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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur deutschen Wirtschaftsgeschichte

(Mj
Mir wissen heute, daß das organische Leben auf der Zelle beruht,
und daß Gesundheit und Krankheit des Leibes von der Be¬
schaffenheit der Zellen abhängen. Schon diese naturwissenschaft¬
liche Einsicht macht es uns zur Pflicht, aufs eifrigste die wirt¬
schaftlichen Einheiten zu studiren, aus denen sich die Volkswirtschaft
zusammensetzt, und von deren Beschaffenheit die Gesundheit des Volkskörpers
abhängt. Unsre deutschen Geschichtsforscher lassen es an der Erfüllung dieser
Pflicht nicht fehlen, und soeben hat uns Dr. Karl Theodor von Jnama-
Sternegg wieder mit einem höchst wertvollen Bande beschenkt, der eine der
dunkelsten Gegenden des Mittelalters (dunkel im Sinne von unbekannt) nach
der angedeuteten Richtung hin bis zur greifbaren Anschaulichkeit aufhellt:
Deutsche Wirtschaftsgeschichte des zehnten, elften und zwölften Jahr¬
hunderts (Leipzig, Duncker und Humblot, 1891). Das Buch bildet den
zweiten Band einer deutschen Wirtschaftsgeschichte, deren erster, bis zum Schlüsse
der Karolingerzeit reichender Band schon vor zwölf Jahren erschienen ist.
Was die Fortsetzung so lauge verzögert hat, war die Berufung des Verfassers
"auf den ebenso mühevollen wie verantwortlichen Posten eines Chefs der amt¬
lichen Statistik Österreichs." Erst nachdem in jahrelanger angestrengter Arbeit
die in diesem Gebiete durchzuführenden Reformen zu einem gewissen Abschlüsse
gekommen seien, habe er, heißt es im Vorwort, daran denken können, das
angefangene Werk fortzusetzen; freilich habe er auch dann noch nur die späten
Abendstunden darauf verwenden können. Er hofft, daß wohlwollende Beur¬
teiler darin eine Entschuldigung für die Unvollkommenheiten des Werkes finden
werden. Das ist wohl nur jenen fachmännischer Rezensenten gesagt, die es
für ihre heiliastePflicht erachten, auf kleine Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten
Jagd zu machen; der unbefangne Leser, der sich nur über den Gegenstand
unterrichten will, findet seine Erwartung übertroffen.

Denn der Verfasser entrollt uns ein anschauliches Bild der Landwirtschaft
jener Zeiten, wie sie auf großen und kleinen Gütern in den verschiednen
Gegenden Deutschlands betrieben wurde. Wir erfahren, welche Fruchtarten
gebaut wurden, wie weit die Wein- und Obstkultur gediehen war, wie es mit




Zur deutschen Wirtschaftsgeschichte

(Mj
Mir wissen heute, daß das organische Leben auf der Zelle beruht,
und daß Gesundheit und Krankheit des Leibes von der Be¬
schaffenheit der Zellen abhängen. Schon diese naturwissenschaft¬
liche Einsicht macht es uns zur Pflicht, aufs eifrigste die wirt¬
schaftlichen Einheiten zu studiren, aus denen sich die Volkswirtschaft
zusammensetzt, und von deren Beschaffenheit die Gesundheit des Volkskörpers
abhängt. Unsre deutschen Geschichtsforscher lassen es an der Erfüllung dieser
Pflicht nicht fehlen, und soeben hat uns Dr. Karl Theodor von Jnama-
Sternegg wieder mit einem höchst wertvollen Bande beschenkt, der eine der
dunkelsten Gegenden des Mittelalters (dunkel im Sinne von unbekannt) nach
der angedeuteten Richtung hin bis zur greifbaren Anschaulichkeit aufhellt:
Deutsche Wirtschaftsgeschichte des zehnten, elften und zwölften Jahr¬
hunderts (Leipzig, Duncker und Humblot, 1891). Das Buch bildet den
zweiten Band einer deutschen Wirtschaftsgeschichte, deren erster, bis zum Schlüsse
der Karolingerzeit reichender Band schon vor zwölf Jahren erschienen ist.
Was die Fortsetzung so lauge verzögert hat, war die Berufung des Verfassers
„auf den ebenso mühevollen wie verantwortlichen Posten eines Chefs der amt¬
lichen Statistik Österreichs." Erst nachdem in jahrelanger angestrengter Arbeit
die in diesem Gebiete durchzuführenden Reformen zu einem gewissen Abschlüsse
gekommen seien, habe er, heißt es im Vorwort, daran denken können, das
angefangene Werk fortzusetzen; freilich habe er auch dann noch nur die späten
Abendstunden darauf verwenden können. Er hofft, daß wohlwollende Beur¬
teiler darin eine Entschuldigung für die Unvollkommenheiten des Werkes finden
werden. Das ist wohl nur jenen fachmännischer Rezensenten gesagt, die es
für ihre heiliastePflicht erachten, auf kleine Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten
Jagd zu machen; der unbefangne Leser, der sich nur über den Gegenstand
unterrichten will, findet seine Erwartung übertroffen.

