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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur deutschen Mirtschaftsgeschichte

der Rinder-, Schaf-, Schweine- und Pferdezucht stand, wie die Frohnden ver¬
teilt und die Fröhner beköstigt wurden; wir sehen, wie sich die Gewerbe,
nachdem sie in der vorhergehenden Periode fast nur vou Leibeignen auf dem
Frohnhof betrieben worden waren, allmählich ablösten und in den Städten
Selbständigkeit erlangten, wie sich der Handel und der Marktverkehr entfalteten.
Und wenn auch die Gewerbe- und Handelsgeschichte jener Zeit von andern
schon ausführlicher dargestellt worden ist, so empfangen die doch bereits be¬
kannten Thatsachen erst hier, wo sie als Bestandteile der Volkswirtschaft im
Zusammenhange mit den übrigen erscheinen, die rechte Beleuchtung, abgesehen
von der Beibringung neuen urkundlichen Materials. Das gilt jedoch nur für
Handwerk und Kaufmannschaft; seine ausschließlich aus Urkunden geschöpfte
Darstellung des Bergbaues und Salinenwesens jener Zeit bietet völlig neues,
während in den Abschnitten über den Geldverkehr, das Münzwesen und die
Pfand- und Leihgeschüfte die bisherigen Darstellungen in wesentlichen Punkten
ergänzt und berichtigt werden. Alls diese Einzelheiten können wir nun nicht
eingehen; dagegen wollen wir versuchen, nach Jnamas Darstellung in einigen
Umrissen, die freilich nur sehr ungenau ausfallen können, den Verlauf zu
zeichnen, den die Veränderungen des Grundbesitzes in dem angegebenen Zeit¬
raum genommen haben.

Unter der fränkischen Herrschaft war mit der alten deutschen Gau- und
Gemeindeverfassung auch der freie Bauernstand zu Grunde gegangen. Die
Nachkommen der Geineinfreien mehrten teils die Zahl der anch in alter Zeit
schon vorhandenen leibeignen Knechte, teils wurden sie Frvhnbaneru der großen
Gntsherrschaften, der Königs-, Edel-, bischöflichen und Klosterhöfe. Der Herren-
vder Frohnhof (s^in, pill-r, ourtis, euren clowinivg.) bildet den Kopf und zugleich
das Herz des wirtschaftliche" Lebens für die ganze Umgegend. Von hier ans
wird das unmittelbar zum Hofe gehörige Snlland unter der Leitung des Herrn
oder seines Meiers (major, vilUvus) bewirtschaftet, von hier aus werden die
entfernteren Grundstücke an frohnpflichtige Bauern in einzelnen Hufen verteilt,
wird die Bewirtschaftung dieser Hufen beaufsichtigt, und an den Herrenhof
wird der Überschuß des Ertrages dieser Hufen über das zur Ernährung der
Banernfcunilie und ihres Viehs notwendige abgeliefert. In wirtschaftlicher
Beziehung war diese Konzentration des Betriebes ein Vorteil, der mit einer
vorübergehenden Minderung der Freiheit des Bauernstandes nicht zu teuer
erkauft wurde. Denn die alte deutsche Markgenossenschaft hatte den Ackerbau
halb nomadisch betrieben, so extensiv und kunstlos, daß zur Ernährung einer
'Familie ein übermäßig großes Stück Land erfordert wurde, und daß die
Wirtschaft, selbst wenn sie die ganze Arbeitskraft der Familie und ihrer Sklaven
verschlang, keinen Überschuß über deren Bedarf abwarf. Bei der Besitznahme
des römischen Galliens lernten die Franken einen kunstvolleren und inten¬
siverer Anbau keimen, den sie sich nun aneigneten (ohne eigne Mühe, wie


Zur deutschen Mirtschaftsgeschichte

der Rinder-, Schaf-, Schweine- und Pferdezucht stand, wie die Frohnden ver¬
teilt und die Fröhner beköstigt wurden; wir sehen, wie sich die Gewerbe,
nachdem sie in der vorhergehenden Periode fast nur vou Leibeignen auf dem
Frohnhof betrieben worden waren, allmählich ablösten und in den Städten
Selbständigkeit erlangten, wie sich der Handel und der Marktverkehr entfalteten.
Und wenn auch die Gewerbe- und Handelsgeschichte jener Zeit von andern
schon ausführlicher dargestellt worden ist, so empfangen die doch bereits be¬
kannten Thatsachen erst hier, wo sie als Bestandteile der Volkswirtschaft im
Zusammenhange mit den übrigen erscheinen, die rechte Beleuchtung, abgesehen
von der Beibringung neuen urkundlichen Materials. Das gilt jedoch nur für
Handwerk und Kaufmannschaft; seine ausschließlich aus Urkunden geschöpfte
Darstellung des Bergbaues und Salinenwesens jener Zeit bietet völlig neues,
während in den Abschnitten über den Geldverkehr, das Münzwesen und die
Pfand- und Leihgeschüfte die bisherigen Darstellungen in wesentlichen Punkten
ergänzt und berichtigt werden. Alls diese Einzelheiten können wir nun nicht
eingehen; dagegen wollen wir versuchen, nach Jnamas Darstellung in einigen
Umrissen, die freilich nur sehr ungenau ausfallen können, den Verlauf zu
zeichnen, den die Veränderungen des Grundbesitzes in dem angegebenen Zeit¬
raum genommen haben.

