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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die soziale Frage
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in uns die Einwirkung des Bevölkerungszuwachses auf alle Volks¬
genossen klar zu machen, müssen wir auf den Urzustand zurück¬
gehen. Im Anfange der Besiedelung eines Landes bedeutet jedes
Kind einen erfreulichen Kapitalzuwachs. Nichts braucht der An¬
siedler notwendiger als recht viele kräftige Arme, die ihm helfen
den Urwald roder, das Neuland umpflügen, den Acker bestellen, die Ernte
einheimsen. Ju diesem Anfange der Kultur giebt es keinen andern Vermögens-
zumachs als durch körperliche Arbeit, und der mit zwölf Söhnen gesegnete
Mann wird durch sie zwölfmal so reich als sein Nachbar, dein solches Glück
hersagt bleibt und der allein arbeiten muß. Mit jedem Sohne wächst dem
Stammgute ein neues Gut zu. Das gilt sowohl von den geschichtlichen An¬
sängen der Kulturvölker wie von den Ackerbaukolonisten, die in unserm Jahr¬
hundert in Nordamerika den Urwald gerötet haben; gegenwärtig befinden sich
uoch einige brasilianische Anstedlnngcn auf dieser Stufe. Der Unterschied gegen
die alte Zeit besteht darin, daß sich die im Nachfolgenden zu beschreibende Um¬
wandlung schneller vollzieht.

Da bei vollständig eingerichteter Wirtschaft die Arbeit eines Mannes auf
dein Acker und einer Frau im Stalle genügen, außer ihnen selbst noch ein,
zwei andre Menschenpaare zu ernähren, so werden bei wachsender Familie
Kräfte frei, die für häusliche Bequemlichkeit und für die Werkzeuge der Acker¬
bestellung sorgen können. Der Bauer braucht nicht mehr die Ackerarbeit zu
unterbrechen, wenn ihm der Pflug zerbricht, und sich einige Stunden mit der
Ausbesserung des Schadens aufzuhalten, seitdem ihm ein Sohn zu Hause, der
steh ausschließlich auf Schmiede- und Stellmacherarbeit verlegt, mehrere Pflüge
zur Verfügung stellt. So beginnt die Arbeitsteilung, und sie beschränkt sich
sehr bald nicht mehr auf das Haus, sondern führt zur Scheidung in Ackerbau,
Gewerbe und Handel, zur Ansammlung der gewerblichen nud handeltreibenden
Bevölkerung in Städten, zum Güternmtausch zwischen Stadt und Land.

Je mehr die Teilung und Vervollkommnung der verschiednen handwerks¬
mäßig betriebnen Verrichtungen fortschreitet, je weniger Zeit demnach die Her¬
stellung der Kleidungsstücke, Wohnungen, Werkzeuge und Gerätschaften bean-


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Die soziale Frage
5

in uns die Einwirkung des Bevölkerungszuwachses auf alle Volks¬
genossen klar zu machen, müssen wir auf den Urzustand zurück¬
gehen. Im Anfange der Besiedelung eines Landes bedeutet jedes
Kind einen erfreulichen Kapitalzuwachs. Nichts braucht der An¬
siedler notwendiger als recht viele kräftige Arme, die ihm helfen
den Urwald roder, das Neuland umpflügen, den Acker bestellen, die Ernte
einheimsen. Ju diesem Anfange der Kultur giebt es keinen andern Vermögens-
zumachs als durch körperliche Arbeit, und der mit zwölf Söhnen gesegnete
Mann wird durch sie zwölfmal so reich als sein Nachbar, dein solches Glück
hersagt bleibt und der allein arbeiten muß. Mit jedem Sohne wächst dem
Stammgute ein neues Gut zu. Das gilt sowohl von den geschichtlichen An¬
sängen der Kulturvölker wie von den Ackerbaukolonisten, die in unserm Jahr¬
hundert in Nordamerika den Urwald gerötet haben; gegenwärtig befinden sich
uoch einige brasilianische Anstedlnngcn auf dieser Stufe. Der Unterschied gegen
die alte Zeit besteht darin, daß sich die im Nachfolgenden zu beschreibende Um¬
wandlung schneller vollzieht.

