Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Diego velazqnez und sein Jahrhundert

lernen können, unterscheidet und worin seine Eigentümlichkeit beruht. Mit
scharfem Blick hat schon Lücke das Wesen der realistischen Kunst des Velazqnez
erfaßt und gezeigt, durch welche Mittel er die Darstellung des wirklichen
Lebens vorwärtsgebracht und dieses Leben so bis zur Täuschung erreicht hat,
daß es ihm gelang, "die Kunst durch die Kunst zu verbergen." Ich führe
aus Lückes Biographie eine Stelle an, die einen Beleg für seine richtige Be¬
urteilung von Velazqnez geistigem Wesen liefert. "Die Aufgabe -- schreibt
Lücke -- auf deren Lösung sein staunenswertes Talent sich konzentrirte, war
schlechthin die, Meuscheu und Dinge zu schildern, wie sie sind und zugleich
auch, wie sie erscheinen. Je größere Vollendung seine Darstellungen zeige",
umso reiner sind sie von jeder Beimischung eines subjektiven Elements; kein
andrer Maler hat vermocht, die Objekte klarer ans sich wirken zu lassen und
ihre Individualität in prägnanterer Bestimmtheit wiederzugeben als Velazqnez;
seine eigne Persönlichkeit verschwindet gänzlich hinter seinen Werken."

Noch tiefer in das Wesen des Velazqnez und seine hervorragendsten
Schöpfungen ist Karl Woermann in dem dem Künstler gewidmeten Abschnitt
seiner "Geschichte der Malerei" eingedrungen, der etwa zwei Jahre vor Justis
Biographie erschienen ist. Was Justi von einem verlangt, der sich das Recht
zu eiuer Malerbivgraphie nehmen will, daß er sich nämlich zuvor "durch un¬
ermüdliches Studium der Originale eine Basis der Kennerschaft verschafft" habe,
das ist gerade Woermann in einem Maße eigen, wie nur wenigen seiner Fach-
genossen, und die Charakteristik, die er von Velazqnez und seinen Hauptwerken
giebt, wird daher kaum in irgend einem wesentlichen Punkte dnrch Justis Werk
berichtigt. Freilich haben Lücke und Woermann, ihrer Aufgabe entsprechend, Velaz¬
qnez uur als Maler gekennzeichnet, während Justi ihn im Mittelpunkt seines
Jahrhunderts zeigt und um ihn herum sich eine kaum übersehbare Fülle von
Erscheinungen, von Menschen jeglicher Art und jeglichen Standes bewegen läßt.
Durch diese Form der Darstellung, die weit über die Biographie zu einem
beträchtlichen Stück spanischer Staats- und Kulturgeschichte hinausgewachsen
ist, ist es Justi gelungen, die Persönlichkeit des Velazqnez zu einer Art von
Universalmcnschen zu steigern, die am Ende wirklich dem Bilde entspricht, dessen
Grundlinien er in der Einleitung zu seinem Buche mit folgenden Strichen
entwirft: "Für die Geschichtsforscher siud die Werke dieses "Geheimsekretärs
der Natur" Urkunden der Zeit; dem Philosophen zeigen sie seinen Hauptgegen-
stand, den Menschen, wie im Hohlspiegel; sie sind aufregend für den aus¬
übenden Künstler, und ihre Details bestehen vor dem Auge des Anatomen wie
des Sportsmannes und des Schusters."




Diego velazqnez und sein Jahrhundert

lernen können, unterscheidet und worin seine Eigentümlichkeit beruht. Mit
scharfem Blick hat schon Lücke das Wesen der realistischen Kunst des Velazqnez
erfaßt und gezeigt, durch welche Mittel er die Darstellung des wirklichen
Lebens vorwärtsgebracht und dieses Leben so bis zur Täuschung erreicht hat,
daß es ihm gelang, „die Kunst durch die Kunst zu verbergen." Ich führe
aus Lückes Biographie eine Stelle an, die einen Beleg für seine richtige Be¬
urteilung von Velazqnez geistigem Wesen liefert. „Die Aufgabe — schreibt
Lücke — auf deren Lösung sein staunenswertes Talent sich konzentrirte, war
schlechthin die, Meuscheu und Dinge zu schildern, wie sie sind und zugleich
auch, wie sie erscheinen. Je größere Vollendung seine Darstellungen zeige»,
umso reiner sind sie von jeder Beimischung eines subjektiven Elements; kein
andrer Maler hat vermocht, die Objekte klarer ans sich wirken zu lassen und
ihre Individualität in prägnanterer Bestimmtheit wiederzugeben als Velazqnez;
seine eigne Persönlichkeit verschwindet gänzlich hinter seinen Werken."

