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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Herr

!le am 9, Februar im königlichen Schauspielhause zu Berlin er¬
folgte erste Aufführung des Wildenbruchsche" Schauspiels "Der
neue Herr" hatte eine Spannung hervorgerufen, die noch weit
die Aufregung übertraf, die in den litterarischen Kreisen der
Hauptstadt durch die Zensnrschwierigkeiten vor der ersten Auf¬
führung von "Sodoms Ende" erzeugt und dann mit alleu Mitteln der offnen
und versteckten Reklame genährt worden war. Denn bei dem Sndermannschen
Schauspiele war die Neugier des seusationslüsterneu Publikums nur dadurch
gereizt worden, daß man einerseits die Behandlung sozialer Konflikte er¬
wartete, etwas von Nassen- und Klassenhaß witterte, anderseits sich auf ge¬
wisse naturalistische Verwegenheiten gefaßt machte, die das polizeiliche Verbot
zunächst veranlaßt haben sollten. Bei dem Schauspiel Ernst von Wildenbrnchs
traten aber weit höhere Interessen in den Vordergrund, neben denen die rein
litterarischen weniger in Betracht kamen. Es war über den Inhalt des Schau¬
spieles schon seit Monaten so viel in die Öffentlichkeit gedrungen, daß es nahe
lag, Beziehungen zwischen seinein Inhalt und den Ereignissen aus den letzten
drei Jahre" der deutschen Geschichte anzuknüpfen. Man erfuhr, daß "Der
neue Herr" der Kurfürst Friedrich Wilhelm sei, daß die Handlung des Dramas
kurz vor und nach seinem Regierungsantritt spiele, und daß sie in der Ent-
lassung des Grafen Adam von Schwarzenberg gipfle, des allmächtigen
Ministers und Günstlings des Kurfürsten Georg Wilhelm. Ungefähr um die¬
selbe Zeit, wo sich diese Mitteilungen verbreiteten, bei der Feier zur Erinne¬
rung an den vor 25>0 Jahren erfolgten Regierungsantritt des Großen Kur¬
fürsten am 1. Dezember 1890, hatte der Kaiser in einer Rede während des
offiziellen Prnnkmahles des Grafen Schwarzenberg gedacht, von dem sich der
Kurfürst bald, nachdem er mit eignen Augen sehen gelernt hatte, trennen
mußte. Kaiser Wilhelm II. gab bei dieser Gelegenheit dein Minister des Kur¬
fürsten Georg Wilhelm den Beiname" "groß," mit dein die Geschichte eigentlich
recht sparsam verfährt und de" sie mich bisher für de" Grafen Schwarzenberg
noch nicht übrig gehabt hat. Kaiser Wilhelm It. wollte offenbar damit sagen,
daß Graf Schwarzenberg inmitten eines kleinen, ohnmächtigen, durch und durch
zerrütteten Staatswesens der einzige Mann gewesen sei, der einen mächtigem




Der neue Herr

!le am 9, Februar im königlichen Schauspielhause zu Berlin er¬
folgte erste Aufführung des Wildenbruchsche» Schauspiels „Der
neue Herr" hatte eine Spannung hervorgerufen, die noch weit
die Aufregung übertraf, die in den litterarischen Kreisen der
Hauptstadt durch die Zensnrschwierigkeiten vor der ersten Auf¬
führung von „Sodoms Ende" erzeugt und dann mit alleu Mitteln der offnen
und versteckten Reklame genährt worden war. Denn bei dem Sndermannschen
Schauspiele war die Neugier des seusationslüsterneu Publikums nur dadurch
gereizt worden, daß man einerseits die Behandlung sozialer Konflikte er¬
wartete, etwas von Nassen- und Klassenhaß witterte, anderseits sich auf ge¬
wisse naturalistische Verwegenheiten gefaßt machte, die das polizeiliche Verbot
zunächst veranlaßt haben sollten. Bei dem Schauspiel Ernst von Wildenbrnchs
traten aber weit höhere Interessen in den Vordergrund, neben denen die rein
litterarischen weniger in Betracht kamen. Es war über den Inhalt des Schau¬
spieles schon seit Monaten so viel in die Öffentlichkeit gedrungen, daß es nahe
lag, Beziehungen zwischen seinein Inhalt und den Ereignissen aus den letzten
drei Jahre» der deutschen Geschichte anzuknüpfen. Man erfuhr, daß „Der
neue Herr" der Kurfürst Friedrich Wilhelm sei, daß die Handlung des Dramas
kurz vor und nach seinem Regierungsantritt spiele, und daß sie in der Ent-
lassung des Grafen Adam von Schwarzenberg gipfle, des allmächtigen
Ministers und Günstlings des Kurfürsten Georg Wilhelm. Ungefähr um die¬
selbe Zeit, wo sich diese Mitteilungen verbreiteten, bei der Feier zur Erinne¬
rung an den vor 25>0 Jahren erfolgten Regierungsantritt des Großen Kur¬
fürsten am 1. Dezember 1890, hatte der Kaiser in einer Rede während des
offiziellen Prnnkmahles des Grafen Schwarzenberg gedacht, von dem sich der
Kurfürst bald, nachdem er mit eignen Augen sehen gelernt hatte, trennen
mußte. Kaiser Wilhelm II. gab bei dieser Gelegenheit dein Minister des Kur¬
fürsten Georg Wilhelm den Beiname» „groß," mit dein die Geschichte eigentlich
recht sparsam verfährt und de» sie mich bisher für de» Grafen Schwarzenberg
noch nicht übrig gehabt hat. Kaiser Wilhelm It. wollte offenbar damit sagen,
daß Graf Schwarzenberg inmitten eines kleinen, ohnmächtigen, durch und durch
zerrütteten Staatswesens der einzige Mann gewesen sei, der einen mächtigem


