Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Lcmdwncher

schmückende .Krone des Systems -- sondern von einer vollkommen berechtigten
Kritik der gegenwärtigen Gesellschaftseinrichtnngen und von der Frage, wie
der Not der untern Klassen abzuhelfen sei. Darum mögen immerhin die "uto¬
pistischen Prophezeiungen" eines Bellcnny als ,,Narrenspossen und Schwindel"
bezeichnet werden, aber um solche handelt es sich gar nicht bei unsrer Arbeiter¬
bewegung, sondern neben vielen andern gleichwichtigen uuter audern z. B.
um die Frage, ob die Bergleute und die Leineweber bei einer gewissen Lohn¬
höhe und einer gewissen Arbeitszeit noch imstande sind, Seiner Majestät dem
König gesunde Jungen zum Heere zu stellen. Der Verfasser wird selbst zu¬
geben, daß die Frage, ob wir nach hundert Jahren in Deutschland eine mehr
oder weniger republikanische Staatsform, mehr oder weniger sozialistische Ge¬
sellschaftseinrichtungen haben werden, eine wahre Lappalie ist im Vergleich zu
der Frage, ob wir in fünfzig Jahren überhaupt noch ein deutsches Volk oder
statt dessen nur noch ein proletarisches Gesindel haben. Wenn aber der Ver¬
fasser glaubt, daß diese Frage auch ohne die Sozialdemokratie aufgeworfen
worden sein würde, dann täuscht er sich. Der Staat soll uoch auf die Welt
kommen, dessen Beamten nicht blind gegen beginnendes Volkselend wären; der
preußische Kriegsminister dürfte so ziemlich der einzige sein, der eine Aus¬
nahme macht von der allgemeinen Regel. Nachdem einst dank dem kräftigen
Anstoß, den die Sozialdemokratie gegeben hat, dem gemeinen Manne seine
Existenz wieder sicher gestellt sein wird, werden die Arbeiter Wohl auch wegen
der Verbesserung ihrer Philosophie und Religion mit sich reden lassen, und
die Vertreter der bürgerlichen Parteien werden dann ein dankbares Feld finde",
wenn sie den Arbeitern statt der materialistischen Philosophie eine andre bringen
wollen, wofern sie nämlich selbst -- eine andre haben. Die üble Laune ist
in allen Dingen ein schlechter Ratgeber, auch im Kampfe gegen die Sozial¬
demokratie.




Der Landwucher

cum anch in dem neutestamentlichen Gleichnis vom Schalksknecht
(Matthäus 25. Vers 14-30; Lukas 19, Vers 12--2V) das
Wuchern mit dem Pfunde, nicht aber dessen Vergrabung für
das irdische Leben als das rechte hingestellt ist, so hat doch das
im Mittelalter auch für staatliche Gesetze vorbildliche kanonische
Recht jedes Zinsuehmen als Wucher durch geistliche Strafen bedroht, für
Priester mit Ausstoßung ans ihrem Stande, für Laien mit Versagung der


