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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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mit dem lebenswarmen Gefühl der Menschen in der Geschichte erfüllt, sie ist
weder abstrakt noch schematisch. Eines ihrer allerwichtigsten Hilfsmittel ist
die sinnliche Anschauung. Welchen Wert die Kenntnis von Porträts der ge¬
schichtlich denkwürdigen Persönlichkeiten für die Wissenschaft hat, dürfte kaum
ein zweiter so tief begründet haben, als Lorenz in diesem Buche. Kurz: mit
dieser Methode kommt Leben und Bewegung in die Geschichtsbetrachtung,
der ganze Mensch wird dabei hineingezogen, die Wissenschaft gewinnt ihre
natürliche Grundlage in den elementarsten Thatsachen des menschlichen Lebens,
Geburt und Tod, sie erhält einen Charakter von schlichter Klassizität, sie
schließt sich den uralten Forme" der Geschichtsbetrachtung an und bleibt in
Harmonie mit den allermodernsten Ansprüchen der naturwissenschaftlich erzvgnen
Geister, und endlich hat man nur so, indem man auf dem von der Natur
geschaffenen Boden der Geschlechter bleibt, die Aussicht, es, wenn überhaupt
jemals, zu allgemeineren Erkenntnissen von dem Wesen des Lebens der Menschheit
in der Geschichte zu bringen. Ranke freilich war ungemein zurückhaltend in
der Aufstellung von Theorien, aber es ist gar nicht ausgemacht, daß sich die
Wissenschaft immer so zurückhaltend wird benehmen müssen. Wie sie jetzt die
von den andern Wissenschaften der Anthropologie, der Psychologie, der Natur¬
lehre u. s. w. gebotenen Erkenntnisse nicht entbehren kann, so wird sie möglicher¬
weise sich nicht bloß auf die Darstellung des Systems von Handlungen im
Laufe der Zeiten beschränken müssen, sondern auch zu höhern, ans der Be¬
obachtung der Thatsachen gewonnenen Erkenntnisse des politischen Lebens
durchdringen. Doch das sind Träumereien von einer fernen Zukunft. Das
wichtigste bleibt, daß Lorenz deu wahren Beruf der Geschichte und die aus
ihm sich ergebende Methode der Forschung erfaßt und überzeugend dargestellt
hat. In allein wissenschaftlichen Getriebe genügt es nicht bloß, das Rechte zu
thun, sondern man muß auch Rechenschaft über die Art dieses Thuns geben.
Ranke hat die That, Lorenz die Rechenschaft der That geleistet.




Rudolf Hildebrands Aufsätze und Vorträge

i
t gleichem Recht und mit gleichem. Stolze dürfen Wissenschaft
und Schule Rudolf Hildebrand den ihrigen nennen. Beiden
ist denn auch die hochwillkommne Gabe gewidmet, die hier vor
uns liegt, die Gesammelten Aufsätze und Vorträge
zur deutschen Philologie und zum deutschen Unterricht (Leipzig,
B. G. Teubner, 1890). Die Männer der Forschung wissen es, was sie den:
geistvollen Mitarbeiter der Gebrüder Grimm, dem feinsinnigen Fortsetzer des


mit dem lebenswarmen Gefühl der Menschen in der Geschichte erfüllt, sie ist
weder abstrakt noch schematisch. Eines ihrer allerwichtigsten Hilfsmittel ist
die sinnliche Anschauung. Welchen Wert die Kenntnis von Porträts der ge¬
schichtlich denkwürdigen Persönlichkeiten für die Wissenschaft hat, dürfte kaum
ein zweiter so tief begründet haben, als Lorenz in diesem Buche. Kurz: mit
dieser Methode kommt Leben und Bewegung in die Geschichtsbetrachtung,
der ganze Mensch wird dabei hineingezogen, die Wissenschaft gewinnt ihre
natürliche Grundlage in den elementarsten Thatsachen des menschlichen Lebens,
Geburt und Tod, sie erhält einen Charakter von schlichter Klassizität, sie
schließt sich den uralten Forme» der Geschichtsbetrachtung an und bleibt in
Harmonie mit den allermodernsten Ansprüchen der naturwissenschaftlich erzvgnen
Geister, und endlich hat man nur so, indem man auf dem von der Natur
geschaffenen Boden der Geschlechter bleibt, die Aussicht, es, wenn überhaupt
jemals, zu allgemeineren Erkenntnissen von dem Wesen des Lebens der Menschheit
in der Geschichte zu bringen. Ranke freilich war ungemein zurückhaltend in
der Aufstellung von Theorien, aber es ist gar nicht ausgemacht, daß sich die
Wissenschaft immer so zurückhaltend wird benehmen müssen. Wie sie jetzt die
von den andern Wissenschaften der Anthropologie, der Psychologie, der Natur¬
lehre u. s. w. gebotenen Erkenntnisse nicht entbehren kann, so wird sie möglicher¬
weise sich nicht bloß auf die Darstellung des Systems von Handlungen im
Laufe der Zeiten beschränken müssen, sondern auch zu höhern, ans der Be¬
obachtung der Thatsachen gewonnenen Erkenntnisse des politischen Lebens
durchdringen. Doch das sind Träumereien von einer fernen Zukunft. Das
wichtigste bleibt, daß Lorenz deu wahren Beruf der Geschichte und die aus
ihm sich ergebende Methode der Forschung erfaßt und überzeugend dargestellt
hat. In allein wissenschaftlichen Getriebe genügt es nicht bloß, das Rechte zu
thun, sondern man muß auch Rechenschaft über die Art dieses Thuns geben.
Ranke hat die That, Lorenz die Rechenschaft der That geleistet.




