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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Unheimlich

oft ganz beiläufig nach rechts und links Hiebe aus, die nur der versteht und
zu würdigen weiß, der sich selber schon jahrelang über die davon getroffenen
Dummheiten geärgert hat. Aber sie enthält doch auch so viel Ausgeführtes
und dabei Aufrüttelndes, Packendes, Überzeugendes, Beschämendes, daß man
nur wünschen kann, jeder Lehrer des Deutschen hätte sich den Inhalt dieser
Schrift ganz zu eigen gemacht. Unter Lehrer des Deutschen aber verstehe ich
.und wird man hoffentlich in Zukunft immer mehr verstehen jeden -- deutschen
Lehrer.

(Fortsetzung folgt)




Unheimlich

i
eser Ausdruck, mit dem der Reichskanzler vor einiger Zeit seine
Empfindung bei dem freundlichen Entgegenkommen der freisinnigen
Partei bezeichnete, war außerordentlich treffend. Ein Wanders-
mann hat im Waldesdickicht einen Pfad eingeschlagen, auf dem
er rascher zum Ziel zu kommen hofft; plötzlich tritt eine Gestalt
von wenig vertrauenerweckenden Äußern an ihn heran und sagt ungefragt mit
zweideutigem Lächeln: "Immer nur so vorwärts, das ist der rechte Weg!"
Betroffen hemmt der Wandrer seinen Schritt und fragt sich, ob er denn irre¬
gegangen sei, ob ihn ein Sumpf oder ein Hinterhalt erwarte? Es wird ihm
unheimlich zu Mute. In diese Lage und Stimmung kann man sich hinein¬
denken, auch ohne Staatsmann zu sein.

Aber das Wort ist ebenso für die allgemeine Lage charakteristisch. Selbst
der Amtsvorgänger des Herrn vou Caprivi dürfte geneigt sein, es sich anzu¬
eignen, wenn er beobachtet, wie sich ihm Elemente zu nähern suchen, um im
Schatten seiner großen Persönlichkeit -- Opposition zu machen, Elemente, auf
die sich anwenden ließe, was er selbst einst von den Polen sagte: daß sie
überall dabeisein müsse,?, wo einer Regierung Schwierigkeiten bereitet werden.
Und nun die Wahl in Gcestemünde! Welches endliche Ergebnis sie haben
möge, das fällt kaum noch ins Gewicht, die Thatsache, daß in einem nur von
Deutschen bewohnten Bezirke dem Manne, der den Namen Otto von Bismarck
führt, ein Abgeordnetenmandat mit Erfolg streitig gemacht werden konnte, ist
nicht aus der Welt zu schaffen, der Fleck nicht auszutilgen. "Ja, die
Deutschen!" sagte, als die Berichte über deu ersten Wahlgang einliefen, eine
Dame französischer Abstammung. Ja, die Deutschen! Zu den Irrtümern in


Unheimlich

oft ganz beiläufig nach rechts und links Hiebe aus, die nur der versteht und
zu würdigen weiß, der sich selber schon jahrelang über die davon getroffenen
Dummheiten geärgert hat. Aber sie enthält doch auch so viel Ausgeführtes
und dabei Aufrüttelndes, Packendes, Überzeugendes, Beschämendes, daß man
nur wünschen kann, jeder Lehrer des Deutschen hätte sich den Inhalt dieser
Schrift ganz zu eigen gemacht. Unter Lehrer des Deutschen aber verstehe ich
.und wird man hoffentlich in Zukunft immer mehr verstehen jeden — deutschen
Lehrer.

(Fortsetzung folgt)




Unheimlich

i
eser Ausdruck, mit dem der Reichskanzler vor einiger Zeit seine
Empfindung bei dem freundlichen Entgegenkommen der freisinnigen
Partei bezeichnete, war außerordentlich treffend. Ein Wanders-
mann hat im Waldesdickicht einen Pfad eingeschlagen, auf dem
er rascher zum Ziel zu kommen hofft; plötzlich tritt eine Gestalt
von wenig vertrauenerweckenden Äußern an ihn heran und sagt ungefragt mit
zweideutigem Lächeln: „Immer nur so vorwärts, das ist der rechte Weg!"
Betroffen hemmt der Wandrer seinen Schritt und fragt sich, ob er denn irre¬
gegangen sei, ob ihn ein Sumpf oder ein Hinterhalt erwarte? Es wird ihm
unheimlich zu Mute. In diese Lage und Stimmung kann man sich hinein¬
denken, auch ohne Staatsmann zu sein.

