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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Homunculus und Herr Nemo

Und das sagt jemand im vollen Ernst am Ende des einundzwanzigsten
Jahrhunderts -- rief Dr. Fritz Wirklich, erster Assistent an der chirurgischen
Klinik und einer der eifrigsten Vertreter der modernen Richtung --, im ein¬
undzwanzigsten Jahrhundert, wo der Gegenbeweis seiner Ansichten längst ge¬
führt ist, und zwar ein naturwissenschaftlicher Beweis xsr oxverimonwin, der
mehr Wert hat, als alle Künste einer überlebten Dialektik. Wie? ist es nicht
Professor Le Faiseur in Paris längst gelungen, künstliche Pflanzenzellen her¬
zustellen und einige niedere Organismen des Tierreichs -- die doch sozusagen
auch Seele haben -- auf chemischem Wege zu entwickeln? Hat nicht Gallinelli
in Rom künstliche Eier fabrizirt, aus denen nach dem Brüten die muntersten
Kücken auskrochen? Und ging nicht neulich noch durch alle Zeitungen die
Nachricht, daß Mr. Nodomont in Philadelphia künstliche Aale hergestellt habe,
die an Lebendigkeit -- und selbstverständlich auch an gutem Geschmack und
Billigkeit -- die natürlichen weit überträfen?

Ja ja -- rief Ingenieur Krause, der Senior der Versammlung, lachend --,
wir leben in einer schnell fortschreitenden Zeit. Mit Kunstbutter fing es vor
zweihundert Jahren um, jetzt macht mau schon die Aale künstlich. Wie lauge
noch, und auch die Philosophen werden fabrikmäßig hergestellt und samt ihrer
unsterblichen Seele in den Handel gebracht werden, Kantianer a, 1 Mark,
Hegelianer ü, 75 Pfennige das Stück.

Wirklich nippte mit überlegnem Lächeln aus seinem Glase. Was du da
scherzhaft vorbringst, mein Lieber -- sagte er --, ist vielleicht der Erfüllung
näher, als du denkst, ja eben darauf wollte ich hinaus. Unser berühmter
Experimentalphysiologe Geheimrat Dr. Faust stellt bekanntlich schon lange
künstliches Blut her, das das natürliche völlig ersetzt und bei Blutarmut
vielfach mit Erfolg verwendet wird. Ebenso hat er Nervensubstanz angefertigt,
die sich in der Praxis trefflich bewährt. Seit zehn Jahren ist er nun mit
dem Problem des künstlichen Menschen beschäftigt und hat wahrend dieser
Zeit sein Laboratorium vou niemand betreten lassen. Gestern aber sagte er
mir, seine Experimente wären dem Abschluß nahe, und er werde mit dem
Ergebnis demnächst vor die Öffentlichkeit treten. Der Beweis von der Nichtig¬
keit der Seele wird also in der That bald ooulos geführt werden, und
dann, mein lieber Simmer, wirst auch du dich wohl für überwunden erklären.

Ich halte das Experiment, von dem du sprichst, für völlig unausführbar
^ sagte Simmer --, aber selbst wenn es gelänge -- wir Philosophen sind nun
einmal eigensinnig --, ich glaube nicht, daß ich meine eben ausgesprochene
Ansicht ändern würde.

Da bin ich doch in der That neugierig, wie du sie noch begründen wirst.

Sehr einfach; du kannst mir wohl vorführen, wie ein Mensch gemacht
wird, aber wie willst du meine Zweifel heben, ob das, was du mir vorführst,
auch Wirklichkeit sei? Kann es nicht auch nur eine Vorspiegelung meiner


Grenzboten III 1891 60
Homunculus und Herr Nemo

Und das sagt jemand im vollen Ernst am Ende des einundzwanzigsten
Jahrhunderts — rief Dr. Fritz Wirklich, erster Assistent an der chirurgischen
Klinik und einer der eifrigsten Vertreter der modernen Richtung —, im ein¬
undzwanzigsten Jahrhundert, wo der Gegenbeweis seiner Ansichten längst ge¬
führt ist, und zwar ein naturwissenschaftlicher Beweis xsr oxverimonwin, der
mehr Wert hat, als alle Künste einer überlebten Dialektik. Wie? ist es nicht
Professor Le Faiseur in Paris längst gelungen, künstliche Pflanzenzellen her¬
zustellen und einige niedere Organismen des Tierreichs — die doch sozusagen
auch Seele haben — auf chemischem Wege zu entwickeln? Hat nicht Gallinelli
in Rom künstliche Eier fabrizirt, aus denen nach dem Brüten die muntersten
Kücken auskrochen? Und ging nicht neulich noch durch alle Zeitungen die
Nachricht, daß Mr. Nodomont in Philadelphia künstliche Aale hergestellt habe,
die an Lebendigkeit — und selbstverständlich auch an gutem Geschmack und
Billigkeit — die natürlichen weit überträfen?

Ja ja — rief Ingenieur Krause, der Senior der Versammlung, lachend —,
wir leben in einer schnell fortschreitenden Zeit. Mit Kunstbutter fing es vor
zweihundert Jahren um, jetzt macht mau schon die Aale künstlich. Wie lauge
noch, und auch die Philosophen werden fabrikmäßig hergestellt und samt ihrer
unsterblichen Seele in den Handel gebracht werden, Kantianer a, 1 Mark,
Hegelianer ü, 75 Pfennige das Stück.

