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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

Systeme gegen einander sie ausüben -- unter diesem Feldgeschrei hatte man
in den katholisch-deutschen Ländern es dahin gebracht -- es genügt uns
nicht, ^ bei dieser allgemeinen Schilderung seines Wesens es bewenden zu
lassen -- wer ^ in unsern Tagen noch es wagt -- wie ^ der Drang seines
Herzens es gebot -- wenn die Gegner des Sozialisteugesetzes es als einen
Vorteil preisen -- die praktische Aufgabe, die ^ unsre religiöse Gefahr uns
stellt -- wir halten das für die einzig mögliche Erklärung, weil j j keine
andre uus begreiflich ist -- nun galt es, ^ mit Rat und That ihnen
beizustehen u. s. w. Überall das manierirte Aufspare" des Fürwortes bis
unmittelbar vor das Verbum! In einem Roman las ich neulich: während die
Stämme ihre kahlen Äste uns entgegenstreckten, als wollten sie mit ihren
Armen unserer (!) sich erwehren. Das sollte heißen: während uns die
Stämme ihre kahlen Äste entgegenstreckten, als wollten sie sich unser mit
ihren Armen erwehren! Ist das uicht greulich?

Ich habe schon so oft in diesen Aufsätzen der Schule Vorwürfe gemacht,
daß es mir fast anfängt leid zu thun. Aber kann man denn anders? Ist
nicht auch hieran wieder die Schule schuld? In jeder fremden Sprache, im La¬
teinischen, im Griechischen, im Französischen, im Englischen wird den Jungen vor¬
gekaut, daß, wenn in einem Satze mehrere persönliche Fürwörter vorkommen,
diese uicht getrennt werden dürfen, sondern immer unmittelbar nebeneinander
stehen, eine kleine Wortgruppe für sich bilden müssen. Aber der französische
Lehrer paukt das als eine Eigentümlichkeit des Französischen, der griechische
als eine Eigentümlichkeit des Griechischen, keiner weiß etwas vom andern, und
keiner sieht, daß -- es in unsrer Muttersprache, natürlich uur im lebendigen
Ohrendeutsch, uicht in dem Tintendeutsch, das heute alle Welt schreibt, geuau
so ist, daß sichs doch also um ein Gesetz handeln muß, das tief in der Natur
der Sache begründet ist!

O doch -- um nicht ungerecht zu sein: einer hats doch gesehen: Otto
Schroeder in seiner trefflichen Schrift Vom papiernen Stil, die vor
wenigen Wochen in zweiter, vermehrter Auflage erschienen ist (Berlin, Walter
und Apolant, 1891) und die ich bei dieser Gelegenheit nochmals angelegentlich
empfehlen möchte/') Schroeders Schrift ist freilich kein Lehrbuch, keine An¬
weisung zur Vermeidung von Fehlern, es ist eine geistvoll spottende Kampf¬
schrift, die eine Menge von Dingen nur im Fluge streift. Manche Leser (auch
unter den Lehrern!) werden gar nicht immer merken, was er meint. Er teilt



Auch Umdrehen streift die Erscheinung wenigstens in seinem Buche über Sprachgebrauch
und Sprachrichtigkeit (ö. Aufl., S. 357), freilich ohne ihren Umfang und ihre Häßlichkeit auch
nur entfernt zu ahnen. Schreibt er doch selbst z. B. S. 8: obgleich ^ der Begriff der Sprach¬
richtigkeit sich über das gesamte Gebiet der Sprache erstreckt, pflegt man ^ doch im gewöhn¬
lichen Sinne sich auf die Prosa zu beschränken. Wir sind eben alle von dieser papiernen
Ziererei etwas angesteckt.
Allerhand Sprachdummheiten

Systeme gegen einander sie ausüben — unter diesem Feldgeschrei hatte man
in den katholisch-deutschen Ländern es dahin gebracht — es genügt uns
nicht, ^ bei dieser allgemeinen Schilderung seines Wesens es bewenden zu
lassen — wer ^ in unsern Tagen noch es wagt — wie ^ der Drang seines
Herzens es gebot — wenn die Gegner des Sozialisteugesetzes es als einen
Vorteil preisen — die praktische Aufgabe, die ^ unsre religiöse Gefahr uns
stellt — wir halten das für die einzig mögliche Erklärung, weil j j keine
andre uus begreiflich ist — nun galt es, ^ mit Rat und That ihnen
beizustehen u. s. w. Überall das manierirte Aufspare« des Fürwortes bis
unmittelbar vor das Verbum! In einem Roman las ich neulich: während die
Stämme ihre kahlen Äste uns entgegenstreckten, als wollten sie mit ihren
Armen unserer (!) sich erwehren. Das sollte heißen: während uns die
Stämme ihre kahlen Äste entgegenstreckten, als wollten sie sich unser mit
ihren Armen erwehren! Ist das uicht greulich?

Ich habe schon so oft in diesen Aufsätzen der Schule Vorwürfe gemacht,
daß es mir fast anfängt leid zu thun. Aber kann man denn anders? Ist
nicht auch hieran wieder die Schule schuld? In jeder fremden Sprache, im La¬
teinischen, im Griechischen, im Französischen, im Englischen wird den Jungen vor¬
gekaut, daß, wenn in einem Satze mehrere persönliche Fürwörter vorkommen,
diese uicht getrennt werden dürfen, sondern immer unmittelbar nebeneinander
stehen, eine kleine Wortgruppe für sich bilden müssen. Aber der französische
Lehrer paukt das als eine Eigentümlichkeit des Französischen, der griechische
als eine Eigentümlichkeit des Griechischen, keiner weiß etwas vom andern, und
keiner sieht, daß — es in unsrer Muttersprache, natürlich uur im lebendigen
Ohrendeutsch, uicht in dem Tintendeutsch, das heute alle Welt schreibt, geuau
so ist, daß sichs doch also um ein Gesetz handeln muß, das tief in der Natur
der Sache begründet ist!

