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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zur Reform der Heeresverfassung

So werden im Schoße der Gesellschaft selbst Kräfte lebendig, die der
Volkserziehung eine bestimmte Richtung geben können. Die Schule legt den
Unterbau, möglichst fest, möglichst sicher, die Gesellschaft arbeitet mit und giebt
im Oberbau die Krönung des Gebäudes.

Alle Fürsorge um materielle Hebung des Volkes aber wird vergeblich
sein, wenn sich uicht die sorgsamste Pflege der geistigen, der idealen Interessen
damit verbindet. Die Besitzenden mögen sich uicht täuschen. Nicht durch
mühsam abgerungene Almosen wird die Gesahr beseitigt. Die Erziehung im
weitesten Sinne muß in den Vordergrund treten. Wer aber erziehen will,
muß selbst erzogen, muß vor allem darin mit sich einig sein, ob das Herz
oder ob der Geldbeutel den Schwerpunkt seines Lebens bilden soll. Die
Lösung der sozialen Frage möge man aber darin erkennen, daß der Beutel recht
erleichtert und das Herz recht beschwert werde, nämlich mit der Sorge um
alle Mühseligen und Veladenen, die man nicht durch chinesische Mauern von
sich absperren, sondern freudig aufsuchen und gern in allein Guten fördern soll.




Zur Reform der Heeresverfassung

le Andeutungen der Regierungsvertreter bei Gelegenheit der
Kommissionsberatnngen der neuen Militürvvrlage, "daß man
daran denke zur thatsächlichen Durchführung der bisher nur auf
dem Papier zu Recht bestehenden allgemeinen Wehrpflicht zu
schreiten," haben in weiten Volkskreisen eine große Überraschung,
um uicht zu sagen Verblüffung erzeugt. Darauf war man nicht gefaßt. Fast
durchgängig glaubte mau, die Militärverwaltung würde sich darauf beschränken,
die augenblicklichen Bedürfnisse zu decken und mit der Bewilligung des jetzt
geforderten, für eine Zeit lang wenigstens, zufrieden sein. Es ist anch nicht
zu leugnen, daß diesem Gefühl der Überraschung uach allem Vorangegangenen
eine gewisse Berechtigung innewohnt; das Volk war nachgerade an Flickarbeit
-- im guten Sinne -- gewöhnt worden. Dennoch kann das erwähnte Gefühl
als gänzlich unbegründet bezeichnet werden, wenn man die thatsächlich be¬
stehenden, ausschlaggebenden Verhältnisse ins Auge faßt.

Wer den Vorgängen auf militärischem Gebiet bei unsern Nachbarn im
Westen und Osten mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt ist, dem muß die Not¬
wendigkeit eines solchen energischen Schrittes, eines entschiednen Überganges
zu ganzen Maßregeln klar sein.


Zur Reform der Heeresverfassung

So werden im Schoße der Gesellschaft selbst Kräfte lebendig, die der
Volkserziehung eine bestimmte Richtung geben können. Die Schule legt den
Unterbau, möglichst fest, möglichst sicher, die Gesellschaft arbeitet mit und giebt
im Oberbau die Krönung des Gebäudes.

Alle Fürsorge um materielle Hebung des Volkes aber wird vergeblich
sein, wenn sich uicht die sorgsamste Pflege der geistigen, der idealen Interessen
damit verbindet. Die Besitzenden mögen sich uicht täuschen. Nicht durch
mühsam abgerungene Almosen wird die Gesahr beseitigt. Die Erziehung im
weitesten Sinne muß in den Vordergrund treten. Wer aber erziehen will,
muß selbst erzogen, muß vor allem darin mit sich einig sein, ob das Herz
oder ob der Geldbeutel den Schwerpunkt seines Lebens bilden soll. Die
Lösung der sozialen Frage möge man aber darin erkennen, daß der Beutel recht
erleichtert und das Herz recht beschwert werde, nämlich mit der Sorge um
alle Mühseligen und Veladenen, die man nicht durch chinesische Mauern von
sich absperren, sondern freudig aufsuchen und gern in allein Guten fördern soll.