Da bei vollständig eingerichteter Wirtschaft die Arbeit eines Mannes auf
dein Acker und einer Frau im Stalle genügen, außer ihnen selbst noch ein,
zwei andre Menschenpaare zu ernähren, so werden bei wachsender Familie
Kräfte frei, die für häusliche Bequemlichkeit und für die Werkzeuge der Acker¬
bestellung sorgen können. Der Bauer braucht nicht mehr die Ackerarbeit zu
unterbrechen, wenn ihm der Pflug zerbricht, und sich einige Stunden mit der
Ausbesserung des Schadens aufzuhalten, seitdem ihm ein Sohn zu Hause, der
steh ausschließlich auf Schmiede- und Stellmacherarbeit verlegt, mehrere Pflüge
zur Verfügung stellt. So beginnt die Arbeitsteilung, und sie beschränkt sich
sehr bald nicht mehr auf das Haus, sondern führt zur Scheidung in Ackerbau,
Gewerbe und Handel, zur Ansammlung der gewerblichen nud handeltreibenden
Bevölkerung in Städten, zum Güternmtausch zwischen Stadt und Land.

Je mehr die Teilung und Vervollkommnung der verschiednen handwerks¬
mäßig betriebnen Verrichtungen fortschreitet, je weniger Zeit demnach die Her¬
stellung der Kleidungsstücke, Wohnungen, Werkzeuge und Gerätschaften bean-


Grmzboten le 18S0 68
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[0545] [Abbildung] Die soziale Frage 5 in uns die Einwirkung des Bevölkerungszuwachses auf alle Volks¬ genossen klar zu machen, müssen wir auf den Urzustand zurück¬ gehen. Im Anfange der Besiedelung eines Landes bedeutet jedes Kind einen erfreulichen Kapitalzuwachs. Nichts braucht der An¬ siedler notwendiger als recht viele kräftige Arme, die ihm helfen den Urwald roder, das Neuland umpflügen, den Acker bestellen, die Ernte einheimsen. Ju diesem Anfange der Kultur giebt es keinen andern Vermögens- zumachs als durch körperliche Arbeit, und der mit zwölf Söhnen gesegnete Mann wird durch sie zwölfmal so reich als sein Nachbar, dein solches Glück hersagt bleibt und der allein arbeiten muß. Mit jedem Sohne wächst dem Stammgute ein neues Gut zu. Das gilt sowohl von den geschichtlichen An¬ sängen der Kulturvölker wie von den Ackerbaukolonisten, die in unserm Jahr¬ hundert in Nordamerika den Urwald gerötet haben; gegenwärtig befinden sich uoch einige brasilianische Anstedlnngcn auf dieser Stufe. Der Unterschied gegen die alte Zeit besteht darin, daß sich die im Nachfolgenden zu beschreibende Um¬ wandlung schneller vollzieht. Da bei vollständig eingerichteter Wirtschaft die Arbeit eines Mannes auf dein Acker und einer Frau im Stalle genügen, außer ihnen selbst noch ein, zwei andre Menschenpaare zu ernähren, so werden bei wachsender Familie Kräfte frei, die für häusliche Bequemlichkeit und für die Werkzeuge der Acker¬ bestellung sorgen können. Der Bauer braucht nicht mehr die Ackerarbeit zu unterbrechen, wenn ihm der Pflug zerbricht, und sich einige Stunden mit der Ausbesserung des Schadens aufzuhalten, seitdem ihm ein Sohn zu Hause, der steh ausschließlich auf Schmiede- und Stellmacherarbeit verlegt, mehrere Pflüge zur Verfügung stellt. So beginnt die Arbeitsteilung, und sie beschränkt sich sehr bald nicht mehr auf das Haus, sondern führt zur Scheidung in Ackerbau, Gewerbe und Handel, zur Ansammlung der gewerblichen nud handeltreibenden Bevölkerung in Städten, zum Güternmtausch zwischen Stadt und Land. Je mehr die Teilung und Vervollkommnung der verschiednen handwerks¬ mäßig betriebnen Verrichtungen fortschreitet, je weniger Zeit demnach die Her¬ stellung der Kleidungsstücke, Wohnungen, Werkzeuge und Gerätschaften bean- Grmzboten le 18S0 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/545>, abgerufen am 26.06.2024.