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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zgnaz von Döllinger

bürgerlichen Gesetzbuches wenig Empfehlung zu verdienen. Dein § 92 des
Entwurfes ist zu entnehmen, daß ein schriftlicher Vertrag als solcher schon
dann rechtsgiltig ist, wenn er von den vertragenden Teilen "eigenhändig unter¬
schrieben oder mittelst gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens
unterzeichnet" ist. Es macht sich also auch ein des Lesens und Schreibens
Unkundiger verbindlich, wenn er nur eine Urkunde unterkreuzt und dann dieses
Handzeichen beglaubigt wird. Es kann dabei vorkommen, daß sich ein solcher
Schriftunkundiger lediglich auf die Ehrlichkeit seines Vertragsgenossen verläßt
und dann, wenn er es mit keinem Biedermann zu thun hat, auf die schänd¬
lichste Weise betrogen wird, wenn er etwas unterkreuzt, was ganz anders
lautet, als er glaubt. Es ist doch klar, daß Schriftunkundigc, da sie die
Schriftzüge nicht zu erkennen vermögen, in dieser Hinsicht gleich den Blinden
zu erachten sind, für die besondre Formen vorgeschrieben sind. Darum hat z. B.
das preußische Allgemeine Landrecht die Bestimmung getroffen, daß der
Schriftnnkundige stets vor einer amtlichen Stelle das erklären muß, wozu er
sich verpflichten will, und den Wortlaut seiner Erklärung sicher erfährt.
Es ist mir unverständlich, weshalb der Entwurf diesen Schutz des Schwachen
beseitigen will. Was könnten Wucherer mit dem ->2 alles anstiften! Von
einem solchen Standpunkte aus wäre auch ein Wuchergesetz verwerflich. Denn
könnte es bei dem Satze bewenden: Sehe jeder, wo er bleibe (auch der Blinde),
und wer steht, daß er nicht falle! Und selbst für den Blinden sind in dem
Entwurf die besondern schützenden Formen gefallen!

Ich glaube aber, daß die Zahl derer sich stetig vermehrt, die erkennt,
daß unser aller Wohl und Wehe am letzten Ende davon abhängt, daß es
unsrer Landwirtschaft wohlergehe. Das sollten anch unsre freisinnigen
Hypothekengläubiger bedenken und nicht durch Unterstützung der Manchcster-
lcute bei den Wahlen helfen, deu Ast abzusägen, ans dem sie, was sie nur nicht
wissen, selbst ansitzen.




Ignaz von Döllinger

in Auguste von Littrow-Bischoff Erinnerungen an Grillparzer
und Gespräche mit ihm, wie Ilse Frapan Erinnerungen an
Fr. Theodcr Bischer, so hat nun auch eine hochgebildete Frnn,
Luise von Kobell (Frnn Staatsrat von Eisenbart), Erinne¬
rungen an einen dritten (freilich noch lange nicht den letzten)
großen Junggesellen unsrer Litteratur, Jgunz von Döllinger, veröffentlicht
(München, C. H. Beclschc Verlagsbuchhandlung, 1891) und sich damit ein


Zgnaz von Döllinger

bürgerlichen Gesetzbuches wenig Empfehlung zu verdienen. Dein § 92 des
Entwurfes ist zu entnehmen, daß ein schriftlicher Vertrag als solcher schon
dann rechtsgiltig ist, wenn er von den vertragenden Teilen „eigenhändig unter¬
schrieben oder mittelst gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens
unterzeichnet" ist. Es macht sich also auch ein des Lesens und Schreibens
Unkundiger verbindlich, wenn er nur eine Urkunde unterkreuzt und dann dieses
Handzeichen beglaubigt wird. Es kann dabei vorkommen, daß sich ein solcher
Schriftunkundiger lediglich auf die Ehrlichkeit seines Vertragsgenossen verläßt
und dann, wenn er es mit keinem Biedermann zu thun hat, auf die schänd¬
lichste Weise betrogen wird, wenn er etwas unterkreuzt, was ganz anders
lautet, als er glaubt. Es ist doch klar, daß Schriftunkundigc, da sie die
Schriftzüge nicht zu erkennen vermögen, in dieser Hinsicht gleich den Blinden
zu erachten sind, für die besondre Formen vorgeschrieben sind. Darum hat z. B.
das preußische Allgemeine Landrecht die Bestimmung getroffen, daß der
Schriftnnkundige stets vor einer amtlichen Stelle das erklären muß, wozu er
sich verpflichten will, und den Wortlaut seiner Erklärung sicher erfährt.
Es ist mir unverständlich, weshalb der Entwurf diesen Schutz des Schwachen
beseitigen will. Was könnten Wucherer mit dem ->2 alles anstiften! Von
einem solchen Standpunkte aus wäre auch ein Wuchergesetz verwerflich. Denn
könnte es bei dem Satze bewenden: Sehe jeder, wo er bleibe (auch der Blinde),
und wer steht, daß er nicht falle! Und selbst für den Blinden sind in dem
Entwurf die besondern schützenden Formen gefallen!

