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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge

Nun traue man uns aber wegen der vorangegangenen Ausführung nicht
etwa zu, daß wir den ganzen Ersatz für diesen ungeheuern Ausfall in der er¬
leichterten Handelsverbindung mit Österreich zu finden hoffen. Einen Teil
des Ausfalls, groß oder klein, je nachdem der Handelsvertrag ausfällt, wird
uns ja der erleichterte Zugang zu dem österreichisch-ungarischen Markt ersetzen,
und dieser Ersatz wird wahrlich nicht zu verschmähen sein. Dennoch ist es
nicht der Ersatz, in dem wir das Hauptziel und den erreichbaren Haupterfolg
des mit dem österreichischen Handelsverträge von unsrer Regierung eingeleiteten
Borgehens sehen. Man erwäge folgendes: Frankreich hat mit uns durch den
Frankfurter Frieden einen nnlüudbaren Meistbegünstignngsvertrag. Jetzt
kündigt es alle seine Tarifverträge, um keine Vergünstigung mehr, die in
diesen Verträgen fremden Staaten eingeräumt worden, auch dem deutschen
Reiche gewähren zu müssen. Die bloßen Meistbegünstigungsverträge wird es
nach der kürzlichen Erklärung des auswärtigen Ministers nicht kündigen, sondern
eS wird für die Staaten, mit denen es solche Verträge hat, einen Minimal¬
tarif einführen, der mich für Deutschland gelten wird. Daß dieser Tarif nicht
etwa die deutsche Einfuhr begünstigt, dafür wird sicherlich gesorgt werden.
Kommt nun ein deutsch-österreichischer Handelsvertrag zu stande, so ist Deutsch¬
land verpflichtet, dem französischen Handel dieselben Vergünstigungen wie dem
österreichischen zu gewähren. Aber dazu ist nur Deutschland verpflichtet, nicht
anch Oesterreich-Ungarn, das keinen unküudbaren Meistbegüustigungsvertrag
mit Frankreich besitzt. Für Frankreich wäre es aber ein großer Gewinn,
wenn es die Vorteile, die es als meistbegünstigte Nation von Deutschland er¬
hält, auf das ganze deutsch-österreichische Marktgebiet ausdehnen könnte. Es
ist wahrscheinlich, daß um dieses Gewinnes willen Frankreich sich herbeilassen
wird, manche Sätze seines Minimaltarifs gegen die bereits vorgeschlagene
Höhe zu erniedrigen. Würde nun gar erreicht, daß die Handelsverträge, die
Italien sowohl mit Deutschland als mit Österreich-Ungarn hat, in einen ver¬
schmolzen würde", so sähe sich Frankreich vor die Wahl gestellt, entweder
seine Handclsfeindseligkeit gegen Deutschland wie gegen Italien mit großen
eignen Verlusten fortzusetzen oder diese Feindseligkeit aufzugeben. Eine
weitere Wahrscheinlichkeit ist, daß, wenn die Mächte des Dreibundes zu einer
gemeinsamen Handelspolitik gelangten, sowohl die Schweiz wie Belgien sich
anschließen würden, ohne auf Frankreich zu warten.

Dieser Plan also ist es, den unsre Agrarier zu vereiteln sich anschicken.
Die Kurzsichtigkeit dieser Herren bedenkt nicht, wo bei einer schweren Schädi¬
gung der deutschen Industrie die Abnehmer der Landwirtschaft zu den jetzigen
Preisen herkommen sollen. Wie wollen sie bei einer neuen, schwerern und
voraussichtlich längern Handelskrisis dem Rufe nach Abschaffung der jetzigen
Getreidezölle widerstehen? Die Herren bedenken nicht, daß dann wahrscheinlich
die Getreidezölle abgeschafft werden müssen, ohne daß die Abschaffung uns eine


Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge

Nun traue man uns aber wegen der vorangegangenen Ausführung nicht
etwa zu, daß wir den ganzen Ersatz für diesen ungeheuern Ausfall in der er¬
leichterten Handelsverbindung mit Österreich zu finden hoffen. Einen Teil
des Ausfalls, groß oder klein, je nachdem der Handelsvertrag ausfällt, wird
uns ja der erleichterte Zugang zu dem österreichisch-ungarischen Markt ersetzen,
und dieser Ersatz wird wahrlich nicht zu verschmähen sein. Dennoch ist es
nicht der Ersatz, in dem wir das Hauptziel und den erreichbaren Haupterfolg
des mit dem österreichischen Handelsverträge von unsrer Regierung eingeleiteten
Borgehens sehen. Man erwäge folgendes: Frankreich hat mit uns durch den
Frankfurter Frieden einen nnlüudbaren Meistbegünstignngsvertrag. Jetzt
kündigt es alle seine Tarifverträge, um keine Vergünstigung mehr, die in
diesen Verträgen fremden Staaten eingeräumt worden, auch dem deutschen
Reiche gewähren zu müssen. Die bloßen Meistbegünstigungsverträge wird es
nach der kürzlichen Erklärung des auswärtigen Ministers nicht kündigen, sondern
eS wird für die Staaten, mit denen es solche Verträge hat, einen Minimal¬
tarif einführen, der mich für Deutschland gelten wird. Daß dieser Tarif nicht
etwa die deutsche Einfuhr begünstigt, dafür wird sicherlich gesorgt werden.
Kommt nun ein deutsch-österreichischer Handelsvertrag zu stande, so ist Deutsch¬
land verpflichtet, dem französischen Handel dieselben Vergünstigungen wie dem
österreichischen zu gewähren. Aber dazu ist nur Deutschland verpflichtet, nicht
anch Oesterreich-Ungarn, das keinen unküudbaren Meistbegüustigungsvertrag
mit Frankreich besitzt. Für Frankreich wäre es aber ein großer Gewinn,
wenn es die Vorteile, die es als meistbegünstigte Nation von Deutschland er¬
hält, auf das ganze deutsch-österreichische Marktgebiet ausdehnen könnte. Es
ist wahrscheinlich, daß um dieses Gewinnes willen Frankreich sich herbeilassen
wird, manche Sätze seines Minimaltarifs gegen die bereits vorgeschlagene
Höhe zu erniedrigen. Würde nun gar erreicht, daß die Handelsverträge, die
Italien sowohl mit Deutschland als mit Österreich-Ungarn hat, in einen ver¬
schmolzen würde», so sähe sich Frankreich vor die Wahl gestellt, entweder
seine Handclsfeindseligkeit gegen Deutschland wie gegen Italien mit großen
eignen Verlusten fortzusetzen oder diese Feindseligkeit aufzugeben. Eine
weitere Wahrscheinlichkeit ist, daß, wenn die Mächte des Dreibundes zu einer
gemeinsamen Handelspolitik gelangten, sowohl die Schweiz wie Belgien sich
anschließen würden, ohne auf Frankreich zu warten.

