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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

Entschädigung von irgend einer Seite bringt. Sie rufen jetzt eins angeblicher
Besorgnis für unsre Industrie, daß bei einer Ermäßigung der Getreidezölle
lediglich zu Gunsten Österreichs Rußland aus Rache die deutsche Industrie ganz
ausschließen würde. Aber dazu trifft Rußland bereits jetzt seine Anstalten,
während es vielleicht durch das Angebot einer allgemeinen Ermäßigung der
deutschen Getreidezölle noch zu einem minder barbarischen Grenzverschluß und
wenigstens zu einer Bindung seines Tarifs auf längere Zeit zu bewegen ist.
Selbst das wäre für den deutscheu Handel noch ein Gewinn, nicht der Willkür
immer neuer Tarifexperimente von Tag zu Tag ausgesetzt zu sein.

So liegt augenblicklich eine Frage, die Nur unter allen Fragen der nächste,,
Zukunft Deutschlands für die wichtigste halten, und deren sämtliche Beziehungen
wir in der gegebenen Ausführung keineswegs erschöpft haben.




Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches
von <V> Bähr

i'-WM^K^ein, mau darauf zurückblickt, wie lange schon bei uns von dem
dringenden Verlangen des deutschen Volkes nach einem seine Be¬
dürfnisse befriedigenden einheitlichen Gesetzbuche geredet worden
ist, so kam, man sich eines gewissen Befremdens nicht erwehren,
wenn man sieht, mit welcher Gleichgiltigkeit zur Zeit die große
e unsers Volkes ans den amtlich angefertigten, seit drei Jahren ver¬
öffentlichten Entwurf eines bürgerliche,, Gesetzbuches, dessen Einführung für
Deutschland in Aussicht genommen ist, hinblickt. Ans juristischen Kreisen sind
allerdings zahlreiche Besprechungen des Entwurfes hervorgegangen, von denen
man wohl sagen kann, daß sie in ihrer größer,, und jedenfalls geistig überwiegenden
Zahl nicht zu Gunsten des Entwurfes lauten. Aber auch die große Menge des
Juristcnstandes, insbesondre der Richter, verhält sich dem Entwurfe gegenüber
ziemlich gleichgiltig. Durch diese Gleichgiltigkeit wird es möglich, daß von
dem an sich berechtigten nationalen Staudpunkte aus sür die Einführung des
Entwurfes eine Propaganda gemacht wird, die mehr oder minder offen ein¬
gesteht, daß es ihr auf den innern Wert des Gesetzbuches wenig ankomme.

Diese ganze Erscheinung -- sie wäre vor dreißig Jahren noch nicht in
gleicher Weise möglich gewesen -- erklärt sich daraus, daß im Laufe des letzten
Menschenalters die Achtung vor der Rechtswissenschaft bedeutend gesunken ist.
Man hat sich mehr und mehr gewöhnt, das Recht als politisches Material


Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

Entschädigung von irgend einer Seite bringt. Sie rufen jetzt eins angeblicher
Besorgnis für unsre Industrie, daß bei einer Ermäßigung der Getreidezölle
lediglich zu Gunsten Österreichs Rußland aus Rache die deutsche Industrie ganz
ausschließen würde. Aber dazu trifft Rußland bereits jetzt seine Anstalten,
während es vielleicht durch das Angebot einer allgemeinen Ermäßigung der
deutschen Getreidezölle noch zu einem minder barbarischen Grenzverschluß und
wenigstens zu einer Bindung seines Tarifs auf längere Zeit zu bewegen ist.
Selbst das wäre für den deutscheu Handel noch ein Gewinn, nicht der Willkür
immer neuer Tarifexperimente von Tag zu Tag ausgesetzt zu sein.

So liegt augenblicklich eine Frage, die Nur unter allen Fragen der nächste,,
Zukunft Deutschlands für die wichtigste halten, und deren sämtliche Beziehungen
wir in der gegebenen Ausführung keineswegs erschöpft haben.




Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches
von <V> Bähr

i'-WM^K^ein, mau darauf zurückblickt, wie lange schon bei uns von dem
dringenden Verlangen des deutschen Volkes nach einem seine Be¬
dürfnisse befriedigenden einheitlichen Gesetzbuche geredet worden
ist, so kam, man sich eines gewissen Befremdens nicht erwehren,
wenn man sieht, mit welcher Gleichgiltigkeit zur Zeit die große
e unsers Volkes ans den amtlich angefertigten, seit drei Jahren ver¬
öffentlichten Entwurf eines bürgerliche,, Gesetzbuches, dessen Einführung für
Deutschland in Aussicht genommen ist, hinblickt. Ans juristischen Kreisen sind
allerdings zahlreiche Besprechungen des Entwurfes hervorgegangen, von denen
man wohl sagen kann, daß sie in ihrer größer,, und jedenfalls geistig überwiegenden
Zahl nicht zu Gunsten des Entwurfes lauten. Aber auch die große Menge des
Juristcnstandes, insbesondre der Richter, verhält sich dem Entwurfe gegenüber
ziemlich gleichgiltig. Durch diese Gleichgiltigkeit wird es möglich, daß von
dem an sich berechtigten nationalen Staudpunkte aus sür die Einführung des
Entwurfes eine Propaganda gemacht wird, die mehr oder minder offen ein¬
gesteht, daß es ihr auf den innern Wert des Gesetzbuches wenig ankomme.

Diese ganze Erscheinung — sie wäre vor dreißig Jahren noch nicht in
gleicher Weise möglich gewesen — erklärt sich daraus, daß im Laufe des letzten
Menschenalters die Achtung vor der Rechtswissenschaft bedeutend gesunken ist.
Man hat sich mehr und mehr gewöhnt, das Recht als politisches Material


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[0301] Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches Entschädigung von irgend einer Seite bringt. Sie rufen jetzt eins angeblicher Besorgnis für unsre Industrie, daß bei einer Ermäßigung der Getreidezölle lediglich zu Gunsten Österreichs Rußland aus Rache die deutsche Industrie ganz ausschließen würde. Aber dazu trifft Rußland bereits jetzt seine Anstalten, während es vielleicht durch das Angebot einer allgemeinen Ermäßigung der deutschen Getreidezölle noch zu einem minder barbarischen Grenzverschluß und wenigstens zu einer Bindung seines Tarifs auf längere Zeit zu bewegen ist. Selbst das wäre für den deutscheu Handel noch ein Gewinn, nicht der Willkür immer neuer Tarifexperimente von Tag zu Tag ausgesetzt zu sein. So liegt augenblicklich eine Frage, die Nur unter allen Fragen der nächste,, Zukunft Deutschlands für die wichtigste halten, und deren sämtliche Beziehungen wir in der gegebenen Ausführung keineswegs erschöpft haben. Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches von <V> Bähr i'-WM^K^ein, mau darauf zurückblickt, wie lange schon bei uns von dem dringenden Verlangen des deutschen Volkes nach einem seine Be¬ dürfnisse befriedigenden einheitlichen Gesetzbuche geredet worden ist, so kam, man sich eines gewissen Befremdens nicht erwehren, wenn man sieht, mit welcher Gleichgiltigkeit zur Zeit die große e unsers Volkes ans den amtlich angefertigten, seit drei Jahren ver¬ öffentlichten Entwurf eines bürgerliche,, Gesetzbuches, dessen Einführung für Deutschland in Aussicht genommen ist, hinblickt. Ans juristischen Kreisen sind allerdings zahlreiche Besprechungen des Entwurfes hervorgegangen, von denen man wohl sagen kann, daß sie in ihrer größer,, und jedenfalls geistig überwiegenden Zahl nicht zu Gunsten des Entwurfes lauten. Aber auch die große Menge des Juristcnstandes, insbesondre der Richter, verhält sich dem Entwurfe gegenüber ziemlich gleichgiltig. Durch diese Gleichgiltigkeit wird es möglich, daß von dem an sich berechtigten nationalen Staudpunkte aus sür die Einführung des Entwurfes eine Propaganda gemacht wird, die mehr oder minder offen ein¬ gesteht, daß es ihr auf den innern Wert des Gesetzbuches wenig ankomme. Diese ganze Erscheinung — sie wäre vor dreißig Jahren noch nicht in gleicher Weise möglich gewesen — erklärt sich daraus, daß im Laufe des letzten Menschenalters die Achtung vor der Rechtswissenschaft bedeutend gesunken ist. Man hat sich mehr und mehr gewöhnt, das Recht als politisches Material

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/301>, abgerufen am 03.07.2024.