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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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wer hat Recht?

ein ersten der beiden nachfolgende" Artikel haben wir die Auf¬
nahme nicht versagen wollen, obgleich er mit dem, was sonst
nnn schon seit längerer Zeit durch die Grenzbvtenanfsätze über
die soziale Frage als Grundton klingt, nicht übereinstimmt. Wir
erlauben uns aber, nnter Nummer 2 eine Kritik danebenzn-
stellen, mit dem Wunsche, daß dadurch solche Leser, die bisher noch immer
an dieser wichtigen Frage gleichartig vorübergegangen sind, veranlaßt werden
mochten, Stellung dazu zu nehmen.

1
Die geschichtlichen Anfänge der sozialdemokratischen Partei

Am 1. Juni hat der sozialdemokratische Abgeordnete von Bvllmar in
München in einer Versammlung der dortigen sozialdemokratischen Partei eine
Rede gehalten, die in der Partei und außerhalb großes Aussehen erregt hat.
Sie handelt über das Thema: "Die Entwicklung der Sozialdemokratie nnter
dem neuen Kurs" und führt den Satz durch, daß die politische Thätigkeit der
Sozinldemokratie heute eine andre sein müsse, als unter der Herrschaft des
Svzialisteugcsetzes. Das sei ein Ergebnis des veränderten Kurses der Negierung,
die mit Unrecht behaupte, daß der Kurs der alte geblieben sei.

Nun ist es gar keine Frage, daß Vollmars Rede von den andern sozial-
demokratischen Reden, die man sonst überall im Reiche und besonders in der
Hauptstadt zum besten giebt, in ihrem Tone sehr abweicht. Vollmar will
z. B. anerkennen, daß die sozialdemokratische Forderung ans internationale
Regelung des Arbeitsschutzes einen Ansatz von Verwirklichung in der inter¬
nationalen Arbcitcrschntzkonfcrenz in Berlin gefunden habe. Sei diese ziemlich
ergebnislos verlaufen, so sei nur das Kapital daran schuld. Auch könne man
heute einen legalen Einfluß auf den Gang der öffentlichen Angelegenheiten
nehmen. Daß das früher auch nur von dem guten Willen der sozialdeuiv-
kratischen Abgeordneten und von ein wenig Verstand und Mäßigung der Partei
abgehangen hat, davon schweigt natürlich der Redner. Man merkt es aber
seiner Rede an, daß er diese für alles wirksame politische Handeln notwendige
Eigenschaft in dem frühern Verhalten der Sozialdemokratie einigermaßen ver-




wer hat Recht?

ein ersten der beiden nachfolgende» Artikel haben wir die Auf¬
nahme nicht versagen wollen, obgleich er mit dem, was sonst
nnn schon seit längerer Zeit durch die Grenzbvtenanfsätze über
die soziale Frage als Grundton klingt, nicht übereinstimmt. Wir
erlauben uns aber, nnter Nummer 2 eine Kritik danebenzn-
stellen, mit dem Wunsche, daß dadurch solche Leser, die bisher noch immer
an dieser wichtigen Frage gleichartig vorübergegangen sind, veranlaßt werden
mochten, Stellung dazu zu nehmen.

1
Die geschichtlichen Anfänge der sozialdemokratischen Partei

Am 1. Juni hat der sozialdemokratische Abgeordnete von Bvllmar in
München in einer Versammlung der dortigen sozialdemokratischen Partei eine
Rede gehalten, die in der Partei und außerhalb großes Aussehen erregt hat.
Sie handelt über das Thema: „Die Entwicklung der Sozialdemokratie nnter
dem neuen Kurs" und führt den Satz durch, daß die politische Thätigkeit der
Sozinldemokratie heute eine andre sein müsse, als unter der Herrschaft des
Svzialisteugcsetzes. Das sei ein Ergebnis des veränderten Kurses der Negierung,
die mit Unrecht behaupte, daß der Kurs der alte geblieben sei.

Nun ist es gar keine Frage, daß Vollmars Rede von den andern sozial-
demokratischen Reden, die man sonst überall im Reiche und besonders in der
Hauptstadt zum besten giebt, in ihrem Tone sehr abweicht. Vollmar will
z. B. anerkennen, daß die sozialdemokratische Forderung ans internationale
Regelung des Arbeitsschutzes einen Ansatz von Verwirklichung in der inter¬
nationalen Arbcitcrschntzkonfcrenz in Berlin gefunden habe. Sei diese ziemlich
ergebnislos verlaufen, so sei nur das Kapital daran schuld. Auch könne man
heute einen legalen Einfluß auf den Gang der öffentlichen Angelegenheiten
nehmen. Daß das früher auch nur von dem guten Willen der sozialdeuiv-
kratischen Abgeordneten und von ein wenig Verstand und Mäßigung der Partei
abgehangen hat, davon schweigt natürlich der Redner. Man merkt es aber
seiner Rede an, daß er diese für alles wirksame politische Handeln notwendige
Eigenschaft in dem frühern Verhalten der Sozialdemokratie einigermaßen ver-


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[0110] [Abbildung] wer hat Recht? ein ersten der beiden nachfolgende» Artikel haben wir die Auf¬ nahme nicht versagen wollen, obgleich er mit dem, was sonst nnn schon seit längerer Zeit durch die Grenzbvtenanfsätze über die soziale Frage als Grundton klingt, nicht übereinstimmt. Wir erlauben uns aber, nnter Nummer 2 eine Kritik danebenzn- stellen, mit dem Wunsche, daß dadurch solche Leser, die bisher noch immer an dieser wichtigen Frage gleichartig vorübergegangen sind, veranlaßt werden mochten, Stellung dazu zu nehmen. 1 Die geschichtlichen Anfänge der sozialdemokratischen Partei Am 1. Juni hat der sozialdemokratische Abgeordnete von Bvllmar in München in einer Versammlung der dortigen sozialdemokratischen Partei eine Rede gehalten, die in der Partei und außerhalb großes Aussehen erregt hat. Sie handelt über das Thema: „Die Entwicklung der Sozialdemokratie nnter dem neuen Kurs" und führt den Satz durch, daß die politische Thätigkeit der Sozinldemokratie heute eine andre sein müsse, als unter der Herrschaft des Svzialisteugcsetzes. Das sei ein Ergebnis des veränderten Kurses der Negierung, die mit Unrecht behaupte, daß der Kurs der alte geblieben sei. Nun ist es gar keine Frage, daß Vollmars Rede von den andern sozial- demokratischen Reden, die man sonst überall im Reiche und besonders in der Hauptstadt zum besten giebt, in ihrem Tone sehr abweicht. Vollmar will z. B. anerkennen, daß die sozialdemokratische Forderung ans internationale Regelung des Arbeitsschutzes einen Ansatz von Verwirklichung in der inter¬ nationalen Arbcitcrschntzkonfcrenz in Berlin gefunden habe. Sei diese ziemlich ergebnislos verlaufen, so sei nur das Kapital daran schuld. Auch könne man heute einen legalen Einfluß auf den Gang der öffentlichen Angelegenheiten nehmen. Daß das früher auch nur von dem guten Willen der sozialdeuiv- kratischen Abgeordneten und von ein wenig Verstand und Mäßigung der Partei abgehangen hat, davon schweigt natürlich der Redner. Man merkt es aber seiner Rede an, daß er diese für alles wirksame politische Handeln notwendige Eigenschaft in dem frühern Verhalten der Sozialdemokratie einigermaßen ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/110>, abgerufen am 13.11.2024.