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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Homunculus und Herr Nemo
Ein philosophisches Märchen

s war an einem Vormittage des Jahres 2091, als sich eine
größere Gesellschaft junger Gelehrten in der uralten Weinstube
von Lutter (vormals Lutter und Wegener) in Berlin zusammen¬
fand, um dort uach ebenfalls uralter deutscher Sitte dem Früh¬
schoppen zu huldigen und gleichzeitig ernste Fragen der Wissen¬
schaft in scharfer Wechselrede zu erörtern. Die meisten waren Ärzte, Natur¬
forscher, Techniker, ein kräftiges Geschlecht, wie es der mächtige Fortschritt
der Zeit erforderte, das den Sinn auf das Greifbare gerichtet hielt und ver¬
ächtlich auf alle idealistischen Vorurteile herabsah, mit denen sich die ver¬
gangnen Zeiten so vielfach geplagt hatten.

Ein Vertreter jener alten Vorurteile war freilich noch unter ihnen, der
Privatdozent der Philosophie I)r. Ernst Simmer, aber er hatte einen schweren
Stand. Galt doch seine Wissenschaft bei aufgeklärten Köpfen längst als über¬
lebt, als ein unnützer Wortkram oder ein veralteter Aberglaube, der vor den
mächtigern Gewalten der Phhsik, der Chemie und ganz besonders der Physio¬
logie das Feld hatte räumen müssen und nur noch in den Köpfen einiger
zurückgebliebnen oder überspannten Gesellen ein schattenhaftes Dnsein fristete.
Man hörte eigentlich mehr zum Scherz den Ausführungen des Doktors zu,
der, offenbar blind für alle Errungenschaften der modernen Forschung, eben
wieder das absurdeste Zeug zum beste" gab.

Redet, was ihr wollt -- sagte er --, ihr werdet mich niemals zu euern
Anschauungen herüberziehen, mich niemals von der Nichtigkeit des Geistes
oder der Seele -- wie ihr es nun nennen wollt -- überzeugen. Ist nicht
vielmehr mein Geist das einzige, dessen Wirklichkeit mir unmittelbar bewußt
ist, während ich auf das Vorhandensein von allen andern Dingen nur schließe?
Und da sollte ich annehmen, dieses erste und unmittelbarste .wäre nichts,
gar nicht vorhanden, ein physikalischer Vorgang, ein Oxydationsprvzeß des
Gehirns und sonst nichts? Nein, ich glaube viel eher, daß die ganze Außen¬
welt samt Kraft und Stoff nichts sei als eine Vorstellung meines Geistes,
hinter der etwas Wirkliches am Ende gar nicht steckt. Wenigstens wird der
Beweis dafür, daß etwas dahinter stecke, wohl niemals geführt werden.




Homunculus und Herr Nemo
Ein philosophisches Märchen

s war an einem Vormittage des Jahres 2091, als sich eine
größere Gesellschaft junger Gelehrten in der uralten Weinstube
von Lutter (vormals Lutter und Wegener) in Berlin zusammen¬
fand, um dort uach ebenfalls uralter deutscher Sitte dem Früh¬
schoppen zu huldigen und gleichzeitig ernste Fragen der Wissen¬
schaft in scharfer Wechselrede zu erörtern. Die meisten waren Ärzte, Natur¬
forscher, Techniker, ein kräftiges Geschlecht, wie es der mächtige Fortschritt
der Zeit erforderte, das den Sinn auf das Greifbare gerichtet hielt und ver¬
ächtlich auf alle idealistischen Vorurteile herabsah, mit denen sich die ver¬
gangnen Zeiten so vielfach geplagt hatten.

Ein Vertreter jener alten Vorurteile war freilich noch unter ihnen, der
Privatdozent der Philosophie I)r. Ernst Simmer, aber er hatte einen schweren
Stand. Galt doch seine Wissenschaft bei aufgeklärten Köpfen längst als über¬
lebt, als ein unnützer Wortkram oder ein veralteter Aberglaube, der vor den
mächtigern Gewalten der Phhsik, der Chemie und ganz besonders der Physio¬
logie das Feld hatte räumen müssen und nur noch in den Köpfen einiger
zurückgebliebnen oder überspannten Gesellen ein schattenhaftes Dnsein fristete.
Man hörte eigentlich mehr zum Scherz den Ausführungen des Doktors zu,
der, offenbar blind für alle Errungenschaften der modernen Forschung, eben
wieder das absurdeste Zeug zum beste» gab.