Wirklich nippte mit überlegnem Lächeln aus seinem Glase. Was du da
scherzhaft vorbringst, mein Lieber — sagte er —, ist vielleicht der Erfüllung
näher, als du denkst, ja eben darauf wollte ich hinaus. Unser berühmter
Experimentalphysiologe Geheimrat Dr. Faust stellt bekanntlich schon lange
künstliches Blut her, das das natürliche völlig ersetzt und bei Blutarmut
vielfach mit Erfolg verwendet wird. Ebenso hat er Nervensubstanz angefertigt,
die sich in der Praxis trefflich bewährt. Seit zehn Jahren ist er nun mit
dem Problem des künstlichen Menschen beschäftigt und hat wahrend dieser
Zeit sein Laboratorium vou niemand betreten lassen. Gestern aber sagte er
mir, seine Experimente wären dem Abschluß nahe, und er werde mit dem
Ergebnis demnächst vor die Öffentlichkeit treten. Der Beweis von der Nichtig¬
keit der Seele wird also in der That bald ooulos geführt werden, und
dann, mein lieber Simmer, wirst auch du dich wohl für überwunden erklären.

Ich halte das Experiment, von dem du sprichst, für völlig unausführbar
^ sagte Simmer —, aber selbst wenn es gelänge — wir Philosophen sind nun
einmal eigensinnig —, ich glaube nicht, daß ich meine eben ausgesprochene
Ansicht ändern würde.

Da bin ich doch in der That neugierig, wie du sie noch begründen wirst.

Sehr einfach; du kannst mir wohl vorführen, wie ein Mensch gemacht
wird, aber wie willst du meine Zweifel heben, ob das, was du mir vorführst,
auch Wirklichkeit sei? Kann es nicht auch nur eine Vorspiegelung meiner


Grenzboten III 1891 60
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[0481] Homunculus und Herr Nemo Und das sagt jemand im vollen Ernst am Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts — rief Dr. Fritz Wirklich, erster Assistent an der chirurgischen Klinik und einer der eifrigsten Vertreter der modernen Richtung —, im ein¬ undzwanzigsten Jahrhundert, wo der Gegenbeweis seiner Ansichten längst ge¬ führt ist, und zwar ein naturwissenschaftlicher Beweis xsr oxverimonwin, der mehr Wert hat, als alle Künste einer überlebten Dialektik. Wie? ist es nicht Professor Le Faiseur in Paris längst gelungen, künstliche Pflanzenzellen her¬ zustellen und einige niedere Organismen des Tierreichs — die doch sozusagen auch Seele haben — auf chemischem Wege zu entwickeln? Hat nicht Gallinelli in Rom künstliche Eier fabrizirt, aus denen nach dem Brüten die muntersten Kücken auskrochen? Und ging nicht neulich noch durch alle Zeitungen die Nachricht, daß Mr. Nodomont in Philadelphia künstliche Aale hergestellt habe, die an Lebendigkeit — und selbstverständlich auch an gutem Geschmack und Billigkeit — die natürlichen weit überträfen? Ja ja — rief Ingenieur Krause, der Senior der Versammlung, lachend —, wir leben in einer schnell fortschreitenden Zeit. Mit Kunstbutter fing es vor zweihundert Jahren um, jetzt macht mau schon die Aale künstlich. Wie lauge noch, und auch die Philosophen werden fabrikmäßig hergestellt und samt ihrer unsterblichen Seele in den Handel gebracht werden, Kantianer a, 1 Mark, Hegelianer ü, 75 Pfennige das Stück. Wirklich nippte mit überlegnem Lächeln aus seinem Glase. Was du da scherzhaft vorbringst, mein Lieber — sagte er —, ist vielleicht der Erfüllung näher, als du denkst, ja eben darauf wollte ich hinaus. Unser berühmter Experimentalphysiologe Geheimrat Dr. Faust stellt bekanntlich schon lange künstliches Blut her, das das natürliche völlig ersetzt und bei Blutarmut vielfach mit Erfolg verwendet wird. Ebenso hat er Nervensubstanz angefertigt, die sich in der Praxis trefflich bewährt. Seit zehn Jahren ist er nun mit dem Problem des künstlichen Menschen beschäftigt und hat wahrend dieser Zeit sein Laboratorium vou niemand betreten lassen. Gestern aber sagte er mir, seine Experimente wären dem Abschluß nahe, und er werde mit dem Ergebnis demnächst vor die Öffentlichkeit treten. Der Beweis von der Nichtig¬ keit der Seele wird also in der That bald ooulos geführt werden, und dann, mein lieber Simmer, wirst auch du dich wohl für überwunden erklären. Ich halte das Experiment, von dem du sprichst, für völlig unausführbar ^ sagte Simmer —, aber selbst wenn es gelänge — wir Philosophen sind nun einmal eigensinnig —, ich glaube nicht, daß ich meine eben ausgesprochene Ansicht ändern würde. Da bin ich doch in der That neugierig, wie du sie noch begründen wirst. Sehr einfach; du kannst mir wohl vorführen, wie ein Mensch gemacht wird, aber wie willst du meine Zweifel heben, ob das, was du mir vorführst, auch Wirklichkeit sei? Kann es nicht auch nur eine Vorspiegelung meiner Grenzboten III 1891 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/481>, abgerufen am 23.07.2024.