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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Burgtheaters ist sehr gerechtfertigt. In ganz Wie" ist nur die eine
Stimmung verbreitet, der Müller Ausdruck giebt; aber die hohe Behörde
kümmert sich nicht um die öffentliche Meinung, die doch, wenn irgendwo, am
meisten in Theaterdingen Gehör verdient.

Der trefflichen Darstellung der Theaterzustände in den Borstädten und
im Volkstheater, die Müller giebt, können wir hier nicht folgen. Auch sie ist
reich an Stoff und Gedanken. Der wichtigste Vorwurf, den er den Vorstadt¬
theatern macht, ist der, daß sie der Überlieferung ihres Hanfes untreu geworden
seien und hauptsächlich deswegen schlechte Geschäfte machten. Sie wollen sich
immer das Brot vor dein Munde wegschnappen; wenn ein Theater mit einer
Gattung Glück hat, gleich folgt ihm die andre darin nach und verdirbt fich
und andre. Im Volkstheater findet Müller den Krebsschaden am Pacht-
shstem; der Aufschwung, der es gegründet hat, hielt nicht bis zur letzten
Stunde ans. Es fehlten noch hunderttausend Gulden zu der schon gesammelten
halben Million, um das Volksthenter auf eine gegen Geldspekulativneu ge¬
sicherte Grundlage zu stellen, und da verfielen die Gründer auf die unglückliche
Idee, das Haus zu verpachten, nicht durch einen von ihnen selbst bestellten
und auf höhere künstlerische Zwecke verpflichteten Direktor leiten zu lassen.
Damit ist das Volkstheater in den Besitz eines nur seineu Gewinn suchenden
Direktors gelangt, der übrigens weder als Dramaturg noch als Schauspieler
jemals gewirkt hat. Die-Wirtschaft in dem Hause bietet demnach der Kritik
tausend Angriffspunkte. Da der Direktor aus sechs Jahre Bertrag hat, so
begreift man, warum Müller seine historisch-kritische Übersicht des Wiener
Theaterlebens ziemlich pessimistisch schließt.

Und doch können wir selbst auf seine Dnrstellnug hin den Pessimismus
nicht teilen. Es liegt eine freudigere Stimmung in der Wiener Luft, und
wan darf hoffen, daß die ernste Kritik nicht bloß Müllers, sondern nach und
nach der andern, derzeit so nachsichtigen Wiener Rezensenten eine Änderung
zum Bessern herbeiführen werde. Jedenfalls hat sich Müller mich diesmal
das Verdienst erworben, durch sein zur rechten Zeit gesprochenes Wort mit
Nachdruck die Schäden bloßgelegt und den Trieb zur Besserung verstärkt zu
haben.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Rembrandt als Erzieher. Unter diesem Titel ist im Januar ein Buch
^schienen,*) das ein gewisses Aufsehen erregt hat, ganz gegen die Befürchtung, die,
wie mir hören, in dem Dresdner Freundeskreise des Verfassers geherrscht hat, das



*) Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Leipzig, Hirschfeld, l8W.
Grenzlwten II 1890 12
Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Burgtheaters ist sehr gerechtfertigt. In ganz Wie» ist nur die eine
Stimmung verbreitet, der Müller Ausdruck giebt; aber die hohe Behörde
kümmert sich nicht um die öffentliche Meinung, die doch, wenn irgendwo, am
meisten in Theaterdingen Gehör verdient.

Der trefflichen Darstellung der Theaterzustände in den Borstädten und
im Volkstheater, die Müller giebt, können wir hier nicht folgen. Auch sie ist
reich an Stoff und Gedanken. Der wichtigste Vorwurf, den er den Vorstadt¬
theatern macht, ist der, daß sie der Überlieferung ihres Hanfes untreu geworden
seien und hauptsächlich deswegen schlechte Geschäfte machten. Sie wollen sich
immer das Brot vor dein Munde wegschnappen; wenn ein Theater mit einer
Gattung Glück hat, gleich folgt ihm die andre darin nach und verdirbt fich
und andre. Im Volkstheater findet Müller den Krebsschaden am Pacht-
shstem; der Aufschwung, der es gegründet hat, hielt nicht bis zur letzten
Stunde ans. Es fehlten noch hunderttausend Gulden zu der schon gesammelten
halben Million, um das Volksthenter auf eine gegen Geldspekulativneu ge¬
sicherte Grundlage zu stellen, und da verfielen die Gründer auf die unglückliche
Idee, das Haus zu verpachten, nicht durch einen von ihnen selbst bestellten
und auf höhere künstlerische Zwecke verpflichteten Direktor leiten zu lassen.
Damit ist das Volkstheater in den Besitz eines nur seineu Gewinn suchenden
Direktors gelangt, der übrigens weder als Dramaturg noch als Schauspieler
jemals gewirkt hat. Die-Wirtschaft in dem Hause bietet demnach der Kritik
tausend Angriffspunkte. Da der Direktor aus sechs Jahre Bertrag hat, so
begreift man, warum Müller seine historisch-kritische Übersicht des Wiener
Theaterlebens ziemlich pessimistisch schließt.