Rudolf Hildebrands Aufsätze und Vorträge

i
t gleichem Recht und mit gleichem. Stolze dürfen Wissenschaft
und Schule Rudolf Hildebrand den ihrigen nennen. Beiden
ist denn auch die hochwillkommne Gabe gewidmet, die hier vor
uns liegt, die Gesammelten Aufsätze und Vorträge
zur deutschen Philologie und zum deutschen Unterricht (Leipzig,
B. G. Teubner, 1890). Die Männer der Forschung wissen es, was sie den:
geistvollen Mitarbeiter der Gebrüder Grimm, dem feinsinnigen Fortsetzer des


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[0147] mit dem lebenswarmen Gefühl der Menschen in der Geschichte erfüllt, sie ist weder abstrakt noch schematisch. Eines ihrer allerwichtigsten Hilfsmittel ist die sinnliche Anschauung. Welchen Wert die Kenntnis von Porträts der ge¬ schichtlich denkwürdigen Persönlichkeiten für die Wissenschaft hat, dürfte kaum ein zweiter so tief begründet haben, als Lorenz in diesem Buche. Kurz: mit dieser Methode kommt Leben und Bewegung in die Geschichtsbetrachtung, der ganze Mensch wird dabei hineingezogen, die Wissenschaft gewinnt ihre natürliche Grundlage in den elementarsten Thatsachen des menschlichen Lebens, Geburt und Tod, sie erhält einen Charakter von schlichter Klassizität, sie schließt sich den uralten Forme» der Geschichtsbetrachtung an und bleibt in Harmonie mit den allermodernsten Ansprüchen der naturwissenschaftlich erzvgnen Geister, und endlich hat man nur so, indem man auf dem von der Natur geschaffenen Boden der Geschlechter bleibt, die Aussicht, es, wenn überhaupt jemals, zu allgemeineren Erkenntnissen von dem Wesen des Lebens der Menschheit in der Geschichte zu bringen. Ranke freilich war ungemein zurückhaltend in der Aufstellung von Theorien, aber es ist gar nicht ausgemacht, daß sich die Wissenschaft immer so zurückhaltend wird benehmen müssen. Wie sie jetzt die von den andern Wissenschaften der Anthropologie, der Psychologie, der Natur¬ lehre u. s. w. gebotenen Erkenntnisse nicht entbehren kann, so wird sie möglicher¬ weise sich nicht bloß auf die Darstellung des Systems von Handlungen im Laufe der Zeiten beschränken müssen, sondern auch zu höhern, ans der Be¬ obachtung der Thatsachen gewonnenen Erkenntnisse des politischen Lebens durchdringen. Doch das sind Träumereien von einer fernen Zukunft. Das wichtigste bleibt, daß Lorenz deu wahren Beruf der Geschichte und die aus ihm sich ergebende Methode der Forschung erfaßt und überzeugend dargestellt hat. In allein wissenschaftlichen Getriebe genügt es nicht bloß, das Rechte zu thun, sondern man muß auch Rechenschaft über die Art dieses Thuns geben. Ranke hat die That, Lorenz die Rechenschaft der That geleistet. Rudolf Hildebrands Aufsätze und Vorträge i t gleichem Recht und mit gleichem. Stolze dürfen Wissenschaft und Schule Rudolf Hildebrand den ihrigen nennen. Beiden ist denn auch die hochwillkommne Gabe gewidmet, die hier vor uns liegt, die Gesammelten Aufsätze und Vorträge zur deutschen Philologie und zum deutschen Unterricht (Leipzig, B. G. Teubner, 1890). Die Männer der Forschung wissen es, was sie den: geistvollen Mitarbeiter der Gebrüder Grimm, dem feinsinnigen Fortsetzer des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/147>, abgerufen am 04.07.2024.