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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Amerikanische Philosophie

e-^rüber Jvnnthan ist bekanntlich ein frommer Mann. Gehört er
keiner der fünfzig oder hundert llenomiimtwn" an, so zählt er
sich zur "großen Kirche," wie sich die Gesamtheit aller derer
nennt, die sich ihr Christentum aus der Bibel selbst zurecht-
machen. Er ist fromm, teils weil die von den puritanischen
Vätern ererbte strenge Sonntngsfeier außer Kirchengehen keine Zerstreuung
gestattet, teils weil bei dem gänzlichen Mangel ästhetischer Anlage und wissen¬
schaftlicher Durchbildung das Bibellesen und Sektenwesen als einzige Form
der Befriedigung des idealen Bedürfnisses übrig bleibt, teils ans Opposition
gegen die "atheistischen" Deutschen, die sich so mancher Staat durch einen
langweiligen Sonntag und durch Schließung der Bierhäuser vom Leibe zu
halten sucht. Daneben spielt dann anch jener Gedanke eine Rolle, der sich in
den frommen Stiftungen des Mittelalters oft mit so kindlicher Offenherzigkeit
ausspricht, daß es praktisch sei, nach einem wie immer verbrachte" Leben für
ein gutes Plätzchen im Jenseits zu sorgen. Ju der Presse macht die Kirch¬
lichkeit des Landes wenigstens einmal in der Woche Staat; weil über sonn¬
tägliche Lustbarkeiten "venig zu berichten ist, Pflegen die Mvntagsnnmmcrn der
großen Zeitungen den Gedankengang der Predigten der gerade fashionabelsten
Reverends mitzuteilen.

Gleich neben diesen Predigtanszügen findet man jedoch, wie sich das bei
einem so fortgeschrittenen Volke von selbst versteht, anch Aufsätze über die
neuesten Errungenschaften der Natur- und Geisteswissenschaften, die teils
zwischen dem alten und dem neuen Glauben zu vermitteln suche", teils aus
den alte" keine Rücksicht mehr nehmen. Einen entschiednen Schritt nach links
hat der Oxvn cionrt in Chicago durch Aufunhme einer Reihe von philosophischen
Aufsätzen gemacht, die dann unter dem unter genannten Titel in Buchform
erschienen sind.") Eine bequemere Brücke konnte dem Mnkee für den Fall,
daß er von seinem äußerlichen Christentume offen zum Atheismus überzugehen
wünscht, nicht gebaut werden. Die Philosophie des Verfassers, der übrigens



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Amerikanische Philosophie

e-^rüber Jvnnthan ist bekanntlich ein frommer Mann. Gehört er
keiner der fünfzig oder hundert llenomiimtwn« an, so zählt er
sich zur „großen Kirche," wie sich die Gesamtheit aller derer
nennt, die sich ihr Christentum aus der Bibel selbst zurecht-
machen. Er ist fromm, teils weil die von den puritanischen
Vätern ererbte strenge Sonntngsfeier außer Kirchengehen keine Zerstreuung
gestattet, teils weil bei dem gänzlichen Mangel ästhetischer Anlage und wissen¬
schaftlicher Durchbildung das Bibellesen und Sektenwesen als einzige Form
der Befriedigung des idealen Bedürfnisses übrig bleibt, teils ans Opposition
gegen die „atheistischen" Deutschen, die sich so mancher Staat durch einen
langweiligen Sonntag und durch Schließung der Bierhäuser vom Leibe zu
halten sucht. Daneben spielt dann anch jener Gedanke eine Rolle, der sich in
den frommen Stiftungen des Mittelalters oft mit so kindlicher Offenherzigkeit
ausspricht, daß es praktisch sei, nach einem wie immer verbrachte» Leben für
ein gutes Plätzchen im Jenseits zu sorgen. Ju der Presse macht die Kirch¬
lichkeit des Landes wenigstens einmal in der Woche Staat; weil über sonn¬
tägliche Lustbarkeiten »venig zu berichten ist, Pflegen die Mvntagsnnmmcrn der
großen Zeitungen den Gedankengang der Predigten der gerade fashionabelsten
Reverends mitzuteilen.

