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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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wer hat Recht?

mißt; er giebt den Führern den sehr vernünftigen Rat, mehr ins einzelne zu
gehen: "das Erreichte i^doch wohl ohne die Mitwirkung der Sozialdemokratie
durch die unter Bismarcks Regiment und Initiative zu stände gekommene
soziale Gesetzgebung erreichtes betrachten wir nicht als ein Geschenk, sondern
als eine Abschlagszahlung." Was Vvllmar seinen sozialdemokratischen Genossen
zuruft, nicht immer wieder auf die Ereignisse von 1806 und 1870/71 zurück¬
kommen, was er über den Dreibund sagt, sür den er bis zu einem gewissen
Grade eintritt, wie er den nationalen Gedanken nicht durch den der Jnter-
natioualität aufgehoben haben will, was er über das ekelhafte Treiben des
"offiziellen" Frankreichs (bloß des offiziellen?) Rußland gegenüber vorbringt,
das alles läßt sich hören und wenigstens als einen Versuch zu maßvollerer
und nuständiger Betrachtung der vaterländischen Dinge gegenüber den ge¬
wohnten sozialdemokratischen Ungeheuerlichkeiten ansehen. Daß aber dieser
Versuch auch der Anfang sein werde für einen vernünftigen und besonnenen
Gang der Arbeiterbewegung, daß er ein Ausdruck dafür sei, daß man bei den
sozialdemokratischen Führern zu verständigen Forderungen und zum ernsten
Mitarbeiten mit den bürgerlichen Parteien im staatlichen Leben bereit sei, das
ist deshalb kaum anzunehmen, weil der sozialdemokratische Redner gleich im
Anfang seiner Rede den Genossen versichert, daß die Sozialdemokratie in der
Sache die alte bleibe. Und daß dieser Satz nicht etwa nur der Übereifrigen
halber gesagt, die von Anfang an beschwichtigt und besänftigt werden sollten,
daß vielmehr der Ansatz zu besonnener Haltung der Taktik wegen aufgestellt
worden ist, das geht aus einem weitern Artikel des Vollmarschen Parteiorgans,
der "Münchner Post" hervor, der als Ergänzung zu den Ausführungen vom
1. Juni gegeben worden ist und der zeigt, weshalb man jetzt mildere Saiten
aufzieht, zugleich mit der Behauptung, das Bürgertum habe stets das Wesen
der Sozialdemokratie mißverstanden, es sei geflissentlich die Meinung verbreitet
worden, daß die Sozialdemokratin gemeingefährliche Menschen seien, und diese
Anschauung sei noch ziemlich allgemein "gerade in jenen Kreisen, in welchen
unsre Ideen zu verbreiten wir jetzt an der Arbeit sind, auf dem Lande." Man
wolle nicht leugnen, daß die Sozialdemvkrntie eine revolutionäre Partei sei,
aber diese Revolution werde in den Köpfen vor sich gehen, Gewalt werde
nicht bezweckt. Auch in diesem Artikel, der "Bedenken" überschrieben und der
ganz besonders für die ländlichen Kreise, wo man jetzt "an der Arbeit" ist,
geschrieben zu sein scheint, wird darauf hingewiesen, daß die Sozialdemokratie
auch heute auf ihrem alten Boden stehe.

Es wird gut sein, auch unsre Leser von Zeit zu Zeit wieder daran zu
erinnern, wie beschaffe" dieser alte Boden ist. Und so wollen wir denn hier einen
Blick in die Anfnngsgeschichte der Sozialdemvkrntie thun, die diesen Boden
bereitet hat. Es wird das um so nützlicher sein, als für die ganze lange
Entwicklungsreiye des sozinldemokratischen Programms, von den Statuten der


wer hat Recht?

mißt; er giebt den Führern den sehr vernünftigen Rat, mehr ins einzelne zu
gehen: „das Erreichte i^doch wohl ohne die Mitwirkung der Sozialdemokratie
durch die unter Bismarcks Regiment und Initiative zu stände gekommene
soziale Gesetzgebung erreichtes betrachten wir nicht als ein Geschenk, sondern
als eine Abschlagszahlung." Was Vvllmar seinen sozialdemokratischen Genossen
zuruft, nicht immer wieder auf die Ereignisse von 1806 und 1870/71 zurück¬
kommen, was er über den Dreibund sagt, sür den er bis zu einem gewissen
Grade eintritt, wie er den nationalen Gedanken nicht durch den der Jnter-
natioualität aufgehoben haben will, was er über das ekelhafte Treiben des
„offiziellen" Frankreichs (bloß des offiziellen?) Rußland gegenüber vorbringt,
das alles läßt sich hören und wenigstens als einen Versuch zu maßvollerer
und nuständiger Betrachtung der vaterländischen Dinge gegenüber den ge¬
wohnten sozialdemokratischen Ungeheuerlichkeiten ansehen. Daß aber dieser
Versuch auch der Anfang sein werde für einen vernünftigen und besonnenen
Gang der Arbeiterbewegung, daß er ein Ausdruck dafür sei, daß man bei den
sozialdemokratischen Führern zu verständigen Forderungen und zum ernsten
Mitarbeiten mit den bürgerlichen Parteien im staatlichen Leben bereit sei, das
ist deshalb kaum anzunehmen, weil der sozialdemokratische Redner gleich im
Anfang seiner Rede den Genossen versichert, daß die Sozialdemokratie in der
Sache die alte bleibe. Und daß dieser Satz nicht etwa nur der Übereifrigen
halber gesagt, die von Anfang an beschwichtigt und besänftigt werden sollten,
daß vielmehr der Ansatz zu besonnener Haltung der Taktik wegen aufgestellt
worden ist, das geht aus einem weitern Artikel des Vollmarschen Parteiorgans,
der „Münchner Post" hervor, der als Ergänzung zu den Ausführungen vom
1. Juni gegeben worden ist und der zeigt, weshalb man jetzt mildere Saiten
aufzieht, zugleich mit der Behauptung, das Bürgertum habe stets das Wesen
der Sozialdemokratie mißverstanden, es sei geflissentlich die Meinung verbreitet
worden, daß die Sozialdemokratin gemeingefährliche Menschen seien, und diese
Anschauung sei noch ziemlich allgemein „gerade in jenen Kreisen, in welchen
unsre Ideen zu verbreiten wir jetzt an der Arbeit sind, auf dem Lande." Man
wolle nicht leugnen, daß die Sozialdemvkrntie eine revolutionäre Partei sei,
aber diese Revolution werde in den Köpfen vor sich gehen, Gewalt werde
nicht bezweckt. Auch in diesem Artikel, der „Bedenken" überschrieben und der
ganz besonders für die ländlichen Kreise, wo man jetzt „an der Arbeit" ist,
geschrieben zu sein scheint, wird darauf hingewiesen, daß die Sozialdemokratie
auch heute auf ihrem alten Boden stehe.

Es wird gut sein, auch unsre Leser von Zeit zu Zeit wieder daran zu
erinnern, wie beschaffe» dieser alte Boden ist. Und so wollen wir denn hier einen
Blick in die Anfnngsgeschichte der Sozialdemvkrntie thun, die diesen Boden
bereitet hat. Es wird das um so nützlicher sein, als für die ganze lange
Entwicklungsreiye des sozinldemokratischen Programms, von den Statuten der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/111>, abgerufen am 23.07.2024.