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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Volksbühnen auf Volksfesten

ließ, wenn er sich immer wieder wie die unzart berührte Schnecke einzog, so
war es doch wohl in der Hauptsache deswegen, weil er, um die "Menschen"
zu finden, in der falschen Richtung auszog und entgegenkam, übrigens dort doch
nicht annähernd genug entgegenkommen konnte. Er muß sie doch wohl auch
in den Kreisen gesucht haben, die, ihm ünßerlich näher stehend, doch nie die
seinen gewesen sind, und denen er mit genügend deutlicher Bezeichnung zu¬
letzt zuruft:


Mein Schritt ist fremd im Drängen eurer Gassen,
Mein Kopf verwirrt in euerm Wirbellreiben,
Mich blenden hinter euern Spiegelscheiben
Die glitzernd cinsgcstcllten Warcnmasscn,
Und fremd klingt auch cur Wort mir; wir verstehen
Nicht unsre Sprachen. Laßt mich still beiseite.
Nicht null ich eure Rennbahnkränze schmähen,
Doch was sich höchstens jeder auch erstreite,
Gern laß ichs ihm für eines Baumes Wehen
In abendlich beglänzter Feldesweite.

Schade, daß Viktor Hehn und er sich nicht gekannt haben.




Volksbühnen auf Volksfesten

le Gesellschaft für modernes Leben in München, die nnter der
Leitung des bekannten Realisten M. G. Conrad steht, hat um
1. Juni dieses Jahres bei dem Magistrat der Stadt München
eine Eingabe eingereicht, begleitet von einer Denkschrift, die der
Beachtung der weitesten Kreise würdig ist. Man braucht mit
den Zielen dieser Gesellschaft, die sich in der Betonung des etwas schwankenden
und unklaren Begriffes der "Moderne" mit der Freien Bühne in Berlin be¬
gegnet, uicht allenthalben einverstanden zu sein und kann dennoch nach dem
Grundsatze, das Gute zu nehmen, woher es kommt, das Anerkennenswerte aus
ihren Bestrebungen unparteiisch und vorurteilslos herausgreifen und zum
Nutzen der Gesamtheit verwerten.

In der erwähnten Eingabe handelt sichs um nichts geringeres, als um
die Gründung einer Volksbühne auf der Theresienwiese während des alljähr¬
lich stattfindenden Oktoberfestes. Der Rat der Stadt München trägt sich
nämlich mit der Absicht, die noch vorhandnen freien Gründe der Theresienwiese,


Volksbühnen auf Volksfesten

ließ, wenn er sich immer wieder wie die unzart berührte Schnecke einzog, so
war es doch wohl in der Hauptsache deswegen, weil er, um die „Menschen"
zu finden, in der falschen Richtung auszog und entgegenkam, übrigens dort doch
nicht annähernd genug entgegenkommen konnte. Er muß sie doch wohl auch
in den Kreisen gesucht haben, die, ihm ünßerlich näher stehend, doch nie die
seinen gewesen sind, und denen er mit genügend deutlicher Bezeichnung zu¬
letzt zuruft:


Mein Schritt ist fremd im Drängen eurer Gassen,
Mein Kopf verwirrt in euerm Wirbellreiben,
Mich blenden hinter euern Spiegelscheiben
Die glitzernd cinsgcstcllten Warcnmasscn,
Und fremd klingt auch cur Wort mir; wir verstehen
Nicht unsre Sprachen. Laßt mich still beiseite.
Nicht null ich eure Rennbahnkränze schmähen,
Doch was sich höchstens jeder auch erstreite,
Gern laß ichs ihm für eines Baumes Wehen
In abendlich beglänzter Feldesweite.

Schade, daß Viktor Hehn und er sich nicht gekannt haben.




Volksbühnen auf Volksfesten

le Gesellschaft für modernes Leben in München, die nnter der
Leitung des bekannten Realisten M. G. Conrad steht, hat um
1. Juni dieses Jahres bei dem Magistrat der Stadt München
eine Eingabe eingereicht, begleitet von einer Denkschrift, die der
Beachtung der weitesten Kreise würdig ist. Man braucht mit
den Zielen dieser Gesellschaft, die sich in der Betonung des etwas schwankenden
und unklaren Begriffes der „Moderne" mit der Freien Bühne in Berlin be¬
gegnet, uicht allenthalben einverstanden zu sein und kann dennoch nach dem
Grundsatze, das Gute zu nehmen, woher es kommt, das Anerkennenswerte aus
ihren Bestrebungen unparteiisch und vorurteilslos herausgreifen und zum
Nutzen der Gesamtheit verwerten.

In der erwähnten Eingabe handelt sichs um nichts geringeres, als um
die Gründung einer Volksbühne auf der Theresienwiese während des alljähr¬
lich stattfindenden Oktoberfestes. Der Rat der Stadt München trägt sich
nämlich mit der Absicht, die noch vorhandnen freien Gründe der Theresienwiese,


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[0424] Volksbühnen auf Volksfesten ließ, wenn er sich immer wieder wie die unzart berührte Schnecke einzog, so war es doch wohl in der Hauptsache deswegen, weil er, um die „Menschen" zu finden, in der falschen Richtung auszog und entgegenkam, übrigens dort doch nicht annähernd genug entgegenkommen konnte. Er muß sie doch wohl auch in den Kreisen gesucht haben, die, ihm ünßerlich näher stehend, doch nie die seinen gewesen sind, und denen er mit genügend deutlicher Bezeichnung zu¬ letzt zuruft: Mein Schritt ist fremd im Drängen eurer Gassen, Mein Kopf verwirrt in euerm Wirbellreiben, Mich blenden hinter euern Spiegelscheiben Die glitzernd cinsgcstcllten Warcnmasscn, Und fremd klingt auch cur Wort mir; wir verstehen Nicht unsre Sprachen. Laßt mich still beiseite. Nicht null ich eure Rennbahnkränze schmähen, Doch was sich höchstens jeder auch erstreite, Gern laß ichs ihm für eines Baumes Wehen In abendlich beglänzter Feldesweite. Schade, daß Viktor Hehn und er sich nicht gekannt haben. Volksbühnen auf Volksfesten le Gesellschaft für modernes Leben in München, die nnter der Leitung des bekannten Realisten M. G. Conrad steht, hat um 1. Juni dieses Jahres bei dem Magistrat der Stadt München eine Eingabe eingereicht, begleitet von einer Denkschrift, die der Beachtung der weitesten Kreise würdig ist. Man braucht mit den Zielen dieser Gesellschaft, die sich in der Betonung des etwas schwankenden und unklaren Begriffes der „Moderne" mit der Freien Bühne in Berlin be¬ gegnet, uicht allenthalben einverstanden zu sein und kann dennoch nach dem Grundsatze, das Gute zu nehmen, woher es kommt, das Anerkennenswerte aus ihren Bestrebungen unparteiisch und vorurteilslos herausgreifen und zum Nutzen der Gesamtheit verwerten. In der erwähnten Eingabe handelt sichs um nichts geringeres, als um die Gründung einer Volksbühne auf der Theresienwiese während des alljähr¬ lich stattfindenden Oktoberfestes. Der Rat der Stadt München trägt sich nämlich mit der Absicht, die noch vorhandnen freien Gründe der Theresienwiese,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/424>, abgerufen am 13.11.2024.