Redet, was ihr wollt — sagte er —, ihr werdet mich niemals zu euern
Anschauungen herüberziehen, mich niemals von der Nichtigkeit des Geistes
oder der Seele — wie ihr es nun nennen wollt — überzeugen. Ist nicht
vielmehr mein Geist das einzige, dessen Wirklichkeit mir unmittelbar bewußt
ist, während ich auf das Vorhandensein von allen andern Dingen nur schließe?
Und da sollte ich annehmen, dieses erste und unmittelbarste .wäre nichts,
gar nicht vorhanden, ein physikalischer Vorgang, ein Oxydationsprvzeß des
Gehirns und sonst nichts? Nein, ich glaube viel eher, daß die ganze Außen¬
welt samt Kraft und Stoff nichts sei als eine Vorstellung meines Geistes,
hinter der etwas Wirkliches am Ende gar nicht steckt. Wenigstens wird der
Beweis dafür, daß etwas dahinter stecke, wohl niemals geführt werden.


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[0480] [Abbildung] Homunculus und Herr Nemo Ein philosophisches Märchen s war an einem Vormittage des Jahres 2091, als sich eine größere Gesellschaft junger Gelehrten in der uralten Weinstube von Lutter (vormals Lutter und Wegener) in Berlin zusammen¬ fand, um dort uach ebenfalls uralter deutscher Sitte dem Früh¬ schoppen zu huldigen und gleichzeitig ernste Fragen der Wissen¬ schaft in scharfer Wechselrede zu erörtern. Die meisten waren Ärzte, Natur¬ forscher, Techniker, ein kräftiges Geschlecht, wie es der mächtige Fortschritt der Zeit erforderte, das den Sinn auf das Greifbare gerichtet hielt und ver¬ ächtlich auf alle idealistischen Vorurteile herabsah, mit denen sich die ver¬ gangnen Zeiten so vielfach geplagt hatten. Ein Vertreter jener alten Vorurteile war freilich noch unter ihnen, der Privatdozent der Philosophie I)r. Ernst Simmer, aber er hatte einen schweren Stand. Galt doch seine Wissenschaft bei aufgeklärten Köpfen längst als über¬ lebt, als ein unnützer Wortkram oder ein veralteter Aberglaube, der vor den mächtigern Gewalten der Phhsik, der Chemie und ganz besonders der Physio¬ logie das Feld hatte räumen müssen und nur noch in den Köpfen einiger zurückgebliebnen oder überspannten Gesellen ein schattenhaftes Dnsein fristete. Man hörte eigentlich mehr zum Scherz den Ausführungen des Doktors zu, der, offenbar blind für alle Errungenschaften der modernen Forschung, eben wieder das absurdeste Zeug zum beste» gab. Redet, was ihr wollt — sagte er —, ihr werdet mich niemals zu euern Anschauungen herüberziehen, mich niemals von der Nichtigkeit des Geistes oder der Seele — wie ihr es nun nennen wollt — überzeugen. Ist nicht vielmehr mein Geist das einzige, dessen Wirklichkeit mir unmittelbar bewußt ist, während ich auf das Vorhandensein von allen andern Dingen nur schließe? Und da sollte ich annehmen, dieses erste und unmittelbarste .wäre nichts, gar nicht vorhanden, ein physikalischer Vorgang, ein Oxydationsprvzeß des Gehirns und sonst nichts? Nein, ich glaube viel eher, daß die ganze Außen¬ welt samt Kraft und Stoff nichts sei als eine Vorstellung meines Geistes, hinter der etwas Wirkliches am Ende gar nicht steckt. Wenigstens wird der Beweis dafür, daß etwas dahinter stecke, wohl niemals geführt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/480>, abgerufen am 13.11.2024.