nationalitäten ein
freier Spielraum verstattet. Der französische Katholik wird nie völlig dem
italienischen in allen Manifestationen seines religiösen Denkens und Fühlens
gleichen, und der Deutsche wird sich von: Franzosen sowohl als vom Italiener
auch in kirchlicher Beziehung stets unterscheiden. Solche nationale Verschieden¬
heiten zeigen sich in den außerordentlichem Formen des Gottesdienstes, in der
Predigtweise, in dem Charakter der theologischen Litteratur, in der Verbindung
religiöser Vorstellungen oder Gebräuche mit dem täglichen Leben, in der


besten unter seinen deutschen Glaubensgenossen sieht Döllinger wirklich für die
Kirche wie für die Völker einen neuen Frühling, wo nicht ein goldnes Zeit¬
alter Heraufziehen. Die Kirche braucht nur durch die Erklärung der Grund¬
rechte, die er in der Paulskirche versieht, von den Fessel» des Polizeistaates
befreit zu werden, um zur Segenspenderi» für die Völker zu werdeu. Insofern
verleugnet er bereits seine in demselben Jahre 1848 herausgegebene, aber
freilich der Hauptsache nach schon weit früher vollendete Reformationsgeschichte,
als er ganz frei ist von polemischer Bitterkeit und die gläubigen Protestanten,
mit denen er als Mitglied der Nationalversammlung freundschaftlich verkehrt,
sehr hochschätzt als Bundesgenossen sowohl gegen den Unglauben wie gegen
den absoluten Polizeistaat. Zwar ist ihm die „Kirchenspaltung" noch das
größte Unglück für die deutsche Nation, und er hofft die Wiedervereinigung
auf dem Wege reuiger Rückkehr der Protestanten zur Mutterkirche, aber er
spricht diese Gedanken in einer Form ans, die niemand verletzen kann, und
vorläufig erwartet er von der wiederherzustellenden Kirchenfreiheit ein fried¬
liches und freundschaftliches Verhältnis zwischen den Konfessionen; denn, meint
er, der Konfessionshnß rühre doch vor allem daher, daß die Gläubigen jeder
Konfession von andersgläubigen Regierungen so viele schmerzliche Eingriffe in
ihre Herzens- und Gewissensangelegenheiten zu erdulden gehabt hätten. Auch
verträgt sich sein Katholizismus nicht allein mit dem wärmsten Patriotismus,
sondern beide scheinen ihm derselben Wurzel zu entspringen, indem er sich die
Vollendung der Menschenseele gar nicht anders denken kann, als wenn sie in
der die Menschheit umfassenden Weltkirche und zugleich im eigentümlichen
Geiste ihres Volkes lebt und webt. So sagt er in einem für die Konferenz
der deutschen Bischöfe zu Würzburg (Oktober 1848) abgearbeiteten Gutachten:
„Die Nationalität ist etwas der Freiheit des menschlichen Willen entrücktes,
geheimnisvolles und in ihrem letzten Grnnde selbst etwas von Gott gewolltes.
Daß die Menschen sich zu großen Völkerschaften ausprägen, daß in diesen
welthistorischen Völkern sich bestimmte eigentümliche Richtungen, Lebens- und
Anschauungsweisen entwickeln, das gehört mit zur Ökonomie der göttlichen
Vorsehung, die im moralischen und geistigen Gebiete so wenig als im physischen
will, daß allen Väumen eine Rinde wachse und alle Völker in starrer Uniformität
einander gleich seien. Auch im religiösen und kirchlichen Gebiete ist daher bei aller
katholische:: uuiws in luz(;o«8s.rÜL der Eigentümlichkeit der Nationalitäten ein
freier Spielraum verstattet. Der französische Katholik wird nie völlig dem
italienischen in allen Manifestationen seines religiösen Denkens und Fühlens
gleichen, und der Deutsche wird sich von: Franzosen sowohl als vom Italiener
auch in kirchlicher Beziehung stets unterscheiden. Solche nationale Verschieden¬
heiten zeigen sich in den außerordentlichem Formen des Gottesdienstes, in der
Predigtweise, in dem Charakter der theologischen Litteratur, in der Verbindung
religiöser Vorstellungen oder Gebräuche mit dem täglichen Leben, in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/598>, abgerufen am 23.07.2024.