Gleich neben diesen Predigtanszügen findet man jedoch, wie sich das bei
einem so fortgeschrittenen Volke von selbst versteht, anch Aufsätze über die
neuesten Errungenschaften der Natur- und Geisteswissenschaften, die teils
zwischen dem alten und dem neuen Glauben zu vermitteln suche», teils aus
den alte» keine Rücksicht mehr nehmen. Einen entschiednen Schritt nach links
hat der Oxvn cionrt in Chicago durch Aufunhme einer Reihe von philosophischen
Aufsätzen gemacht, die dann unter dem unter genannten Titel in Buchform
erschienen sind.") Eine bequemere Brücke konnte dem Mnkee für den Fall,
daß er von seinem äußerlichen Christentume offen zum Atheismus überzugehen
wünscht, nicht gebaut werden. Die Philosophie des Verfassers, der übrigens



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[0019] [Abbildung] Amerikanische Philosophie e-^rüber Jvnnthan ist bekanntlich ein frommer Mann. Gehört er keiner der fünfzig oder hundert llenomiimtwn« an, so zählt er sich zur „großen Kirche," wie sich die Gesamtheit aller derer nennt, die sich ihr Christentum aus der Bibel selbst zurecht- machen. Er ist fromm, teils weil die von den puritanischen Vätern ererbte strenge Sonntngsfeier außer Kirchengehen keine Zerstreuung gestattet, teils weil bei dem gänzlichen Mangel ästhetischer Anlage und wissen¬ schaftlicher Durchbildung das Bibellesen und Sektenwesen als einzige Form der Befriedigung des idealen Bedürfnisses übrig bleibt, teils ans Opposition gegen die „atheistischen" Deutschen, die sich so mancher Staat durch einen langweiligen Sonntag und durch Schließung der Bierhäuser vom Leibe zu halten sucht. Daneben spielt dann anch jener Gedanke eine Rolle, der sich in den frommen Stiftungen des Mittelalters oft mit so kindlicher Offenherzigkeit ausspricht, daß es praktisch sei, nach einem wie immer verbrachte» Leben für ein gutes Plätzchen im Jenseits zu sorgen. Ju der Presse macht die Kirch¬ lichkeit des Landes wenigstens einmal in der Woche Staat; weil über sonn¬ tägliche Lustbarkeiten »venig zu berichten ist, Pflegen die Mvntagsnnmmcrn der großen Zeitungen den Gedankengang der Predigten der gerade fashionabelsten Reverends mitzuteilen. Gleich neben diesen Predigtanszügen findet man jedoch, wie sich das bei einem so fortgeschrittenen Volke von selbst versteht, anch Aufsätze über die neuesten Errungenschaften der Natur- und Geisteswissenschaften, die teils zwischen dem alten und dem neuen Glauben zu vermitteln suche», teils aus den alte» keine Rücksicht mehr nehmen. Einen entschiednen Schritt nach links hat der Oxvn cionrt in Chicago durch Aufunhme einer Reihe von philosophischen Aufsätzen gemacht, die dann unter dem unter genannten Titel in Buchform erschienen sind.") Eine bequemere Brücke konnte dem Mnkee für den Fall, daß er von seinem äußerlichen Christentume offen zum Atheismus überzugehen wünscht, nicht gebaut werden. Die Philosophie des Verfassers, der übrigens 5) 1?unäi»mont»I rroblsin». Ms ,mot!wu ok pi,nus»pli,y »s » szwtamati«! u,>'i"MM- ui->,t ok !cnnvvIvc>M I17 or. ?n.n1 Oarn». Ctn'^M, tuo Oxon CourtrudlisKivK Lnmxnnv, 1339.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/19>, abgerufen am 22.07.2024.