Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.Zgnaz von Döllinger schönes Verdienst um die Kenntnis Döllingers als Menschen erworben. Daß Zgnaz von Döllinger schönes Verdienst um die Kenntnis Döllingers als Menschen erworben. Daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289940"/> <fw type="header" place="top"> Zgnaz von Döllinger</fw><lb/> <p xml:id="ID_485" prev="#ID_484" next="#ID_486"> schönes Verdienst um die Kenntnis Döllingers als Menschen erworben. Daß<lb/> gerade Frauen solche Bücher schreiben können, ist kein Zufall, sondern scheint<lb/> uns in den Umstünden selbst begründet zu sein. Frauen dürfen mit einem<lb/> berühmten Gelehrten anders als Männer verkehren, vollends wenn diese<lb/> Männer dem nachgewachsenen Geschlecht angehören. Mit Männern ist der Ver¬<lb/> kehr ein sachlicher; die Frage eines Mannes uach dem Privatleben und nach<lb/> persönlichen Erfahrungen in der Vergangenheit empfindet der vielumschwnrmte<lb/> berühmte Manu leicht als Vorwitz, als Ausforschung und Aushvlung, als<lb/> Jagd nach biographischen Notizen. Mit Frauen verkehrt er aber nnr als<lb/> Privatmann, ihre Neugierde thut ihm wohl, mit ihnen spricht er leicht von<lb/> Mutter und Schwestern. Auch als alter Mann, und da umso mehr, ist man<lb/> Frauen gegenüber gern artig, schon um dem Vorwurfe der Greisenhaftigkeit<lb/> vorzubeugen, vollends wenn mau Junggeselle geblieben ist, wie Bischer, Grill-<lb/> parzer, Döllinger. Daher kommen Frauen leicht zu Mitteilungen und Be¬<lb/> obachtungen, die einem Manne unerreichbar geblieben wären. Frau von Kvbells<lb/> Erinnerungen an Döllinger dürfen darum auch als eine wertvolle Quelle zur<lb/> Kenntnis des Menschen in dem berühmte» Theologen betrachtet werden. Sie<lb/> hat das Glück gehabt, länger als zehn Jahre mit Döllinger in vertrautem<lb/> Verkehre zu stehen. Beide gingen seit 1881 an jedem Freitag Nachmittag,<lb/> anch bei schlechtem Wetter, im englischen Garten zu München spazieren, oft<lb/> auch in Gesellschaft des Gatten der Erzählerin. Auch sonst sahen sie sich öfter.<lb/> Döllinger war der gelehrten Dichtertochter, die eine Lebensbeschreibung Franz<lb/> von Kobells verfaßt hatte, gern mit seinen Kenntnissen und mit seiner<lb/> Bibliothek behilflich; man sah sich oft bei Tische entweder im eignen Hause oder<lb/> um einem dritten, gemeinsam befrenndeten Orte. So hatte Fran von Kobell<lb/> Gelegenheit, sehr viel von Döllinger zu erfahren, und dn sie ein gutes Ge¬<lb/> dächtnis zu haben scheint, so war sie imstande, sich alle Äußerungen des<lb/> außerordentlichen Mannes wörtlich zu merken und aufzuzeichnen. Sie hat es<lb/> mit großer Treue gethan, denn mau hört seinen Stil dentlich heraus, und<lb/> das verdient umso mehr Bewunderung, als Döllinger ein glänzender Plauderer<lb/> war, der sich gern mitteilte und sein erstaunliches Wissen stets bei den geringsten<lb/> Anlässen leicht und anmutig verriet; es kann nicht leicht gewesen sein, sich<lb/> alle seine geschichtlichen Erinnerungen und Beziehungen zu merken. Er springt<lb/> beim Plaudern durch die entferntesten Zeiträume, reiht an eine Anekdote von<lb/> Montesquieu eine Erinnerung um einen Papst, Erzählung und Betrachtung<lb/> durchflechten sich, und sehr oft sind es ganz neue wissenschaftliche Gesichts-<lb/> punkte, die er im heitern Plauderton eröffnet. Um nur folgen zu können, setzt<lb/> das schon eine nicht gewöhnliche Bildung voraus, wenigstens die Fähigkeit,<lb/> von der Höhe der Universalgeschichte Menschen und Ereignisse zu betrachten.<lb/> Die außerordentliche Klarheit seiner Gedanken und die natürliche Geradheit<lb/> seines Fühlens kommt allerdings dein Hörer zu gute. Daher kommt es, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0172]
