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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

zu behandeln. Daneben finden nur noch die persönlichen Interessen des
Jnristenstnndes ausgiebige Vertretung und Berücksichtigung. Bei keinem Gegen -
stände droht aber diese Gleichgiltigkeit gegen den Wert des Rechtes so ver¬
hängnisvoll zu werden, wie bei der Frage der Einführung eines ganzen Gesetz¬
buches. Es ist eine Angelegenheit, die ans unabsehbare Zeit hinaus den
Rechtszustand Deutschlands feststellt. Zum Teil mag diese Gleichgiltigkeit darin
ihren Grund haben, daß man vielfach gar keine Vorstellung davon hat, was
dazu gehört, ein Gesetzbuch zu schaffen. Manche scheinen ein solches Werk
für eine Art Fabrikware zu halten, deren Herstellung ja nicht schwer sein
könne. Dem gegenüber soll hier zunächst eine aufklärende Darlegung in dieser-
Richtung versucht werden.

Die Schaffung eines Gesetzbuches, das eine hochgebildete, in ihrer Kultur¬
entwicklung weit vorgeschrittene Nation zu befriedigen imstande sein soll, bildet
eine der schwierigsten Aufgaben, die sich der menschliche Geist stellen kann.
Es müssen für die Arbeit vier dazu befähigende geistige Errungenschaften sich
vereinigen: genaue Kenntnis des bestehenden Rechtes, ein lebendiges Rechts-
bewußtsein, juristische Gestaltungskraft und Herrschaft über die Sprache. Wir
wollen diese Erfordernisse im einzelnen etwas näher betrachten.

Eine genaue Kenntnis des bestehenden Rechtes wird deshalb für die
Schaffung eines Gesetzbuches zur unbedingten Notwendigkeit, weil es ja ganz
unmöglich wäre, ein völlig neues Recht -- uach Art deS Volapük -- zu
erfinden, vielmehr bei einem Kulturvolke, das schon ein entwickeltes Recht
besitzt, jede neue Gesetzgebung darnnf angewiesen ist, in der Hauptsache an das
bestehende Recht anzuknüpfen. Scheinbar hat diese Anknüpfung dadurch in
Deutschland große Schwierigkeiten, daß bei uns ganz verschiedne Rechte be¬
stehen. Neben dem in vielen Ländern geltenden gemeinen Recht, das seine
Hauptgrundlage im römischen Rechte hat, sind in großen Gebietsteilen um¬
fassende anderweite Gesetzbücher bereits in Geltung, nämlich das preußische
Landrecht, der französische Locke. vivit und das sächsische Gesetzbuch. Doch ist
diese Schwierigkeit uicht so groß, wie sie scheint. Alle diese Gesetzbücher haben
das gemeine Recht und in diesem wieder vorzugsweise das römische Recht zur
Grundlage. Soweit sie aber neuere Nechtsbilduugen enthalten, Pflegen ähnliche
von dein römischen Rechte abweichende Nechtsbilduugen auch bereits in den
Ländern des gemeinen Rechtes eingeführt zu sein. Die Verschiedenheiten in
den einzelnen geltenden Rechten betreffen hiernach weit mehr die Einzelheiten
und Äußerlichkeiten, als die eigentlichen Grundlagen des Rechtes, an die an¬
zuknüpfen Aufgabe jeder Kodifikation sein muß. Diese Grundlagen führen
aber fast durchweg auf das gemeine Recht zurück. Daneben bleibt es natürlich
von großem Wert, auch die Verschiedenheiten in den einzelnen Rechten zu
kennen, um nach dem Spruche zu verfahren: Prüfet alles, und das Beste
behaltet.


Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

zu behandeln. Daneben finden nur noch die persönlichen Interessen des
Jnristenstnndes ausgiebige Vertretung und Berücksichtigung. Bei keinem Gegen -
stände droht aber diese Gleichgiltigkeit gegen den Wert des Rechtes so ver¬
hängnisvoll zu werden, wie bei der Frage der Einführung eines ganzen Gesetz¬
buches. Es ist eine Angelegenheit, die ans unabsehbare Zeit hinaus den
Rechtszustand Deutschlands feststellt. Zum Teil mag diese Gleichgiltigkeit darin
ihren Grund haben, daß man vielfach gar keine Vorstellung davon hat, was
dazu gehört, ein Gesetzbuch zu schaffen. Manche scheinen ein solches Werk
für eine Art Fabrikware zu halten, deren Herstellung ja nicht schwer sein
könne. Dem gegenüber soll hier zunächst eine aufklärende Darlegung in dieser-
Richtung versucht werden.

Die Schaffung eines Gesetzbuches, das eine hochgebildete, in ihrer Kultur¬
entwicklung weit vorgeschrittene Nation zu befriedigen imstande sein soll, bildet
eine der schwierigsten Aufgaben, die sich der menschliche Geist stellen kann.
Es müssen für die Arbeit vier dazu befähigende geistige Errungenschaften sich
vereinigen: genaue Kenntnis des bestehenden Rechtes, ein lebendiges Rechts-
bewußtsein, juristische Gestaltungskraft und Herrschaft über die Sprache. Wir
wollen diese Erfordernisse im einzelnen etwas näher betrachten.