Noch tiefer in das Wesen des Velazqnez und seine hervorragendsten
Schöpfungen ist Karl Woermann in dem dem Künstler gewidmeten Abschnitt
seiner „Geschichte der Malerei" eingedrungen, der etwa zwei Jahre vor Justis
Biographie erschienen ist. Was Justi von einem verlangt, der sich das Recht
zu eiuer Malerbivgraphie nehmen will, daß er sich nämlich zuvor „durch un¬
ermüdliches Studium der Originale eine Basis der Kennerschaft verschafft" habe,
das ist gerade Woermann in einem Maße eigen, wie nur wenigen seiner Fach-
genossen, und die Charakteristik, die er von Velazqnez und seinen Hauptwerken
giebt, wird daher kaum in irgend einem wesentlichen Punkte dnrch Justis Werk
berichtigt. Freilich haben Lücke und Woermann, ihrer Aufgabe entsprechend, Velaz¬
qnez uur als Maler gekennzeichnet, während Justi ihn im Mittelpunkt seines
Jahrhunderts zeigt und um ihn herum sich eine kaum übersehbare Fülle von
Erscheinungen, von Menschen jeglicher Art und jeglichen Standes bewegen läßt.
Durch diese Form der Darstellung, die weit über die Biographie zu einem
beträchtlichen Stück spanischer Staats- und Kulturgeschichte hinausgewachsen
ist, ist es Justi gelungen, die Persönlichkeit des Velazqnez zu einer Art von
Universalmcnschen zu steigern, die am Ende wirklich dem Bilde entspricht, dessen
Grundlinien er in der Einleitung zu seinem Buche mit folgenden Strichen
entwirft: „Für die Geschichtsforscher siud die Werke dieses »Geheimsekretärs
der Natur« Urkunden der Zeit; dem Philosophen zeigen sie seinen Hauptgegen-
stand, den Menschen, wie im Hohlspiegel; sie sind aufregend für den aus¬
übenden Künstler, und ihre Details bestehen vor dem Auge des Anatomen wie
des Sportsmannes und des Schusters."