Zgnaz von Döllinger
schönes Verdienst um die Kenntnis Döllingers als Menschen erworben. Daß
gerade Frauen solche Bücher schreiben können, ist kein Zufall, sondern scheint
uns in den Umstünden selbst begründet zu sein. Frauen dürfen mit einem
berühmten Gelehrten anders als Männer verkehren, vollends wenn diese
Männer dem nachgewachsenen Geschlecht angehören. Mit Männern ist der Ver¬
kehr ein sachlicher; die Frage eines Mannes uach dem Privatleben und nach
persönlichen Erfahrungen in der Vergangenheit empfindet der vielumschwnrmte
berühmte Manu leicht als Vorwitz, als Ausforschung und Aushvlung, als
Jagd nach biographischen Notizen. Mit Frauen verkehrt er aber nnr als
Privatmann, ihre Neugierde thut ihm wohl, mit ihnen spricht er leicht von
Mutter und Schwestern. Auch als alter Mann, und da umso mehr, ist man
Frauen gegenüber gern artig, schon um dem Vorwurfe der Greisenhaftigkeit
vorzubeugen, vollends wenn mau Junggeselle geblieben ist, wie Bischer, Grill-
parzer, Döllinger. Daher kommen Frauen leicht zu Mitteilungen und Be¬
obachtungen, die einem Manne unerreichbar geblieben wären. Frau von Kvbells
Erinnerungen an Döllinger dürfen darum auch als eine wertvolle Quelle zur
Kenntnis des Menschen in dem berühmte» Theologen betrachtet werden. Sie
hat das Glück gehabt, länger als zehn Jahre mit Döllinger in vertrautem
Verkehre zu stehen. Beide gingen seit 1881 an jedem Freitag Nachmittag,
anch bei schlechtem Wetter, im englischen Garten zu München spazieren, oft
auch in Gesellschaft des Gatten der Erzählerin. Auch sonst sahen sie sich öfter.
Döllinger war der gelehrten Dichtertochter, die eine Lebensbeschreibung Franz
von Kobells verfaßt hatte, gern mit seinen Kenntnissen und mit seiner
Bibliothek behilflich; man sah sich oft bei Tische entweder im eignen Hause oder
um einem dritten, gemeinsam befrenndeten Orte. So hatte Fran von Kobell
Gelegenheit, sehr viel von Döllinger zu erfahren, und dn sie ein gutes Ge¬
dächtnis zu haben scheint, so war sie imstande, sich alle Äußerungen des
außerordentlichen Mannes wörtlich zu merken und aufzuzeichnen. Sie hat es
mit großer Treue gethan, denn mau hört seinen Stil dentlich heraus, und
das verdient umso mehr Bewunderung, als Döllinger ein glänzender Plauderer
war, der sich gern mitteilte und sein erstaunliches Wissen stets bei den geringsten
Anlässen leicht und anmutig verriet; es kann nicht leicht gewesen sein, sich
alle seine geschichtlichen Erinnerungen und Beziehungen zu merken. Er springt
beim Plaudern durch die entferntesten Zeiträume, reiht an eine Anekdote von
Montesquieu eine Erinnerung um einen Papst, Erzählung und Betrachtung
durchflechten sich, und sehr oft sind es ganz neue wissenschaftliche Gesichts-
punkte, die er im heitern Plauderton eröffnet. Um nur folgen zu können, setzt
das schon eine nicht gewöhnliche Bildung voraus, wenigstens die Fähigkeit,
von der Höhe der Universalgeschichte Menschen und Ereignisse zu betrachten.
Die außerordentliche Klarheit seiner Gedanken und die natürliche Geradheit
seines Fühlens kommt allerdings dein Hörer zu gute. Daher kommt es, daß
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