Eine genaue Kenntnis des bestehenden Rechtes wird deshalb für die
Schaffung eines Gesetzbuches zur unbedingten Notwendigkeit, weil es ja ganz
unmöglich wäre, ein völlig neues Recht — uach Art deS Volapük — zu
erfinden, vielmehr bei einem Kulturvolke, das schon ein entwickeltes Recht
besitzt, jede neue Gesetzgebung darnnf angewiesen ist, in der Hauptsache an das
bestehende Recht anzuknüpfen. Scheinbar hat diese Anknüpfung dadurch in
Deutschland große Schwierigkeiten, daß bei uns ganz verschiedne Rechte be¬
stehen. Neben dem in vielen Ländern geltenden gemeinen Recht, das seine
Hauptgrundlage im römischen Rechte hat, sind in großen Gebietsteilen um¬
fassende anderweite Gesetzbücher bereits in Geltung, nämlich das preußische
Landrecht, der französische Locke. vivit und das sächsische Gesetzbuch. Doch ist
diese Schwierigkeit uicht so groß, wie sie scheint. Alle diese Gesetzbücher haben
das gemeine Recht und in diesem wieder vorzugsweise das römische Recht zur
Grundlage. Soweit sie aber neuere Nechtsbilduugen enthalten, Pflegen ähnliche
von dein römischen Rechte abweichende Nechtsbilduugen auch bereits in den
Ländern des gemeinen Rechtes eingeführt zu sein. Die Verschiedenheiten in
den einzelnen geltenden Rechten betreffen hiernach weit mehr die Einzelheiten
und Äußerlichkeiten, als die eigentlichen Grundlagen des Rechtes, an die an¬
zuknüpfen Aufgabe jeder Kodifikation sein muß. Diese Grundlagen führen
aber fast durchweg auf das gemeine Recht zurück. Daneben bleibt es natürlich
von großem Wert, auch die Verschiedenheiten in den einzelnen Rechten zu
kennen, um nach dem Spruche zu verfahren: Prüfet alles, und das Beste
behaltet.


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[0302] Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches zu behandeln. Daneben finden nur noch die persönlichen Interessen des Jnristenstnndes ausgiebige Vertretung und Berücksichtigung. Bei keinem Gegen - stände droht aber diese Gleichgiltigkeit gegen den Wert des Rechtes so ver¬ hängnisvoll zu werden, wie bei der Frage der Einführung eines ganzen Gesetz¬ buches. Es ist eine Angelegenheit, die ans unabsehbare Zeit hinaus den Rechtszustand Deutschlands feststellt. Zum Teil mag diese Gleichgiltigkeit darin ihren Grund haben, daß man vielfach gar keine Vorstellung davon hat, was dazu gehört, ein Gesetzbuch zu schaffen. Manche scheinen ein solches Werk für eine Art Fabrikware zu halten, deren Herstellung ja nicht schwer sein könne. Dem gegenüber soll hier zunächst eine aufklärende Darlegung in dieser- Richtung versucht werden. Die Schaffung eines Gesetzbuches, das eine hochgebildete, in ihrer Kultur¬ entwicklung weit vorgeschrittene Nation zu befriedigen imstande sein soll, bildet eine der schwierigsten Aufgaben, die sich der menschliche Geist stellen kann. Es müssen für die Arbeit vier dazu befähigende geistige Errungenschaften sich vereinigen: genaue Kenntnis des bestehenden Rechtes, ein lebendiges Rechts- bewußtsein, juristische Gestaltungskraft und Herrschaft über die Sprache. Wir wollen diese Erfordernisse im einzelnen etwas näher betrachten. Eine genaue Kenntnis des bestehenden Rechtes wird deshalb für die Schaffung eines Gesetzbuches zur unbedingten Notwendigkeit, weil es ja ganz unmöglich wäre, ein völlig neues Recht — uach Art deS Volapük — zu erfinden, vielmehr bei einem Kulturvolke, das schon ein entwickeltes Recht besitzt, jede neue Gesetzgebung darnnf angewiesen ist, in der Hauptsache an das bestehende Recht anzuknüpfen. Scheinbar hat diese Anknüpfung dadurch in Deutschland große Schwierigkeiten, daß bei uns ganz verschiedne Rechte be¬ stehen. Neben dem in vielen Ländern geltenden gemeinen Recht, das seine Hauptgrundlage im römischen Rechte hat, sind in großen Gebietsteilen um¬ fassende anderweite Gesetzbücher bereits in Geltung, nämlich das preußische Landrecht, der französische Locke. vivit und das sächsische Gesetzbuch. Doch ist diese Schwierigkeit uicht so groß, wie sie scheint. Alle diese Gesetzbücher haben das gemeine Recht und in diesem wieder vorzugsweise das römische Recht zur Grundlage. Soweit sie aber neuere Nechtsbilduugen enthalten, Pflegen ähnliche von dein römischen Rechte abweichende Nechtsbilduugen auch bereits in den Ländern des gemeinen Rechtes eingeführt zu sein. Die Verschiedenheiten in den einzelnen geltenden Rechten betreffen hiernach weit mehr die Einzelheiten und Äußerlichkeiten, als die eigentlichen Grundlagen des Rechtes, an die an¬ zuknüpfen Aufgabe jeder Kodifikation sein muß. Diese Grundlagen führen aber fast durchweg auf das gemeine Recht zurück. Daneben bleibt es natürlich von großem Wert, auch die Verschiedenheiten in den einzelnen Rechten zu kennen, um nach dem Spruche zu verfahren: Prüfet alles, und das Beste behaltet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/302>, abgerufen am 03.07.2024.