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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Homunculus und Herr Nemo
Ein philosophisches Märchen
(Schluß)

le beiden Freunde waren noch immer so verwirrt, daß sie weder
zum Essen noch zum Reden Zeit fanden. Zum Glück für die
Unterhaltung zeigte sich Homunmlus -- der mich den Austern
und dem Rüdesheimer alle Ehre anthat -- sehr gesprächig. Er
hatte vielerlei erlebt und gesehen und wußte über alles mit be¬
scheidnen, aber sicherm Urteil zu spreche". In Italien, wo er vor mehreren
Jahren gewesen zu sein glaubte, hatte ihn besonders die Kunst des sechzehnten
Jahrhunderts gefesselt, und er zeigte viel Verständnis für deren Schönheiten.
Doch bedauerte er, daß der Kunstsinn in Rom in letzter Zeit so zurückge¬
gangen sei.

Von Amerika behauptete er erst vor sechs Wochen wiedergekehrt zu sein,
und er beschrieb mit Lachen, wie sehr er auf der mehr als zweitägigen Über¬
fahrt (solange brauchten die Schnelldampfer damals thatsächlich) an der See¬
krankheit gelitten hätte.

Auch in der Litteratur schien er bewandert, und als der Geheimrat ihn
in ein Gespräch über Shakespeare verwickelte, zitirte er mehrere Stellen dieses
Dichters im Urtext.

Wirklich hatte sich inzwischen soweit erholt, daß er in das Gespräch ein¬
greifen konnte: Wo war es eigentlich, Herr Homumulus -- fragte er -- wo
wir uns zuerst getroffen haben?

Ja, wenn man sich so lange kennt, wie wir zwei uns -- sagte Homun-
culus --, dann ist einem das erste Zusammentreffen gewöhnlich aus dem Ge¬
dächtnis geschwunden. Aber warten Sie mal, ich will mich doch besinnen --
und er stützte mit ernstester Miene den Kopf in die Hand, als suchten seine
Gedanken in vergangnen Zeiten.

Vom Ansehen sagte er -- kannte ich Sie ja schon auf dem Köllni-
schen Gymnasium, wo Sie zwei Klassen über mir saßen; aber eigentlich be¬
kannt wurden wir doch erst in Heidelberg, wo ich im Sommer 81 als Fuchs
studirte, wo war es doch nur? Bei der Kahupartie nach Neckarsteinach, nein,




Homunculus und Herr Nemo
Ein philosophisches Märchen
(Schluß)

le beiden Freunde waren noch immer so verwirrt, daß sie weder
zum Essen noch zum Reden Zeit fanden. Zum Glück für die
Unterhaltung zeigte sich Homunmlus — der mich den Austern
und dem Rüdesheimer alle Ehre anthat — sehr gesprächig. Er
hatte vielerlei erlebt und gesehen und wußte über alles mit be¬
scheidnen, aber sicherm Urteil zu spreche». In Italien, wo er vor mehreren
Jahren gewesen zu sein glaubte, hatte ihn besonders die Kunst des sechzehnten
Jahrhunderts gefesselt, und er zeigte viel Verständnis für deren Schönheiten.
Doch bedauerte er, daß der Kunstsinn in Rom in letzter Zeit so zurückge¬
gangen sei.

Von Amerika behauptete er erst vor sechs Wochen wiedergekehrt zu sein,
und er beschrieb mit Lachen, wie sehr er auf der mehr als zweitägigen Über¬
fahrt (solange brauchten die Schnelldampfer damals thatsächlich) an der See¬
krankheit gelitten hätte.

Auch in der Litteratur schien er bewandert, und als der Geheimrat ihn
in ein Gespräch über Shakespeare verwickelte, zitirte er mehrere Stellen dieses
Dichters im Urtext.

Wirklich hatte sich inzwischen soweit erholt, daß er in das Gespräch ein¬
greifen konnte: Wo war es eigentlich, Herr Homumulus — fragte er — wo
wir uns zuerst getroffen haben?

Ja, wenn man sich so lange kennt, wie wir zwei uns — sagte Homun-
culus —, dann ist einem das erste Zusammentreffen gewöhnlich aus dem Ge¬
dächtnis geschwunden. Aber warten Sie mal, ich will mich doch besinnen —
und er stützte mit ernstester Miene den Kopf in die Hand, als suchten seine
Gedanken in vergangnen Zeiten.

Vom Ansehen sagte er — kannte ich Sie ja schon auf dem Köllni-
schen Gymnasium, wo Sie zwei Klassen über mir saßen; aber eigentlich be¬
kannt wurden wir doch erst in Heidelberg, wo ich im Sommer 81 als Fuchs
studirte, wo war es doch nur? Bei der Kahupartie nach Neckarsteinach, nein,


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[0526] [Abbildung] Homunculus und Herr Nemo Ein philosophisches Märchen (Schluß) le beiden Freunde waren noch immer so verwirrt, daß sie weder zum Essen noch zum Reden Zeit fanden. Zum Glück für die Unterhaltung zeigte sich Homunmlus — der mich den Austern und dem Rüdesheimer alle Ehre anthat — sehr gesprächig. Er hatte vielerlei erlebt und gesehen und wußte über alles mit be¬ scheidnen, aber sicherm Urteil zu spreche». In Italien, wo er vor mehreren Jahren gewesen zu sein glaubte, hatte ihn besonders die Kunst des sechzehnten Jahrhunderts gefesselt, und er zeigte viel Verständnis für deren Schönheiten. Doch bedauerte er, daß der Kunstsinn in Rom in letzter Zeit so zurückge¬ gangen sei. Von Amerika behauptete er erst vor sechs Wochen wiedergekehrt zu sein, und er beschrieb mit Lachen, wie sehr er auf der mehr als zweitägigen Über¬ fahrt (solange brauchten die Schnelldampfer damals thatsächlich) an der See¬ krankheit gelitten hätte. Auch in der Litteratur schien er bewandert, und als der Geheimrat ihn in ein Gespräch über Shakespeare verwickelte, zitirte er mehrere Stellen dieses Dichters im Urtext. Wirklich hatte sich inzwischen soweit erholt, daß er in das Gespräch ein¬ greifen konnte: Wo war es eigentlich, Herr Homumulus — fragte er — wo wir uns zuerst getroffen haben? Ja, wenn man sich so lange kennt, wie wir zwei uns — sagte Homun- culus —, dann ist einem das erste Zusammentreffen gewöhnlich aus dem Ge¬ dächtnis geschwunden. Aber warten Sie mal, ich will mich doch besinnen — und er stützte mit ernstester Miene den Kopf in die Hand, als suchten seine Gedanken in vergangnen Zeiten. Vom Ansehen sagte er — kannte ich Sie ja schon auf dem Köllni- schen Gymnasium, wo Sie zwei Klassen über mir saßen; aber eigentlich be¬ kannt wurden wir doch erst in Heidelberg, wo ich im Sommer 81 als Fuchs studirte, wo war es doch nur? Bei der Kahupartie nach Neckarsteinach, nein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/526>, abgerufen am 13.11.2024.