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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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vom wiener volksthoater

steht die neufrauzösische, Akte und Abende lange Poesie der Herzenszermarterung
mit Pistolen-Schlnßknalleffekten und höchstens scheinbarem dramatischen Ausgleich.
So weit sind wir nun durch Schopenhauer hier, Wagner dort: die Kunst hat
es gelernt, ihn wiederkäuen, den tiefen und beschwerlichen Ernst des Lebens
und der Gegenwart, die uns doch nichts so sehr zum Bedürfnis macht, als
Erleichterung, Trost, Erquickung, Vergnügen, Unterhaltung, deren Quelle für
Menschen von Geschmack sonst immer die Kunst gewesen ist. Fast ist es schon
verpönt, mit edler Kunst unterhaltend und vergnüglich sein zu wollen. Ich aber
erblicke nachgerade in dein Gefallen an der schnödestell Operette noch eher eine"
erhaltenden Instinkt des Publikums, der das Heitere will, ich fliehe ihn weit,
den Wahnfrieden Wagners, die modernen Sensationen wie ihre düstern Quietive,
und warte derer, die uns von der Schvpeuhauerischen und damit auch von
der Wagnerischen Erlösung, der Erlösung durch das Übel, erlösen sollen. --

Nicht nur die Veranlassung, sondern auch der Quell dieser Vetrachtuugeu
war für mich das Studium einer komischen Oper: "Die heimliche Ehe" von
Peter Gast, deren Text eine erweiterte Neuschöpfung des vou Cimarosa tom-
ponirteu N^triMcmio skg-rsto des Vertati ist. Ich habe zu dieser Oper, die für
Mitte Oktober d. I. am Stadttheater zu Danzig in Vorbereitung ist, bei
C. G. Naumann in Leipzig ein "Thematikon" mit einem einleitenden Essah
herausgegeben und hoffe später an dieser Stelle auf das Werk zurückzukommen.
Eine kürzere Einführung habe ich auch dem bei A. W. Kafemanu in Danzig
erschienenen Textbuche vorangeschickt, und habe es dort bereits ausgesprochen,
daß ein Werk wie dieses nicht bloß Gegenstand der Kritik sei, sondern auch
dein Kritiker selbst neue Bahnen der Beurteilung der Operuprodut'lion eröffne.




Vom Wiener Volkstheater

ir habe" vor etwa acht Monaten von der Entstehung des deutsche"
Volkstheaters in Wien und vou deu Hoffnungen berichtet, die
die Bewohner -- oder besser die theaterfrenndlicheu Kreise --
Wiens daran knüpften. Wenige Wochen noch, und das Theater
wird sein erstes Jahr schließen, Neues wird es bis dahin nicht
mehr bringen, und so kann wohl heute schon ein Blatt seiner Geschichte ge¬
schrieben werden.^ - ^1
MW

Da wollen wir denn gleich gestehen, daß wir uns damals viel zu naiv
hoffnungsfreudig ausgesprochen haben, Wir rühmten es als einen großen


vom wiener volksthoater

steht die neufrauzösische, Akte und Abende lange Poesie der Herzenszermarterung
mit Pistolen-Schlnßknalleffekten und höchstens scheinbarem dramatischen Ausgleich.
So weit sind wir nun durch Schopenhauer hier, Wagner dort: die Kunst hat
es gelernt, ihn wiederkäuen, den tiefen und beschwerlichen Ernst des Lebens
und der Gegenwart, die uns doch nichts so sehr zum Bedürfnis macht, als
Erleichterung, Trost, Erquickung, Vergnügen, Unterhaltung, deren Quelle für
Menschen von Geschmack sonst immer die Kunst gewesen ist. Fast ist es schon
verpönt, mit edler Kunst unterhaltend und vergnüglich sein zu wollen. Ich aber
erblicke nachgerade in dein Gefallen an der schnödestell Operette noch eher eine»
erhaltenden Instinkt des Publikums, der das Heitere will, ich fliehe ihn weit,
den Wahnfrieden Wagners, die modernen Sensationen wie ihre düstern Quietive,
und warte derer, die uns von der Schvpeuhauerischen und damit auch von
der Wagnerischen Erlösung, der Erlösung durch das Übel, erlösen sollen. —

Nicht nur die Veranlassung, sondern auch der Quell dieser Vetrachtuugeu
war für mich das Studium einer komischen Oper: „Die heimliche Ehe" von
Peter Gast, deren Text eine erweiterte Neuschöpfung des vou Cimarosa tom-
ponirteu N^triMcmio skg-rsto des Vertati ist. Ich habe zu dieser Oper, die für
Mitte Oktober d. I. am Stadttheater zu Danzig in Vorbereitung ist, bei
C. G. Naumann in Leipzig ein „Thematikon" mit einem einleitenden Essah
herausgegeben und hoffe später an dieser Stelle auf das Werk zurückzukommen.
Eine kürzere Einführung habe ich auch dem bei A. W. Kafemanu in Danzig
erschienenen Textbuche vorangeschickt, und habe es dort bereits ausgesprochen,
daß ein Werk wie dieses nicht bloß Gegenstand der Kritik sei, sondern auch
dein Kritiker selbst neue Bahnen der Beurteilung der Operuprodut'lion eröffne.




Vom Wiener Volkstheater

ir habe» vor etwa acht Monaten von der Entstehung des deutsche»
Volkstheaters in Wien und vou deu Hoffnungen berichtet, die
die Bewohner — oder besser die theaterfrenndlicheu Kreise —
Wiens daran knüpften. Wenige Wochen noch, und das Theater
wird sein erstes Jahr schließen, Neues wird es bis dahin nicht
mehr bringen, und so kann wohl heute schon ein Blatt seiner Geschichte ge¬
schrieben werden.^ - ^1
MW

Da wollen wir denn gleich gestehen, daß wir uns damals viel zu naiv
hoffnungsfreudig ausgesprochen haben, Wir rühmten es als einen großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/518>, abgerufen am 26.06.2024.