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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus dem Wiener Theaterlebett

Zusammenstellung ist nur ein Beweis für Willirandts Beliebtheit beim Wiener
Publikum -- nichts weiter. In der That war ja sein Nvmerstück "Arrin und
Messalina" sinnlich-schwülen Angedenkens durch die Leistung der Wolter als
Messalina zu einem Zugstück des Burgtheaters geworden.

Doch dies nur nebenher. Im ganzen wird man der geschichtlichen Dar¬
stellung wie der Kritik Müllers ihre Berechtigung nicht absprechen können.
Müller weist nach, wie sich uicht bloß durch die Wandlung der Zeit, sondern
auch durch die Verwaltungsmaßregeln des Intendanten der Hoftheater das
Publikum des Burgtheaters in den letzten zehn Jahren gründlich geändert
hat. Die Preise sind derart erhöht worden, daß nur die reichen Leute hinein¬
gehen konnten. Damit wurde alle Wirkung des Theaters aufs Volk im guten
Sinne abgeschnitten. Der Schade, der ans dieser Unterbindung der Be¬
ziehungen des Theaters zu dem größten Teile der Bevölkerung Wiens ent¬
standen ist, kann zur Zeit noch gar uicht übersehen werden. War es zur Zeit
Schrehvogels und Laubes spöttisch das "Komtessentheater" genannt worden,
so wird es jetzt zum Bantiertheater, und ein sehr großer Teil der Liebe, die
dein Volkstheater, ungeachtet seiner viel schwächern Leistungen, geweiht wird,
muß auf den Gegensatz der Stände zurückgeführt werden. Müller beklagt mit
Recht diese Verwandlung des Vurgtheaterpubliknms, dessen wärmste Teile nicht
in den Logen, sondern hoch oben ans den Galerien zu suchen waren: in der
Jngend des gebildeten Bürgerstandes. "Das Vurgtheater ist heute die Mode
der reichen Leute in Wien" -- volkstümlich ist es uicht mehr. Auch sein
Spielplan, der gerade unter Wilbrandt Dumassche und Sarovnsche Komödien
aufgenommen hatte, ist nichts weniger als ein Spiegel der litterarischen Be¬
wegung der Nation. Seit Laube, meint Müller, ist überhaupt keine Dichtung
von Wert aus dem Manuskript im Burgthenter mehr aufgeführt worden.
Das Burgtheater hat anch hier die Führung abgegeben, Wilbrandt hat sich
gegen die zeitgenössische Produktion sehr ablehnend verhalten und lieber litte¬
rarisch experimentirt mit der Wiederbelebung des Sophokles, mit der Auf-
führung des ganzen Faust; aber nur mit Calderons "Richter von Zalamea"
hat er bleibenden Erfolg errungen. Förster hat in dem einen Jahre seiner
Führung allerdings vieles gut gemacht, namentlich in den Personalveränderiuigeu,
aber er starb leider zu früh. Und jetzt geht mau in deu leitenden Kreise"
wieder daran, einen nicht fachmännisch geschulten Manu an die Spitze des
Burgtheaters zu stellen. Eduard Devrient führt in seiner Geschichte der
deutschen Schauspielkunst (4. Band) den Beweis dafür, welchen Schaden die
deutsche Bühne dadurch erlitten hat, daß die Höfe ein die Spitze ihrer mit
Geldmitteln reich versehene" Theater nicht fachmännisch eingeweihte Künstler
oder Dramaturgen stellten, sondern Günstlinge des Hofes. Müller schließt sich
diesen Anschauungen an. Das Mißtrauen gegen die Berufung des als Juristen,
aber nicht als Dramaturgen wohlangeschriebene" !)>'. Vnrckhardt z"in Direktor


Aus dem Wiener Theaterlebett

Zusammenstellung ist nur ein Beweis für Willirandts Beliebtheit beim Wiener
Publikum — nichts weiter. In der That war ja sein Nvmerstück „Arrin und
Messalina" sinnlich-schwülen Angedenkens durch die Leistung der Wolter als
Messalina zu einem Zugstück des Burgtheaters geworden.