Unter der fränkischen Herrschaft war mit der alten deutschen Gau- und
Gemeindeverfassung auch der freie Bauernstand zu Grunde gegangen. Die
Nachkommen der Geineinfreien mehrten teils die Zahl der anch in alter Zeit
schon vorhandenen leibeignen Knechte, teils wurden sie Frvhnbaneru der großen
Gntsherrschaften, der Königs-, Edel-, bischöflichen und Klosterhöfe. Der Herren-
vder Frohnhof (s^in, pill-r, ourtis, euren clowinivg.) bildet den Kopf und zugleich
das Herz des wirtschaftliche« Lebens für die ganze Umgegend. Von hier ans
wird das unmittelbar zum Hofe gehörige Snlland unter der Leitung des Herrn
oder seines Meiers (major, vilUvus) bewirtschaftet, von hier aus werden die
entfernteren Grundstücke an frohnpflichtige Bauern in einzelnen Hufen verteilt,
wird die Bewirtschaftung dieser Hufen beaufsichtigt, und an den Herrenhof
wird der Überschuß des Ertrages dieser Hufen über das zur Ernährung der
Banernfcunilie und ihres Viehs notwendige abgeliefert. In wirtschaftlicher
Beziehung war diese Konzentration des Betriebes ein Vorteil, der mit einer
vorübergehenden Minderung der Freiheit des Bauernstandes nicht zu teuer
erkauft wurde. Denn die alte deutsche Markgenossenschaft hatte den Ackerbau
halb nomadisch betrieben, so extensiv und kunstlos, daß zur Ernährung einer
'Familie ein übermäßig großes Stück Land erfordert wurde, und daß die
Wirtschaft, selbst wenn sie die ganze Arbeitskraft der Familie und ihrer Sklaven
verschlang, keinen Überschuß über deren Bedarf abwarf. Bei der Besitznahme
des römischen Galliens lernten die Franken einen kunstvolleren und inten¬
siverer Anbau keimen, den sie sich nun aneigneten (ohne eigne Mühe, wie


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[0261] Zur deutschen Mirtschaftsgeschichte der Rinder-, Schaf-, Schweine- und Pferdezucht stand, wie die Frohnden ver¬ teilt und die Fröhner beköstigt wurden; wir sehen, wie sich die Gewerbe, nachdem sie in der vorhergehenden Periode fast nur vou Leibeignen auf dem Frohnhof betrieben worden waren, allmählich ablösten und in den Städten Selbständigkeit erlangten, wie sich der Handel und der Marktverkehr entfalteten. Und wenn auch die Gewerbe- und Handelsgeschichte jener Zeit von andern schon ausführlicher dargestellt worden ist, so empfangen die doch bereits be¬ kannten Thatsachen erst hier, wo sie als Bestandteile der Volkswirtschaft im Zusammenhange mit den übrigen erscheinen, die rechte Beleuchtung, abgesehen von der Beibringung neuen urkundlichen Materials. Das gilt jedoch nur für Handwerk und Kaufmannschaft; seine ausschließlich aus Urkunden geschöpfte Darstellung des Bergbaues und Salinenwesens jener Zeit bietet völlig neues, während in den Abschnitten über den Geldverkehr, das Münzwesen und die Pfand- und Leihgeschüfte die bisherigen Darstellungen in wesentlichen Punkten ergänzt und berichtigt werden. Alls diese Einzelheiten können wir nun nicht eingehen; dagegen wollen wir versuchen, nach Jnamas Darstellung in einigen Umrissen, die freilich nur sehr ungenau ausfallen können, den Verlauf zu zeichnen, den die Veränderungen des Grundbesitzes in dem angegebenen Zeit¬ raum genommen haben. Unter der fränkischen Herrschaft war mit der alten deutschen Gau- und Gemeindeverfassung auch der freie Bauernstand zu Grunde gegangen. Die Nachkommen der Geineinfreien mehrten teils die Zahl der anch in alter Zeit schon vorhandenen leibeignen Knechte, teils wurden sie Frvhnbaneru der großen Gntsherrschaften, der Königs-, Edel-, bischöflichen und Klosterhöfe. Der Herren- vder Frohnhof (s^in, pill-r, ourtis, euren clowinivg.) bildet den Kopf und zugleich das Herz des wirtschaftliche« Lebens für die ganze Umgegend. Von hier ans wird das unmittelbar zum Hofe gehörige Snlland unter der Leitung des Herrn oder seines Meiers (major, vilUvus) bewirtschaftet, von hier aus werden die entfernteren Grundstücke an frohnpflichtige Bauern in einzelnen Hufen verteilt, wird die Bewirtschaftung dieser Hufen beaufsichtigt, und an den Herrenhof wird der Überschuß des Ertrages dieser Hufen über das zur Ernährung der Banernfcunilie und ihres Viehs notwendige abgeliefert. In wirtschaftlicher Beziehung war diese Konzentration des Betriebes ein Vorteil, der mit einer vorübergehenden Minderung der Freiheit des Bauernstandes nicht zu teuer erkauft wurde. Denn die alte deutsche Markgenossenschaft hatte den Ackerbau halb nomadisch betrieben, so extensiv und kunstlos, daß zur Ernährung einer 'Familie ein übermäßig großes Stück Land erfordert wurde, und daß die Wirtschaft, selbst wenn sie die ganze Arbeitskraft der Familie und ihrer Sklaven verschlang, keinen Überschuß über deren Bedarf abwarf. Bei der Besitznahme des römischen Galliens lernten die Franken einen kunstvolleren und inten¬ siverer Anbau keimen, den sie sich nun aneigneten (ohne eigne Mühe, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/261>, abgerufen am 23.07.2024.