Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.Geschichtsphilosophische Gedanken Anrechnung vornehmen müßte. Wäre dieser nicht gerade schwierige Akt ge¬ Geschichtsphilosophische Gedanken ^. Die Reformation und die Freiheit lFortsctzung) er zuletzt angeführte Satz Luthers legt uns die Frage nahe, Buckle stellt den Satz auf: Nicht die Reformatoren haben dnrch eine Geschichtsphilosophische Gedanken Anrechnung vornehmen müßte. Wäre dieser nicht gerade schwierige Akt ge¬ Geschichtsphilosophische Gedanken ^. Die Reformation und die Freiheit lFortsctzung) er zuletzt angeführte Satz Luthers legt uns die Frage nahe, Buckle stellt den Satz auf: Nicht die Reformatoren haben dnrch eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290224"/> <fw type="header" place="top"> Geschichtsphilosophische Gedanken</fw><lb/> <p xml:id="ID_1296" prev="#ID_1295"> Anrechnung vornehmen müßte. Wäre dieser nicht gerade schwierige Akt ge¬<lb/> schehen, so würde alles übrige sehr einfach und glatt ablaufen. Unserm ge¬<lb/> samten Verkehrsleben aber würde die größte Wohlthat erwiesen sein. Und<lb/> nach einigen Jahren würde man kaum noch begreifen, daß angesehene Männer<lb/> einer so verstciudigeu Einrichtung solche Schwierigkeiten bereiten konnten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Geschichtsphilosophische Gedanken<lb/> ^. Die Reformation und die Freiheit lFortsctzung) </head><lb/> <p xml:id="ID_1297"> er zuletzt angeführte Satz Luthers legt uns die Frage nahe,<lb/> ob und inwiefern die Reformation eine Befreiung der Geister<lb/> genannt werden dürfe. Dem eifrigen Protestanten gilt es als<lb/> selbstverständlich, daß die Reformation nach der Erlösung das<lb/> größte und wohlthätigste Ereignis der Weltgeschichte, für die<lb/> nachfolgenden Geschlechter die Quelle aller materiellen, geistigen und sitt¬<lb/> lichen Güter und vor allem der Freiheit sei. Wem es vergönnt ist, in<lb/> einem Kreise gläubiger Protestanten, unberührt und unerschüttert von den<lb/> Widersprüchen und Kämpfen der Zeit und — von den Ergebnissen der histo¬<lb/> rischen Forschung, sein Leben zu verbringen, dem möchten wir seinen be¬<lb/> glückenden Glauben, von dem jener Satz ein Teil ist, nicht verkümmern.<lb/> Aber die Zahl derer, die sich solcher Abgeschiedenheit erfreuen dürfen, wird<lb/> namentlich in unserm von allen Zeitströmungeu ergriffenen Deutschland von<lb/> Jahr zu Jahr geringer, und den übrigen frommt es nicht, sich in eine An¬<lb/> sicht einzuleben, die sich einer erdrückenden Fülle widersprechender Thatsachen<lb/> gegenüber nicht aufrecht erhalten läßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1298"> Buckle stellt den Satz auf: Nicht die Reformatoren haben dnrch eine<lb/> reinere Religion die Menschheit auf eine höhere Kulturstufe erhoben, sondern<lb/> weil die Menschheit eine höhere Kulturstufe erklommen hatte, darum schuf sie<lb/> sich mit Hilfe der Reformatoren eine dieser neuen Kulturstufe entsprechende<lb/> reinere Religion. Berichtiger wir diesen Satz dahin, daß die Reformation<lb/> gleich jedem andern Ereignis Wirkung und Ursache zugleich ist, daher nur<lb/> bei geistig hoch entwickelten Völker« eintreten, aber auch nicht ohne wohlthätige<lb/> Rückwirkung auf die weitere Erhebung der Geister bleiben konnte. Was aber<lb/> die Freiheit anlangt, so war sie weit weniger Folge als vielmehr eine uner¬<lb/> läßliche Vorbedingung der großen Umwälzung.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455]
Geschichtsphilosophische Gedanken
Anrechnung vornehmen müßte. Wäre dieser nicht gerade schwierige Akt ge¬
schehen, so würde alles übrige sehr einfach und glatt ablaufen. Unserm ge¬
samten Verkehrsleben aber würde die größte Wohlthat erwiesen sein. Und
nach einigen Jahren würde man kaum noch begreifen, daß angesehene Männer
einer so verstciudigeu Einrichtung solche Schwierigkeiten bereiten konnten.
Geschichtsphilosophische Gedanken
^. Die Reformation und die Freiheit lFortsctzung)
er zuletzt angeführte Satz Luthers legt uns die Frage nahe,
ob und inwiefern die Reformation eine Befreiung der Geister
genannt werden dürfe. Dem eifrigen Protestanten gilt es als
selbstverständlich, daß die Reformation nach der Erlösung das
größte und wohlthätigste Ereignis der Weltgeschichte, für die
nachfolgenden Geschlechter die Quelle aller materiellen, geistigen und sitt¬
lichen Güter und vor allem der Freiheit sei. Wem es vergönnt ist, in
einem Kreise gläubiger Protestanten, unberührt und unerschüttert von den
Widersprüchen und Kämpfen der Zeit und — von den Ergebnissen der histo¬
rischen Forschung, sein Leben zu verbringen, dem möchten wir seinen be¬
glückenden Glauben, von dem jener Satz ein Teil ist, nicht verkümmern.
Aber die Zahl derer, die sich solcher Abgeschiedenheit erfreuen dürfen, wird
namentlich in unserm von allen Zeitströmungeu ergriffenen Deutschland von
Jahr zu Jahr geringer, und den übrigen frommt es nicht, sich in eine An¬
sicht einzuleben, die sich einer erdrückenden Fülle widersprechender Thatsachen
gegenüber nicht aufrecht erhalten läßt.
Buckle stellt den Satz auf: Nicht die Reformatoren haben dnrch eine
reinere Religion die Menschheit auf eine höhere Kulturstufe erhoben, sondern
weil die Menschheit eine höhere Kulturstufe erklommen hatte, darum schuf sie
sich mit Hilfe der Reformatoren eine dieser neuen Kulturstufe entsprechende
reinere Religion. Berichtiger wir diesen Satz dahin, daß die Reformation
gleich jedem andern Ereignis Wirkung und Ursache zugleich ist, daher nur
bei geistig hoch entwickelten Völker« eintreten, aber auch nicht ohne wohlthätige
Rückwirkung auf die weitere Erhebung der Geister bleiben konnte. Was aber
die Freiheit anlangt, so war sie weit weniger Folge als vielmehr eine uner¬
läßliche Vorbedingung der großen Umwälzung.
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