Ich glaube aber, daß die Zahl derer sich stetig vermehrt, die erkennt,
daß unser aller Wohl und Wehe am letzten Ende davon abhängt, daß es
unsrer Landwirtschaft wohlergehe. Das sollten anch unsre freisinnigen
Hypothekengläubiger bedenken und nicht durch Unterstützung der Manchcster-
lcute bei den Wahlen helfen, deu Ast abzusägen, ans dem sie, was sie nur nicht
wissen, selbst ansitzen.




Ignaz von Döllinger

in Auguste von Littrow-Bischoff Erinnerungen an Grillparzer
und Gespräche mit ihm, wie Ilse Frapan Erinnerungen an
Fr. Theodcr Bischer, so hat nun auch eine hochgebildete Frnn,
Luise von Kobell (Frnn Staatsrat von Eisenbart), Erinne¬
rungen an einen dritten (freilich noch lange nicht den letzten)
großen Junggesellen unsrer Litteratur, Jgunz von Döllinger, veröffentlicht
(München, C. H. Beclschc Verlagsbuchhandlung, 1891) und sich damit ein


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[0171] Zgnaz von Döllinger bürgerlichen Gesetzbuches wenig Empfehlung zu verdienen. Dein § 92 des Entwurfes ist zu entnehmen, daß ein schriftlicher Vertrag als solcher schon dann rechtsgiltig ist, wenn er von den vertragenden Teilen „eigenhändig unter¬ schrieben oder mittelst gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet" ist. Es macht sich also auch ein des Lesens und Schreibens Unkundiger verbindlich, wenn er nur eine Urkunde unterkreuzt und dann dieses Handzeichen beglaubigt wird. Es kann dabei vorkommen, daß sich ein solcher Schriftunkundiger lediglich auf die Ehrlichkeit seines Vertragsgenossen verläßt und dann, wenn er es mit keinem Biedermann zu thun hat, auf die schänd¬ lichste Weise betrogen wird, wenn er etwas unterkreuzt, was ganz anders lautet, als er glaubt. Es ist doch klar, daß Schriftunkundigc, da sie die Schriftzüge nicht zu erkennen vermögen, in dieser Hinsicht gleich den Blinden zu erachten sind, für die besondre Formen vorgeschrieben sind. Darum hat z. B. das preußische Allgemeine Landrecht die Bestimmung getroffen, daß der Schriftnnkundige stets vor einer amtlichen Stelle das erklären muß, wozu er sich verpflichten will, und den Wortlaut seiner Erklärung sicher erfährt. Es ist mir unverständlich, weshalb der Entwurf diesen Schutz des Schwachen beseitigen will. Was könnten Wucherer mit dem ->2 alles anstiften! Von einem solchen Standpunkte aus wäre auch ein Wuchergesetz verwerflich. Denn könnte es bei dem Satze bewenden: Sehe jeder, wo er bleibe (auch der Blinde), und wer steht, daß er nicht falle! Und selbst für den Blinden sind in dem Entwurf die besondern schützenden Formen gefallen! Ich glaube aber, daß die Zahl derer sich stetig vermehrt, die erkennt, daß unser aller Wohl und Wehe am letzten Ende davon abhängt, daß es unsrer Landwirtschaft wohlergehe. Das sollten anch unsre freisinnigen Hypothekengläubiger bedenken und nicht durch Unterstützung der Manchcster- lcute bei den Wahlen helfen, deu Ast abzusägen, ans dem sie, was sie nur nicht wissen, selbst ansitzen. Ignaz von Döllinger in Auguste von Littrow-Bischoff Erinnerungen an Grillparzer und Gespräche mit ihm, wie Ilse Frapan Erinnerungen an Fr. Theodcr Bischer, so hat nun auch eine hochgebildete Frnn, Luise von Kobell (Frnn Staatsrat von Eisenbart), Erinne¬ rungen an einen dritten (freilich noch lange nicht den letzten) großen Junggesellen unsrer Litteratur, Jgunz von Döllinger, veröffentlicht (München, C. H. Beclschc Verlagsbuchhandlung, 1891) und sich damit ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/171>, abgerufen am 13.11.2024.