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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

Ehrbegriff seit Geschlechtern am reinsten überliefert und zugleich von Übertrei¬
bungen am freiesten gehalten worden ist, meist merkwürdig übereinstimmt.
Überwiegend sind es die breiten, dazwischen liegenden Schichten, auf die die auch
von Binding erhobene Klage zutrifft über "jene hysterische Reizbarkeit unsers
Ehrgefühls, die so leicht auch unsern Verstand bethört, des Deutschen ewige
Angst, seine Ehre könne ihm jeden Augenblick von jedem frivolen Gesellen ge¬
raubt werden, seine bebende Sorge, sie sei vielleicht schon durch das Nase¬
rümpfen oder das spöttische Wort eines Lassen in die Brüche gegangen."
Gelänge es nicht, den Zweikampf ganz zu beseitigen -- wir denken dabei nicht
an die Kampfspiele der akademischen Jugend --, so würde er sich doch und
zwar als Kreuzen der blanken Waffe zwischen ernsten waffenfähigen Männern,
wie es allein alter deutscher Art entspricht, auf die schwersten Fälle beschränken
lassen.

Von wo soll der Sitte diese Hilfe kommeu? Die Augen des monarchi¬
schen deutschen Volkes sind auf seine Fürsten, vor allen auf seinen jungen
Kaiser gerichtet.




Die Sprachgrenze in Lothringen

n jüngster Zeit ist von einem "Staatsmanne" in einem viel
beachteten Artikel des "Figaro" der Gedanke ausgeführt worden,
daß Frankreich von Rußland nichts zu erwarten habe und eine
Aussöhnung mit Deutschland anstreben sollte; diesem wird zu¬
gemutet, um diesen Preis Lothringen, das doch in einem von
Frankreich uns aufgedrungenen Kriege wiedererobert worden ist, reumütig
zurückzuerstatten. Der Gedanke ist nicht neu; ähnlichen Vorschlügen sind wir
in der französischen Presse seit Jahren begegnet, und in Lothringen giebt es
Politiker, die so fest davon überzeugt sind, daß auf solcher Grundlage irgend
einmal eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich erzielt werden
könne, daß sie meinen, Lothringen müsse schon heute bei Wahlen u. s. w. seine
Haltung darnach einrichten und die Verschiedenheit vom Elsaß bei jeder Ge¬
legenheit darthun. Vielleicht liegt diesen Vorschlügen der Versuch zu Grunde,
der öffentlichen Meinung in Frankreich den Gedanken einer Abfindung mit
dem Gelübde der ,,Revanche" vertraut zu machen. Bemerkenswert ist dabei
besonders, daß dieser Vermittlungsvorschlag das "deutsche Elsaß" seinem Ge¬
schick überläßt, das "französische Lothringen" dagegen von dem unverdienten


Die Sprachgrenze in Lothringen

Ehrbegriff seit Geschlechtern am reinsten überliefert und zugleich von Übertrei¬
bungen am freiesten gehalten worden ist, meist merkwürdig übereinstimmt.
Überwiegend sind es die breiten, dazwischen liegenden Schichten, auf die die auch
von Binding erhobene Klage zutrifft über „jene hysterische Reizbarkeit unsers
Ehrgefühls, die so leicht auch unsern Verstand bethört, des Deutschen ewige
Angst, seine Ehre könne ihm jeden Augenblick von jedem frivolen Gesellen ge¬
raubt werden, seine bebende Sorge, sie sei vielleicht schon durch das Nase¬
rümpfen oder das spöttische Wort eines Lassen in die Brüche gegangen."
Gelänge es nicht, den Zweikampf ganz zu beseitigen — wir denken dabei nicht
an die Kampfspiele der akademischen Jugend —, so würde er sich doch und
zwar als Kreuzen der blanken Waffe zwischen ernsten waffenfähigen Männern,
wie es allein alter deutscher Art entspricht, auf die schwersten Fälle beschränken
lassen.

Von wo soll der Sitte diese Hilfe kommeu? Die Augen des monarchi¬
schen deutschen Volkes sind auf seine Fürsten, vor allen auf seinen jungen
Kaiser gerichtet.