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209615"/>
          <fw type="header" place="top"> Diego velazqnez und sein Jahrhundert</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1075" prev="#ID_1074"> lernen können, unterscheidet und worin seine Eigentümlichkeit beruht. Mit<lb/>
scharfem Blick hat schon Lücke das Wesen der realistischen Kunst des Velazqnez<lb/>
erfaßt und gezeigt, durch welche Mittel er die Darstellung des wirklichen<lb/>
Lebens vorwärtsgebracht und dieses Leben so bis zur Täuschung erreicht hat,<lb/>
daß es ihm gelang, &#x201E;die Kunst durch die Kunst zu verbergen." Ich führe<lb/>
aus Lückes Biographie eine Stelle an, die einen Beleg für seine richtige Be¬<lb/>
urteilung von Velazqnez geistigem Wesen liefert. &#x201E;Die Aufgabe &#x2014; schreibt<lb/>
Lücke &#x2014; auf deren Lösung sein staunenswertes Talent sich konzentrirte, war<lb/>
schlechthin die, Meuscheu und Dinge zu schildern, wie sie sind und zugleich<lb/>
auch, wie sie erscheinen. Je größere Vollendung seine Darstellungen zeige»,<lb/>
umso reiner sind sie von jeder Beimischung eines subjektiven Elements; kein<lb/>
andrer Maler hat vermocht, die Objekte klarer ans sich wirken zu lassen und<lb/>
ihre Individualität in prägnanterer Bestimmtheit wiederzugeben als Velazqnez;<lb/>
seine eigne Persönlichkeit verschwindet gänzlich hinter seinen Werken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1076"> Noch tiefer in das Wesen des Velazqnez und seine hervorragendsten<lb/>
Schöpfungen ist Karl Woermann in dem dem Künstler gewidmeten Abschnitt<lb/>
seiner &#x201E;Geschichte der Malerei" eingedrungen, der etwa zwei Jahre vor Justis<lb/>
Biographie erschienen ist. Was Justi von einem verlangt, der sich das Recht<lb/>
zu eiuer Malerbivgraphie nehmen will, daß er sich nämlich zuvor &#x201E;durch un¬<lb/>
ermüdliches Studium der Originale eine Basis der Kennerschaft verschafft" habe,<lb/>
das ist gerade Woermann in einem Maße eigen, wie nur wenigen seiner Fach-<lb/>
genossen, und die Charakteristik, die er von Velazqnez und seinen Hauptwerken<lb/>
giebt, wird daher kaum in irgend einem wesentlichen Punkte dnrch Justis Werk<lb/>
berichtigt. Freilich haben Lücke und Woermann, ihrer Aufgabe entsprechend, Velaz¬<lb/>
qnez uur als Maler gekennzeichnet, während Justi ihn im Mittelpunkt seines<lb/>
Jahrhunderts zeigt und um ihn herum sich eine kaum übersehbare Fülle von<lb/>
Erscheinungen, von Menschen jeglicher Art und jeglichen Standes bewegen läßt.<lb/>
Durch diese Form der Darstellung, die weit über die Biographie zu einem<lb/>
beträchtlichen Stück spanischer Staats- und Kulturgeschichte hinausgewachsen<lb/>
ist, ist es Justi gelungen, die Persönlichkeit des Velazqnez zu einer Art von<lb/>
Universalmcnschen zu steigern, die am Ende wirklich dem Bilde entspricht, dessen<lb/>
Grundlinien er in der Einleitung zu seinem Buche mit folgenden Strichen<lb/>
entwirft: &#x201E;Für die Geschichtsforscher siud die Werke dieses »Geheimsekretärs<lb/>
der Natur« Urkunden der Zeit; dem Philosophen zeigen sie seinen Hauptgegen-<lb/>
stand, den Menschen, wie im Hohlspiegel; sie sind aufregend für den aus¬<lb/>
übenden Künstler, und ihre Details bestehen vor dem Auge des Anatomen wie<lb/>
des Sportsmannes und des Schusters."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0382] Diego velazqnez und sein Jahrhundert lernen können, unterscheidet und worin seine Eigentümlichkeit beruht. Mit scharfem Blick hat schon Lücke das Wesen der realistischen Kunst des Velazqnez erfaßt und gezeigt, durch welche Mittel er die Darstellung des wirklichen Lebens vorwärtsgebracht und dieses Leben so bis zur Täuschung erreicht hat, daß es ihm gelang, „die Kunst durch die Kunst zu verbergen." Ich führe aus Lückes Biographie eine Stelle an, die einen Beleg für seine richtige Be¬ urteilung von Velazqnez geistigem Wesen liefert. „Die Aufgabe — schreibt Lücke — auf deren Lösung sein staunenswertes Talent sich konzentrirte, war schlechthin die, Meuscheu und Dinge zu schildern, wie sie sind und zugleich auch, wie sie erscheinen. Je größere Vollendung seine Darstellungen zeige», umso reiner sind sie von jeder Beimischung eines subjektiven Elements; kein andrer Maler hat vermocht, die Objekte klarer ans sich wirken zu lassen und ihre Individualität in prägnanterer Bestimmtheit wiederzugeben als Velazqnez; seine eigne Persönlichkeit verschwindet gänzlich hinter seinen Werken." Noch tiefer in das Wesen des Velazqnez und seine hervorragendsten Schöpfungen ist Karl Woermann in dem dem Künstler gewidmeten Abschnitt seiner „Geschichte der Malerei" eingedrungen, der etwa zwei Jahre vor Justis Biographie erschienen ist. Was Justi von einem verlangt, der sich das Recht zu eiuer Malerbivgraphie nehmen will, daß er sich nämlich zuvor „durch un¬ ermüdliches Studium der Originale eine Basis der Kennerschaft verschafft" habe, das ist gerade Woermann in einem Maße eigen, wie nur wenigen seiner Fach- genossen, und die Charakteristik, die er von Velazqnez und seinen Hauptwerken giebt, wird daher kaum in irgend einem wesentlichen Punkte dnrch Justis Werk berichtigt. Freilich haben Lücke und Woermann, ihrer Aufgabe entsprechend, Velaz¬ qnez uur als Maler gekennzeichnet, während Justi ihn im Mittelpunkt seines Jahrhunderts zeigt und um ihn herum sich eine kaum übersehbare Fülle von Erscheinungen, von Menschen jeglicher Art und jeglichen Standes bewegen läßt. Durch diese Form der Darstellung, die weit über die Biographie zu einem beträchtlichen Stück spanischer Staats- und Kulturgeschichte hinausgewachsen ist, ist es Justi gelungen, die Persönlichkeit des Velazqnez zu einer Art von Universalmcnschen zu steigern, die am Ende wirklich dem Bilde entspricht, dessen Grundlinien er in der Einleitung zu seinem Buche mit folgenden Strichen entwirft: „Für die Geschichtsforscher siud die Werke dieses »Geheimsekretärs der Natur« Urkunden der Zeit; dem Philosophen zeigen sie seinen Hauptgegen- stand, den Menschen, wie im Hohlspiegel; sie sind aufregend für den aus¬ übenden Künstler, und ihre Details bestehen vor dem Auge des Anatomen wie des Sportsmannes und des Schusters."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/382
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/382>, abgerufen am 23.07.2024.