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[0383] [Abbildung] Der neue Herr !le am 9, Februar im königlichen Schauspielhause zu Berlin er¬ folgte erste Aufführung des Wildenbruchsche» Schauspiels „Der neue Herr" hatte eine Spannung hervorgerufen, die noch weit die Aufregung übertraf, die in den litterarischen Kreisen der Hauptstadt durch die Zensnrschwierigkeiten vor der ersten Auf¬ führung von „Sodoms Ende" erzeugt und dann mit alleu Mitteln der offnen und versteckten Reklame genährt worden war. Denn bei dem Sndermannschen Schauspiele war die Neugier des seusationslüsterneu Publikums nur dadurch gereizt worden, daß man einerseits die Behandlung sozialer Konflikte er¬ wartete, etwas von Nassen- und Klassenhaß witterte, anderseits sich auf ge¬ wisse naturalistische Verwegenheiten gefaßt machte, die das polizeiliche Verbot zunächst veranlaßt haben sollten. Bei dem Schauspiel Ernst von Wildenbrnchs traten aber weit höhere Interessen in den Vordergrund, neben denen die rein litterarischen weniger in Betracht kamen. Es war über den Inhalt des Schau¬ spieles schon seit Monaten so viel in die Öffentlichkeit gedrungen, daß es nahe lag, Beziehungen zwischen seinein Inhalt und den Ereignissen aus den letzten drei Jahre» der deutschen Geschichte anzuknüpfen. Man erfuhr, daß „Der neue Herr" der Kurfürst Friedrich Wilhelm sei, daß die Handlung des Dramas kurz vor und nach seinem Regierungsantritt spiele, und daß sie in der Ent- lassung des Grafen Adam von Schwarzenberg gipfle, des allmächtigen Ministers und Günstlings des Kurfürsten Georg Wilhelm. Ungefähr um die¬ selbe Zeit, wo sich diese Mitteilungen verbreiteten, bei der Feier zur Erinne¬ rung an den vor 25>0 Jahren erfolgten Regierungsantritt des Großen Kur¬ fürsten am 1. Dezember 1890, hatte der Kaiser in einer Rede während des offiziellen Prnnkmahles des Grafen Schwarzenberg gedacht, von dem sich der Kurfürst bald, nachdem er mit eignen Augen sehen gelernt hatte, trennen mußte. Kaiser Wilhelm II. gab bei dieser Gelegenheit dein Minister des Kur¬ fürsten Georg Wilhelm den Beiname» „groß," mit dein die Geschichte eigentlich recht sparsam verfährt und de» sie mich bisher für de» Grafen Schwarzenberg noch nicht übrig gehabt hat. Kaiser Wilhelm It. wollte offenbar damit sagen, daß Graf Schwarzenberg inmitten eines kleinen, ohnmächtigen, durch und durch zerrütteten Staatswesens der einzige Mann gewesen sei, der einen mächtigem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/383>, abgerufen am 22.07.2024.