Die Sprachgrenze in Lothringen

n jüngster Zeit ist von einem „Staatsmanne" in einem viel
beachteten Artikel des „Figaro" der Gedanke ausgeführt worden,
daß Frankreich von Rußland nichts zu erwarten habe und eine
Aussöhnung mit Deutschland anstreben sollte; diesem wird zu¬
gemutet, um diesen Preis Lothringen, das doch in einem von
Frankreich uns aufgedrungenen Kriege wiedererobert worden ist, reumütig
zurückzuerstatten. Der Gedanke ist nicht neu; ähnlichen Vorschlügen sind wir
in der französischen Presse seit Jahren begegnet, und in Lothringen giebt es
Politiker, die so fest davon überzeugt sind, daß auf solcher Grundlage irgend
einmal eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich erzielt werden
könne, daß sie meinen, Lothringen müsse schon heute bei Wahlen u. s. w. seine
Haltung darnach einrichten und die Verschiedenheit vom Elsaß bei jeder Ge¬
legenheit darthun. Vielleicht liegt diesen Vorschlügen der Versuch zu Grunde,
der öffentlichen Meinung in Frankreich den Gedanken einer Abfindung mit
dem Gelübde der ,,Revanche" vertraut zu machen. Bemerkenswert ist dabei
besonders, daß dieser Vermittlungsvorschlag das „deutsche Elsaß" seinem Ge¬
schick überläßt, das „französische Lothringen" dagegen von dem unverdienten


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[0362] Die Sprachgrenze in Lothringen Ehrbegriff seit Geschlechtern am reinsten überliefert und zugleich von Übertrei¬ bungen am freiesten gehalten worden ist, meist merkwürdig übereinstimmt. Überwiegend sind es die breiten, dazwischen liegenden Schichten, auf die die auch von Binding erhobene Klage zutrifft über „jene hysterische Reizbarkeit unsers Ehrgefühls, die so leicht auch unsern Verstand bethört, des Deutschen ewige Angst, seine Ehre könne ihm jeden Augenblick von jedem frivolen Gesellen ge¬ raubt werden, seine bebende Sorge, sie sei vielleicht schon durch das Nase¬ rümpfen oder das spöttische Wort eines Lassen in die Brüche gegangen." Gelänge es nicht, den Zweikampf ganz zu beseitigen — wir denken dabei nicht an die Kampfspiele der akademischen Jugend —, so würde er sich doch und zwar als Kreuzen der blanken Waffe zwischen ernsten waffenfähigen Männern, wie es allein alter deutscher Art entspricht, auf die schwersten Fälle beschränken lassen. Von wo soll der Sitte diese Hilfe kommeu? Die Augen des monarchi¬ schen deutschen Volkes sind auf seine Fürsten, vor allen auf seinen jungen Kaiser gerichtet. Die Sprachgrenze in Lothringen n jüngster Zeit ist von einem „Staatsmanne" in einem viel beachteten Artikel des „Figaro" der Gedanke ausgeführt worden, daß Frankreich von Rußland nichts zu erwarten habe und eine Aussöhnung mit Deutschland anstreben sollte; diesem wird zu¬ gemutet, um diesen Preis Lothringen, das doch in einem von Frankreich uns aufgedrungenen Kriege wiedererobert worden ist, reumütig zurückzuerstatten. Der Gedanke ist nicht neu; ähnlichen Vorschlügen sind wir in der französischen Presse seit Jahren begegnet, und in Lothringen giebt es Politiker, die so fest davon überzeugt sind, daß auf solcher Grundlage irgend einmal eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich erzielt werden könne, daß sie meinen, Lothringen müsse schon heute bei Wahlen u. s. w. seine Haltung darnach einrichten und die Verschiedenheit vom Elsaß bei jeder Ge¬ legenheit darthun. Vielleicht liegt diesen Vorschlügen der Versuch zu Grunde, der öffentlichen Meinung in Frankreich den Gedanken einer Abfindung mit dem Gelübde der ,,Revanche" vertraut zu machen. Bemerkenswert ist dabei besonders, daß dieser Vermittlungsvorschlag das „deutsche Elsaß" seinem Ge¬ schick überläßt, das „französische Lothringen" dagegen von dem unverdienten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/362>, abgerufen am 13.11.2024.