Doch dies nur nebenher. Im ganzen wird man der geschichtlichen Dar¬
stellung wie der Kritik Müllers ihre Berechtigung nicht absprechen können.
Müller weist nach, wie sich uicht bloß durch die Wandlung der Zeit, sondern
auch durch die Verwaltungsmaßregeln des Intendanten der Hoftheater das
Publikum des Burgtheaters in den letzten zehn Jahren gründlich geändert
hat. Die Preise sind derart erhöht worden, daß nur die reichen Leute hinein¬
gehen konnten. Damit wurde alle Wirkung des Theaters aufs Volk im guten
Sinne abgeschnitten. Der Schade, der ans dieser Unterbindung der Be¬
ziehungen des Theaters zu dem größten Teile der Bevölkerung Wiens ent¬
standen ist, kann zur Zeit noch gar uicht übersehen werden. War es zur Zeit
Schrehvogels und Laubes spöttisch das „Komtessentheater" genannt worden,
so wird es jetzt zum Bantiertheater, und ein sehr großer Teil der Liebe, die
dein Volkstheater, ungeachtet seiner viel schwächern Leistungen, geweiht wird,
muß auf den Gegensatz der Stände zurückgeführt werden. Müller beklagt mit
Recht diese Verwandlung des Vurgtheaterpubliknms, dessen wärmste Teile nicht
in den Logen, sondern hoch oben ans den Galerien zu suchen waren: in der
Jngend des gebildeten Bürgerstandes. „Das Vurgtheater ist heute die Mode
der reichen Leute in Wien" — volkstümlich ist es uicht mehr. Auch sein
Spielplan, der gerade unter Wilbrandt Dumassche und Sarovnsche Komödien
aufgenommen hatte, ist nichts weniger als ein Spiegel der litterarischen Be¬
wegung der Nation. Seit Laube, meint Müller, ist überhaupt keine Dichtung
von Wert aus dem Manuskript im Burgthenter mehr aufgeführt worden.
Das Burgtheater hat anch hier die Führung abgegeben, Wilbrandt hat sich
gegen die zeitgenössische Produktion sehr ablehnend verhalten und lieber litte¬
rarisch experimentirt mit der Wiederbelebung des Sophokles, mit der Auf-
führung des ganzen Faust; aber nur mit Calderons „Richter von Zalamea"
hat er bleibenden Erfolg errungen. Förster hat in dem einen Jahre seiner
Führung allerdings vieles gut gemacht, namentlich in den Personalveränderiuigeu,
aber er starb leider zu früh. Und jetzt geht mau in deu leitenden Kreise»
wieder daran, einen nicht fachmännisch geschulten Manu an die Spitze des
Burgtheaters zu stellen. Eduard Devrient führt in seiner Geschichte der
deutschen Schauspielkunst (4. Band) den Beweis dafür, welchen Schaden die
deutsche Bühne dadurch erlitten hat, daß die Höfe ein die Spitze ihrer mit
Geldmitteln reich versehene» Theater nicht fachmännisch eingeweihte Künstler
oder Dramaturgen stellten, sondern Günstlinge des Hofes. Müller schließt sich
diesen Anschauungen an. Das Mißtrauen gegen die Berufung des als Juristen,
aber nicht als Dramaturgen wohlangeschriebene» !)>'. Vnrckhardt z»in Direktor


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[0096] Aus dem Wiener Theaterlebett Zusammenstellung ist nur ein Beweis für Willirandts Beliebtheit beim Wiener Publikum — nichts weiter. In der That war ja sein Nvmerstück „Arrin und Messalina" sinnlich-schwülen Angedenkens durch die Leistung der Wolter als Messalina zu einem Zugstück des Burgtheaters geworden. Doch dies nur nebenher. Im ganzen wird man der geschichtlichen Dar¬ stellung wie der Kritik Müllers ihre Berechtigung nicht absprechen können. Müller weist nach, wie sich uicht bloß durch die Wandlung der Zeit, sondern auch durch die Verwaltungsmaßregeln des Intendanten der Hoftheater das Publikum des Burgtheaters in den letzten zehn Jahren gründlich geändert hat. Die Preise sind derart erhöht worden, daß nur die reichen Leute hinein¬ gehen konnten. Damit wurde alle Wirkung des Theaters aufs Volk im guten Sinne abgeschnitten. Der Schade, der ans dieser Unterbindung der Be¬ ziehungen des Theaters zu dem größten Teile der Bevölkerung Wiens ent¬ standen ist, kann zur Zeit noch gar uicht übersehen werden. War es zur Zeit Schrehvogels und Laubes spöttisch das „Komtessentheater" genannt worden, so wird es jetzt zum Bantiertheater, und ein sehr großer Teil der Liebe, die dein Volkstheater, ungeachtet seiner viel schwächern Leistungen, geweiht wird, muß auf den Gegensatz der Stände zurückgeführt werden. Müller beklagt mit Recht diese Verwandlung des Vurgtheaterpubliknms, dessen wärmste Teile nicht in den Logen, sondern hoch oben ans den Galerien zu suchen waren: in der Jngend des gebildeten Bürgerstandes. „Das Vurgtheater ist heute die Mode der reichen Leute in Wien" — volkstümlich ist es uicht mehr. Auch sein Spielplan, der gerade unter Wilbrandt Dumassche und Sarovnsche Komödien aufgenommen hatte, ist nichts weniger als ein Spiegel der litterarischen Be¬ wegung der Nation. Seit Laube, meint Müller, ist überhaupt keine Dichtung von Wert aus dem Manuskript im Burgthenter mehr aufgeführt worden. Das Burgtheater hat anch hier die Führung abgegeben, Wilbrandt hat sich gegen die zeitgenössische Produktion sehr ablehnend verhalten und lieber litte¬ rarisch experimentirt mit der Wiederbelebung des Sophokles, mit der Auf- führung des ganzen Faust; aber nur mit Calderons „Richter von Zalamea" hat er bleibenden Erfolg errungen. Förster hat in dem einen Jahre seiner Führung allerdings vieles gut gemacht, namentlich in den Personalveränderiuigeu, aber er starb leider zu früh. Und jetzt geht mau in deu leitenden Kreise» wieder daran, einen nicht fachmännisch geschulten Manu an die Spitze des Burgtheaters zu stellen. Eduard Devrient führt in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst (4. Band) den Beweis dafür, welchen Schaden die deutsche Bühne dadurch erlitten hat, daß die Höfe ein die Spitze ihrer mit Geldmitteln reich versehene» Theater nicht fachmännisch eingeweihte Künstler oder Dramaturgen stellten, sondern Günstlinge des Hofes. Müller schließt sich diesen Anschauungen an. Das Mißtrauen gegen die Berufung des als Juristen, aber nicht als Dramaturgen wohlangeschriebene» !)>'. Vnrckhardt z»in Direktor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/96>, abgerufen am 28.09.2024.