O doch — um nicht ungerecht zu sein: einer hats doch gesehen: Otto
Schroeder in seiner trefflichen Schrift Vom papiernen Stil, die vor
wenigen Wochen in zweiter, vermehrter Auflage erschienen ist (Berlin, Walter
und Apolant, 1891) und die ich bei dieser Gelegenheit nochmals angelegentlich
empfehlen möchte/') Schroeders Schrift ist freilich kein Lehrbuch, keine An¬
weisung zur Vermeidung von Fehlern, es ist eine geistvoll spottende Kampf¬
schrift, die eine Menge von Dingen nur im Fluge streift. Manche Leser (auch
unter den Lehrern!) werden gar nicht immer merken, was er meint. Er teilt



Auch Umdrehen streift die Erscheinung wenigstens in seinem Buche über Sprachgebrauch
und Sprachrichtigkeit (ö. Aufl., S. 357), freilich ohne ihren Umfang und ihre Häßlichkeit auch
nur entfernt zu ahnen. Schreibt er doch selbst z. B. S. 8: obgleich ^ der Begriff der Sprach¬
richtigkeit sich über das gesamte Gebiet der Sprache erstreckt, pflegt man ^ doch im gewöhn¬
lichen Sinne sich auf die Prosa zu beschränken. Wir sind eben alle von dieser papiernen
Ziererei etwas angesteckt.
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[0254] Allerhand Sprachdummheiten Systeme gegen einander sie ausüben — unter diesem Feldgeschrei hatte man in den katholisch-deutschen Ländern es dahin gebracht — es genügt uns nicht, ^ bei dieser allgemeinen Schilderung seines Wesens es bewenden zu lassen — wer ^ in unsern Tagen noch es wagt — wie ^ der Drang seines Herzens es gebot — wenn die Gegner des Sozialisteugesetzes es als einen Vorteil preisen — die praktische Aufgabe, die ^ unsre religiöse Gefahr uns stellt — wir halten das für die einzig mögliche Erklärung, weil j j keine andre uus begreiflich ist — nun galt es, ^ mit Rat und That ihnen beizustehen u. s. w. Überall das manierirte Aufspare« des Fürwortes bis unmittelbar vor das Verbum! In einem Roman las ich neulich: während die Stämme ihre kahlen Äste uns entgegenstreckten, als wollten sie mit ihren Armen unserer (!) sich erwehren. Das sollte heißen: während uns die Stämme ihre kahlen Äste entgegenstreckten, als wollten sie sich unser mit ihren Armen erwehren! Ist das uicht greulich? Ich habe schon so oft in diesen Aufsätzen der Schule Vorwürfe gemacht, daß es mir fast anfängt leid zu thun. Aber kann man denn anders? Ist nicht auch hieran wieder die Schule schuld? In jeder fremden Sprache, im La¬ teinischen, im Griechischen, im Französischen, im Englischen wird den Jungen vor¬ gekaut, daß, wenn in einem Satze mehrere persönliche Fürwörter vorkommen, diese uicht getrennt werden dürfen, sondern immer unmittelbar nebeneinander stehen, eine kleine Wortgruppe für sich bilden müssen. Aber der französische Lehrer paukt das als eine Eigentümlichkeit des Französischen, der griechische als eine Eigentümlichkeit des Griechischen, keiner weiß etwas vom andern, und keiner sieht, daß — es in unsrer Muttersprache, natürlich uur im lebendigen Ohrendeutsch, uicht in dem Tintendeutsch, das heute alle Welt schreibt, geuau so ist, daß sichs doch also um ein Gesetz handeln muß, das tief in der Natur der Sache begründet ist! O doch — um nicht ungerecht zu sein: einer hats doch gesehen: Otto Schroeder in seiner trefflichen Schrift Vom papiernen Stil, die vor wenigen Wochen in zweiter, vermehrter Auflage erschienen ist (Berlin, Walter und Apolant, 1891) und die ich bei dieser Gelegenheit nochmals angelegentlich empfehlen möchte/') Schroeders Schrift ist freilich kein Lehrbuch, keine An¬ weisung zur Vermeidung von Fehlern, es ist eine geistvoll spottende Kampf¬ schrift, die eine Menge von Dingen nur im Fluge streift. Manche Leser (auch unter den Lehrern!) werden gar nicht immer merken, was er meint. Er teilt Auch Umdrehen streift die Erscheinung wenigstens in seinem Buche über Sprachgebrauch und Sprachrichtigkeit (ö. Aufl., S. 357), freilich ohne ihren Umfang und ihre Häßlichkeit auch nur entfernt zu ahnen. Schreibt er doch selbst z. B. S. 8: obgleich ^ der Begriff der Sprach¬ richtigkeit sich über das gesamte Gebiet der Sprache erstreckt, pflegt man ^ doch im gewöhn¬ lichen Sinne sich auf die Prosa zu beschränken. Wir sind eben alle von dieser papiernen Ziererei etwas angesteckt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/254>, abgerufen am 04.07.2024.