Aber das Wort ist ebenso für die allgemeine Lage charakteristisch. Selbst
der Amtsvorgänger des Herrn vou Caprivi dürfte geneigt sein, es sich anzu¬
eignen, wenn er beobachtet, wie sich ihm Elemente zu nähern suchen, um im
Schatten seiner großen Persönlichkeit — Opposition zu machen, Elemente, auf
die sich anwenden ließe, was er selbst einst von den Polen sagte: daß sie
überall dabeisein müsse,?, wo einer Regierung Schwierigkeiten bereitet werden.
Und nun die Wahl in Gcestemünde! Welches endliche Ergebnis sie haben
möge, das fällt kaum noch ins Gewicht, die Thatsache, daß in einem nur von
Deutschen bewohnten Bezirke dem Manne, der den Namen Otto von Bismarck
führt, ein Abgeordnetenmandat mit Erfolg streitig gemacht werden konnte, ist
nicht aus der Welt zu schaffen, der Fleck nicht auszutilgen. „Ja, die
Deutschen!" sagte, als die Berichte über deu ersten Wahlgang einliefen, eine
Dame französischer Abstammung. Ja, die Deutschen! Zu den Irrtümern in


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[0255] Unheimlich oft ganz beiläufig nach rechts und links Hiebe aus, die nur der versteht und zu würdigen weiß, der sich selber schon jahrelang über die davon getroffenen Dummheiten geärgert hat. Aber sie enthält doch auch so viel Ausgeführtes und dabei Aufrüttelndes, Packendes, Überzeugendes, Beschämendes, daß man nur wünschen kann, jeder Lehrer des Deutschen hätte sich den Inhalt dieser Schrift ganz zu eigen gemacht. Unter Lehrer des Deutschen aber verstehe ich .und wird man hoffentlich in Zukunft immer mehr verstehen jeden — deutschen Lehrer. (Fortsetzung folgt) Unheimlich i eser Ausdruck, mit dem der Reichskanzler vor einiger Zeit seine Empfindung bei dem freundlichen Entgegenkommen der freisinnigen Partei bezeichnete, war außerordentlich treffend. Ein Wanders- mann hat im Waldesdickicht einen Pfad eingeschlagen, auf dem er rascher zum Ziel zu kommen hofft; plötzlich tritt eine Gestalt von wenig vertrauenerweckenden Äußern an ihn heran und sagt ungefragt mit zweideutigem Lächeln: „Immer nur so vorwärts, das ist der rechte Weg!" Betroffen hemmt der Wandrer seinen Schritt und fragt sich, ob er denn irre¬ gegangen sei, ob ihn ein Sumpf oder ein Hinterhalt erwarte? Es wird ihm unheimlich zu Mute. In diese Lage und Stimmung kann man sich hinein¬ denken, auch ohne Staatsmann zu sein. Aber das Wort ist ebenso für die allgemeine Lage charakteristisch. Selbst der Amtsvorgänger des Herrn vou Caprivi dürfte geneigt sein, es sich anzu¬ eignen, wenn er beobachtet, wie sich ihm Elemente zu nähern suchen, um im Schatten seiner großen Persönlichkeit — Opposition zu machen, Elemente, auf die sich anwenden ließe, was er selbst einst von den Polen sagte: daß sie überall dabeisein müsse,?, wo einer Regierung Schwierigkeiten bereitet werden. Und nun die Wahl in Gcestemünde! Welches endliche Ergebnis sie haben möge, das fällt kaum noch ins Gewicht, die Thatsache, daß in einem nur von Deutschen bewohnten Bezirke dem Manne, der den Namen Otto von Bismarck führt, ein Abgeordnetenmandat mit Erfolg streitig gemacht werden konnte, ist nicht aus der Welt zu schaffen, der Fleck nicht auszutilgen. „Ja, die Deutschen!" sagte, als die Berichte über deu ersten Wahlgang einliefen, eine Dame französischer Abstammung. Ja, die Deutschen! Zu den Irrtümern in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/255>, abgerufen am 04.07.2024.