Der Lcmdwncher

schmückende .Krone des Systems — sondern von einer vollkommen berechtigten
Kritik der gegenwärtigen Gesellschaftseinrichtnngen und von der Frage, wie
der Not der untern Klassen abzuhelfen sei. Darum mögen immerhin die „uto¬
pistischen Prophezeiungen" eines Bellcnny als ,,Narrenspossen und Schwindel"
bezeichnet werden, aber um solche handelt es sich gar nicht bei unsrer Arbeiter¬
bewegung, sondern neben vielen andern gleichwichtigen uuter audern z. B.
um die Frage, ob die Bergleute und die Leineweber bei einer gewissen Lohn¬
höhe und einer gewissen Arbeitszeit noch imstande sind, Seiner Majestät dem
König gesunde Jungen zum Heere zu stellen. Der Verfasser wird selbst zu¬
geben, daß die Frage, ob wir nach hundert Jahren in Deutschland eine mehr
oder weniger republikanische Staatsform, mehr oder weniger sozialistische Ge¬
sellschaftseinrichtungen haben werden, eine wahre Lappalie ist im Vergleich zu
der Frage, ob wir in fünfzig Jahren überhaupt noch ein deutsches Volk oder
statt dessen nur noch ein proletarisches Gesindel haben. Wenn aber der Ver¬
fasser glaubt, daß diese Frage auch ohne die Sozialdemokratie aufgeworfen
worden sein würde, dann täuscht er sich. Der Staat soll uoch auf die Welt
kommen, dessen Beamten nicht blind gegen beginnendes Volkselend wären; der
preußische Kriegsminister dürfte so ziemlich der einzige sein, der eine Aus¬
nahme macht von der allgemeinen Regel. Nachdem einst dank dem kräftigen
Anstoß, den die Sozialdemokratie gegeben hat, dem gemeinen Manne seine
Existenz wieder sicher gestellt sein wird, werden die Arbeiter Wohl auch wegen
der Verbesserung ihrer Philosophie und Religion mit sich reden lassen, und
die Vertreter der bürgerlichen Parteien werden dann ein dankbares Feld finde»,
wenn sie den Arbeitern statt der materialistischen Philosophie eine andre bringen
wollen, wofern sie nämlich selbst — eine andre haben. Die üble Laune ist
in allen Dingen ein schlechter Ratgeber, auch im Kampfe gegen die Sozial¬
demokratie.