Denn der Verfasser entrollt uns ein anschauliches Bild der Landwirtschaft
jener Zeiten, wie sie auf großen und kleinen Gütern in den verschiednen
Gegenden Deutschlands betrieben wurde. Wir erfahren, welche Fruchtarten
gebaut wurden, wie weit die Wein- und Obstkultur gediehen war, wie es mit


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[0260] [Abbildung] Zur deutschen Wirtschaftsgeschichte (Mj Mir wissen heute, daß das organische Leben auf der Zelle beruht, und daß Gesundheit und Krankheit des Leibes von der Be¬ schaffenheit der Zellen abhängen. Schon diese naturwissenschaft¬ liche Einsicht macht es uns zur Pflicht, aufs eifrigste die wirt¬ schaftlichen Einheiten zu studiren, aus denen sich die Volkswirtschaft zusammensetzt, und von deren Beschaffenheit die Gesundheit des Volkskörpers abhängt. Unsre deutschen Geschichtsforscher lassen es an der Erfüllung dieser Pflicht nicht fehlen, und soeben hat uns Dr. Karl Theodor von Jnama- Sternegg wieder mit einem höchst wertvollen Bande beschenkt, der eine der dunkelsten Gegenden des Mittelalters (dunkel im Sinne von unbekannt) nach der angedeuteten Richtung hin bis zur greifbaren Anschaulichkeit aufhellt: Deutsche Wirtschaftsgeschichte des zehnten, elften und zwölften Jahr¬ hunderts (Leipzig, Duncker und Humblot, 1891). Das Buch bildet den zweiten Band einer deutschen Wirtschaftsgeschichte, deren erster, bis zum Schlüsse der Karolingerzeit reichender Band schon vor zwölf Jahren erschienen ist. Was die Fortsetzung so lauge verzögert hat, war die Berufung des Verfassers „auf den ebenso mühevollen wie verantwortlichen Posten eines Chefs der amt¬ lichen Statistik Österreichs." Erst nachdem in jahrelanger angestrengter Arbeit die in diesem Gebiete durchzuführenden Reformen zu einem gewissen Abschlüsse gekommen seien, habe er, heißt es im Vorwort, daran denken können, das angefangene Werk fortzusetzen; freilich habe er auch dann noch nur die späten Abendstunden darauf verwenden können. Er hofft, daß wohlwollende Beur¬ teiler darin eine Entschuldigung für die Unvollkommenheiten des Werkes finden werden. Das ist wohl nur jenen fachmännischer Rezensenten gesagt, die es für ihre heiliastePflicht erachten, auf kleine Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten Jagd zu machen; der unbefangne Leser, der sich nur über den Gegenstand unterrichten will, findet seine Erwartung übertroffen. Denn der Verfasser entrollt uns ein anschauliches Bild der Landwirtschaft jener Zeiten, wie sie auf großen und kleinen Gütern in den verschiednen Gegenden Deutschlands betrieben wurde. Wir erfahren, welche Fruchtarten gebaut wurden, wie weit die Wein- und Obstkultur gediehen war, wie es mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/260>, abgerufen am 13.11.2024.