Und doch können wir selbst auf seine Dnrstellnug hin den Pessimismus
nicht teilen. Es liegt eine freudigere Stimmung in der Wiener Luft, und
wan darf hoffen, daß die ernste Kritik nicht bloß Müllers, sondern nach und
nach der andern, derzeit so nachsichtigen Wiener Rezensenten eine Änderung
zum Bessern herbeiführen werde. Jedenfalls hat sich Müller mich diesmal
das Verdienst erworben, durch sein zur rechten Zeit gesprochenes Wort mit
Nachdruck die Schäden bloßgelegt und den Trieb zur Besserung verstärkt zu
haben.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Rembrandt als Erzieher. Unter diesem Titel ist im Januar ein Buch
^schienen,*) das ein gewisses Aufsehen erregt hat, ganz gegen die Befürchtung, die,
wie mir hören, in dem Dresdner Freundeskreise des Verfassers geherrscht hat, das



*) Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Leipzig, Hirschfeld, l8W.
Grenzlwten II 1890 12
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[0097] Maßgebliches und Unmaßgebliches des Burgtheaters ist sehr gerechtfertigt. In ganz Wie» ist nur die eine Stimmung verbreitet, der Müller Ausdruck giebt; aber die hohe Behörde kümmert sich nicht um die öffentliche Meinung, die doch, wenn irgendwo, am meisten in Theaterdingen Gehör verdient. Der trefflichen Darstellung der Theaterzustände in den Borstädten und im Volkstheater, die Müller giebt, können wir hier nicht folgen. Auch sie ist reich an Stoff und Gedanken. Der wichtigste Vorwurf, den er den Vorstadt¬ theatern macht, ist der, daß sie der Überlieferung ihres Hanfes untreu geworden seien und hauptsächlich deswegen schlechte Geschäfte machten. Sie wollen sich immer das Brot vor dein Munde wegschnappen; wenn ein Theater mit einer Gattung Glück hat, gleich folgt ihm die andre darin nach und verdirbt fich und andre. Im Volkstheater findet Müller den Krebsschaden am Pacht- shstem; der Aufschwung, der es gegründet hat, hielt nicht bis zur letzten Stunde ans. Es fehlten noch hunderttausend Gulden zu der schon gesammelten halben Million, um das Volksthenter auf eine gegen Geldspekulativneu ge¬ sicherte Grundlage zu stellen, und da verfielen die Gründer auf die unglückliche Idee, das Haus zu verpachten, nicht durch einen von ihnen selbst bestellten und auf höhere künstlerische Zwecke verpflichteten Direktor leiten zu lassen. Damit ist das Volkstheater in den Besitz eines nur seineu Gewinn suchenden Direktors gelangt, der übrigens weder als Dramaturg noch als Schauspieler jemals gewirkt hat. Die-Wirtschaft in dem Hause bietet demnach der Kritik tausend Angriffspunkte. Da der Direktor aus sechs Jahre Bertrag hat, so begreift man, warum Müller seine historisch-kritische Übersicht des Wiener Theaterlebens ziemlich pessimistisch schließt. Und doch können wir selbst auf seine Dnrstellnug hin den Pessimismus nicht teilen. Es liegt eine freudigere Stimmung in der Wiener Luft, und wan darf hoffen, daß die ernste Kritik nicht bloß Müllers, sondern nach und nach der andern, derzeit so nachsichtigen Wiener Rezensenten eine Änderung zum Bessern herbeiführen werde. Jedenfalls hat sich Müller mich diesmal das Verdienst erworben, durch sein zur rechten Zeit gesprochenes Wort mit Nachdruck die Schäden bloßgelegt und den Trieb zur Besserung verstärkt zu haben. Maßgebliches und Unmaßgebliches Rembrandt als Erzieher. Unter diesem Titel ist im Januar ein Buch ^schienen,*) das ein gewisses Aufsehen erregt hat, ganz gegen die Befürchtung, die, wie mir hören, in dem Dresdner Freundeskreise des Verfassers geherrscht hat, das *) Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Leipzig, Hirschfeld, l8W. Grenzlwten II 1890 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/97>, abgerufen am 26.06.2024.