Zur Reform der Heeresverfassung

le Andeutungen der Regierungsvertreter bei Gelegenheit der
Kommissionsberatnngen der neuen Militürvvrlage, „daß man
daran denke zur thatsächlichen Durchführung der bisher nur auf
dem Papier zu Recht bestehenden allgemeinen Wehrpflicht zu
schreiten," haben in weiten Volkskreisen eine große Überraschung,
um uicht zu sagen Verblüffung erzeugt. Darauf war man nicht gefaßt. Fast
durchgängig glaubte mau, die Militärverwaltung würde sich darauf beschränken,
die augenblicklichen Bedürfnisse zu decken und mit der Bewilligung des jetzt
geforderten, für eine Zeit lang wenigstens, zufrieden sein. Es ist anch nicht
zu leugnen, daß diesem Gefühl der Überraschung uach allem Vorangegangenen
eine gewisse Berechtigung innewohnt; das Volk war nachgerade an Flickarbeit
— im guten Sinne — gewöhnt worden. Dennoch kann das erwähnte Gefühl
als gänzlich unbegründet bezeichnet werden, wenn man die thatsächlich be¬
stehenden, ausschlaggebenden Verhältnisse ins Auge faßt.

Wer den Vorgängen auf militärischem Gebiet bei unsern Nachbarn im
Westen und Osten mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt ist, dem muß die Not¬
wendigkeit eines solchen energischen Schrittes, eines entschiednen Überganges
zu ganzen Maßregeln klar sein.


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[0504] Zur Reform der Heeresverfassung So werden im Schoße der Gesellschaft selbst Kräfte lebendig, die der Volkserziehung eine bestimmte Richtung geben können. Die Schule legt den Unterbau, möglichst fest, möglichst sicher, die Gesellschaft arbeitet mit und giebt im Oberbau die Krönung des Gebäudes. Alle Fürsorge um materielle Hebung des Volkes aber wird vergeblich sein, wenn sich uicht die sorgsamste Pflege der geistigen, der idealen Interessen damit verbindet. Die Besitzenden mögen sich uicht täuschen. Nicht durch mühsam abgerungene Almosen wird die Gesahr beseitigt. Die Erziehung im weitesten Sinne muß in den Vordergrund treten. Wer aber erziehen will, muß selbst erzogen, muß vor allem darin mit sich einig sein, ob das Herz oder ob der Geldbeutel den Schwerpunkt seines Lebens bilden soll. Die Lösung der sozialen Frage möge man aber darin erkennen, daß der Beutel recht erleichtert und das Herz recht beschwert werde, nämlich mit der Sorge um alle Mühseligen und Veladenen, die man nicht durch chinesische Mauern von sich absperren, sondern freudig aufsuchen und gern in allein Guten fördern soll. Zur Reform der Heeresverfassung le Andeutungen der Regierungsvertreter bei Gelegenheit der Kommissionsberatnngen der neuen Militürvvrlage, „daß man daran denke zur thatsächlichen Durchführung der bisher nur auf dem Papier zu Recht bestehenden allgemeinen Wehrpflicht zu schreiten," haben in weiten Volkskreisen eine große Überraschung, um uicht zu sagen Verblüffung erzeugt. Darauf war man nicht gefaßt. Fast durchgängig glaubte mau, die Militärverwaltung würde sich darauf beschränken, die augenblicklichen Bedürfnisse zu decken und mit der Bewilligung des jetzt geforderten, für eine Zeit lang wenigstens, zufrieden sein. Es ist anch nicht zu leugnen, daß diesem Gefühl der Überraschung uach allem Vorangegangenen eine gewisse Berechtigung innewohnt; das Volk war nachgerade an Flickarbeit — im guten Sinne — gewöhnt worden. Dennoch kann das erwähnte Gefühl als gänzlich unbegründet bezeichnet werden, wenn man die thatsächlich be¬ stehenden, ausschlaggebenden Verhältnisse ins Auge faßt. Wer den Vorgängen auf militärischem Gebiet bei unsern Nachbarn im Westen und Osten mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt ist, dem muß die Not¬ wendigkeit eines solchen energischen Schrittes, eines entschiednen Überganges zu ganzen Maßregeln klar sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/504>, abgerufen am 26.06.2024.