Dieser Plan also ist es, den unsre Agrarier zu vereiteln sich anschicken.
Die Kurzsichtigkeit dieser Herren bedenkt nicht, wo bei einer schweren Schädi¬
gung der deutschen Industrie die Abnehmer der Landwirtschaft zu den jetzigen
Preisen herkommen sollen. Wie wollen sie bei einer neuen, schwerern und
voraussichtlich längern Handelskrisis dem Rufe nach Abschaffung der jetzigen
Getreidezölle widerstehen? Die Herren bedenken nicht, daß dann wahrscheinlich
die Getreidezölle abgeschafft werden müssen, ohne daß die Abschaffung uns eine


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[0300] Zum deutsch-österreichischen Handelsverträge Nun traue man uns aber wegen der vorangegangenen Ausführung nicht etwa zu, daß wir den ganzen Ersatz für diesen ungeheuern Ausfall in der er¬ leichterten Handelsverbindung mit Österreich zu finden hoffen. Einen Teil des Ausfalls, groß oder klein, je nachdem der Handelsvertrag ausfällt, wird uns ja der erleichterte Zugang zu dem österreichisch-ungarischen Markt ersetzen, und dieser Ersatz wird wahrlich nicht zu verschmähen sein. Dennoch ist es nicht der Ersatz, in dem wir das Hauptziel und den erreichbaren Haupterfolg des mit dem österreichischen Handelsverträge von unsrer Regierung eingeleiteten Borgehens sehen. Man erwäge folgendes: Frankreich hat mit uns durch den Frankfurter Frieden einen nnlüudbaren Meistbegünstignngsvertrag. Jetzt kündigt es alle seine Tarifverträge, um keine Vergünstigung mehr, die in diesen Verträgen fremden Staaten eingeräumt worden, auch dem deutschen Reiche gewähren zu müssen. Die bloßen Meistbegünstigungsverträge wird es nach der kürzlichen Erklärung des auswärtigen Ministers nicht kündigen, sondern eS wird für die Staaten, mit denen es solche Verträge hat, einen Minimal¬ tarif einführen, der mich für Deutschland gelten wird. Daß dieser Tarif nicht etwa die deutsche Einfuhr begünstigt, dafür wird sicherlich gesorgt werden. Kommt nun ein deutsch-österreichischer Handelsvertrag zu stande, so ist Deutsch¬ land verpflichtet, dem französischen Handel dieselben Vergünstigungen wie dem österreichischen zu gewähren. Aber dazu ist nur Deutschland verpflichtet, nicht anch Oesterreich-Ungarn, das keinen unküudbaren Meistbegüustigungsvertrag mit Frankreich besitzt. Für Frankreich wäre es aber ein großer Gewinn, wenn es die Vorteile, die es als meistbegünstigte Nation von Deutschland er¬ hält, auf das ganze deutsch-österreichische Marktgebiet ausdehnen könnte. Es ist wahrscheinlich, daß um dieses Gewinnes willen Frankreich sich herbeilassen wird, manche Sätze seines Minimaltarifs gegen die bereits vorgeschlagene Höhe zu erniedrigen. Würde nun gar erreicht, daß die Handelsverträge, die Italien sowohl mit Deutschland als mit Österreich-Ungarn hat, in einen ver¬ schmolzen würde», so sähe sich Frankreich vor die Wahl gestellt, entweder seine Handclsfeindseligkeit gegen Deutschland wie gegen Italien mit großen eignen Verlusten fortzusetzen oder diese Feindseligkeit aufzugeben. Eine weitere Wahrscheinlichkeit ist, daß, wenn die Mächte des Dreibundes zu einer gemeinsamen Handelspolitik gelangten, sowohl die Schweiz wie Belgien sich anschließen würden, ohne auf Frankreich zu warten. Dieser Plan also ist es, den unsre Agrarier zu vereiteln sich anschicken. Die Kurzsichtigkeit dieser Herren bedenkt nicht, wo bei einer schweren Schädi¬ gung der deutschen Industrie die Abnehmer der Landwirtschaft zu den jetzigen Preisen herkommen sollen. Wie wollen sie bei einer neuen, schwerern und voraussichtlich längern Handelskrisis dem Rufe nach Abschaffung der jetzigen Getreidezölle widerstehen? Die Herren bedenken nicht, daß dann wahrscheinlich die Getreidezölle abgeschafft werden müssen, ohne daß die Abschaffung uns eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/300>, abgerufen am 23.07.2024.