Der Landwucher

cum anch in dem neutestamentlichen Gleichnis vom Schalksknecht
(Matthäus 25. Vers 14-30; Lukas 19, Vers 12—2V) das
Wuchern mit dem Pfunde, nicht aber dessen Vergrabung für
das irdische Leben als das rechte hingestellt ist, so hat doch das
im Mittelalter auch für staatliche Gesetze vorbildliche kanonische
Recht jedes Zinsuehmen als Wucher durch geistliche Strafen bedroht, für
Priester mit Ausstoßung ans ihrem Stande, für Laien mit Versagung der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0122" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289890"/>
            <fw type="header" place="top"> Der Lcmdwncher</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_349" prev="#ID_348"> schmückende .Krone des Systems &#x2014; sondern von einer vollkommen berechtigten<lb/>
Kritik der gegenwärtigen Gesellschaftseinrichtnngen und von der Frage, wie<lb/>
der Not der untern Klassen abzuhelfen sei. Darum mögen immerhin die &#x201E;uto¬<lb/>
pistischen Prophezeiungen" eines Bellcnny als ,,Narrenspossen und Schwindel"<lb/>
bezeichnet werden, aber um solche handelt es sich gar nicht bei unsrer Arbeiter¬<lb/>
bewegung, sondern neben vielen andern gleichwichtigen uuter audern z. B.<lb/>
um die Frage, ob die Bergleute und die Leineweber bei einer gewissen Lohn¬<lb/>
höhe und einer gewissen Arbeitszeit noch imstande sind, Seiner Majestät dem<lb/>
König gesunde Jungen zum Heere zu stellen. Der Verfasser wird selbst zu¬<lb/>
geben, daß die Frage, ob wir nach hundert Jahren in Deutschland eine mehr<lb/>
oder weniger republikanische Staatsform, mehr oder weniger sozialistische Ge¬<lb/>
sellschaftseinrichtungen haben werden, eine wahre Lappalie ist im Vergleich zu<lb/>
der Frage, ob wir in fünfzig Jahren überhaupt noch ein deutsches Volk oder<lb/>
statt dessen nur noch ein proletarisches Gesindel haben. Wenn aber der Ver¬<lb/>
fasser glaubt, daß diese Frage auch ohne die Sozialdemokratie aufgeworfen<lb/>
worden sein würde, dann täuscht er sich. Der Staat soll uoch auf die Welt<lb/>
kommen, dessen Beamten nicht blind gegen beginnendes Volkselend wären; der<lb/>
preußische Kriegsminister dürfte so ziemlich der einzige sein, der eine Aus¬<lb/>
nahme macht von der allgemeinen Regel. Nachdem einst dank dem kräftigen<lb/>
Anstoß, den die Sozialdemokratie gegeben hat, dem gemeinen Manne seine<lb/>
Existenz wieder sicher gestellt sein wird, werden die Arbeiter Wohl auch wegen<lb/>
der Verbesserung ihrer Philosophie und Religion mit sich reden lassen, und<lb/>
die Vertreter der bürgerlichen Parteien werden dann ein dankbares Feld finde»,<lb/>
wenn sie den Arbeitern statt der materialistischen Philosophie eine andre bringen<lb/>
wollen, wofern sie nämlich selbst &#x2014; eine andre haben. Die üble Laune ist<lb/>
in allen Dingen ein schlechter Ratgeber, auch im Kampfe gegen die Sozial¬<lb/>
demokratie.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Landwucher</head><lb/>
          <p xml:id="ID_350" next="#ID_351"> cum anch in dem neutestamentlichen Gleichnis vom Schalksknecht<lb/>
(Matthäus 25. Vers 14-30; Lukas 19, Vers 12&#x2014;2V) das<lb/>
Wuchern mit dem Pfunde, nicht aber dessen Vergrabung für<lb/>
das irdische Leben als das rechte hingestellt ist, so hat doch das<lb/>
im Mittelalter auch für staatliche Gesetze vorbildliche kanonische<lb/>
Recht jedes Zinsuehmen als Wucher durch geistliche Strafen bedroht, für<lb/>
Priester mit Ausstoßung ans ihrem Stande, für Laien mit Versagung der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0122] Der Lcmdwncher schmückende .Krone des Systems — sondern von einer vollkommen berechtigten Kritik der gegenwärtigen Gesellschaftseinrichtnngen und von der Frage, wie der Not der untern Klassen abzuhelfen sei. Darum mögen immerhin die „uto¬ pistischen Prophezeiungen" eines Bellcnny als ,,Narrenspossen und Schwindel" bezeichnet werden, aber um solche handelt es sich gar nicht bei unsrer Arbeiter¬ bewegung, sondern neben vielen andern gleichwichtigen uuter audern z. B. um die Frage, ob die Bergleute und die Leineweber bei einer gewissen Lohn¬ höhe und einer gewissen Arbeitszeit noch imstande sind, Seiner Majestät dem König gesunde Jungen zum Heere zu stellen. Der Verfasser wird selbst zu¬ geben, daß die Frage, ob wir nach hundert Jahren in Deutschland eine mehr oder weniger republikanische Staatsform, mehr oder weniger sozialistische Ge¬ sellschaftseinrichtungen haben werden, eine wahre Lappalie ist im Vergleich zu der Frage, ob wir in fünfzig Jahren überhaupt noch ein deutsches Volk oder statt dessen nur noch ein proletarisches Gesindel haben. Wenn aber der Ver¬ fasser glaubt, daß diese Frage auch ohne die Sozialdemokratie aufgeworfen worden sein würde, dann täuscht er sich. Der Staat soll uoch auf die Welt kommen, dessen Beamten nicht blind gegen beginnendes Volkselend wären; der preußische Kriegsminister dürfte so ziemlich der einzige sein, der eine Aus¬ nahme macht von der allgemeinen Regel. Nachdem einst dank dem kräftigen Anstoß, den die Sozialdemokratie gegeben hat, dem gemeinen Manne seine Existenz wieder sicher gestellt sein wird, werden die Arbeiter Wohl auch wegen der Verbesserung ihrer Philosophie und Religion mit sich reden lassen, und die Vertreter der bürgerlichen Parteien werden dann ein dankbares Feld finde», wenn sie den Arbeitern statt der materialistischen Philosophie eine andre bringen wollen, wofern sie nämlich selbst — eine andre haben. Die üble Laune ist in allen Dingen ein schlechter Ratgeber, auch im Kampfe gegen die Sozial¬ demokratie. Der Landwucher cum anch in dem neutestamentlichen Gleichnis vom Schalksknecht (Matthäus 25. Vers 14-30; Lukas 19, Vers 12—2V) das Wuchern mit dem Pfunde, nicht aber dessen Vergrabung für das irdische Leben als das rechte hingestellt ist, so hat doch das im Mittelalter auch für staatliche Gesetze vorbildliche kanonische Recht jedes Zinsuehmen als Wucher durch geistliche Strafen bedroht, für Priester mit Ausstoßung ans ihrem Stande, für Laien mit Versagung der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/122
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/122>, abgerufen am 13.11.2024.