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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

bis zum äußersten gestaltet. Wenn dennoch die Erzählung nicht fesselnd genug
wirkt, so liegt es daran, daß der Erzähler der Technik noch nicht ganz Herr
geworden ist. Statt in reicher Handlung, mit vielen kleinen Zügen ausgestattet,
episches Behagen erzeugend die Menschen darzustellen, verweilt er bei der
kritischen Analyse ihrer Charaktere, er spricht selbst zu viel, der Dialog ist nur
spärlich verwendet. Der Verfasser ist nicht mehr naiv genug, um schlicht zu
unterhalten, er ist schon zu sehr litterarisch, um nicht noch weit mehr zu wollen,
und er ist doch noch nicht Künstler genug, um das Wollen über den, Können
vergessen zu machen. So nehmen wir sein "Höferecht" als eine Talentprobc
in der Erwartung größerer Leistungen hin.


M N


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nochmals die Arbeiterwohnungen. Der Vorschlag den jemand in der
letzten Nummer der Grenzboten macht, der Wohnungsnot dadurch abzuhelfen, daß
sich die Hausbesitzer Straßen- oder stadtviertelweise zu Vermietergenossenschaften zu¬
sammenthun, würde nicht übel sein, wenn der Mangel an billigen Wohnungen in
unsern großen, neuen Zinshäusern nur damit zusammenhinge, daß die Hauswirte
keine Lust haben, sich mit unsichern Mietern zu belasten, die möglicherweise mit
dem Hauszins im Rückstand bleiben und schließlich, nachdem sie die Wohnung ab¬
genutzt daven, gar hinaufgesetzt werden müssen. Der Hauptgrund ist vielmehr der,
daß die bessern, teuerern Wohnungen sich leichter an sichere Leute vermieten,
wenn es in demselben Hause nicht zugleich billige Wohnungen giebt. Und das ist
doch auch ganz natürlich. Setzen wir den Fall, in einem neuen Zinshause kostete
das Erdgeschoß 1600, das erste, zweite und dritte Obergeschoß 2000, 1300 und
wieder 1600 Mark Miete, und im vierten Obergeschoß befänden sich vier Woh¬
nungen zu je 400 Mark. Was würde die Folge sein? Die unausbleibliche Folge
würde die sein, daß die Wohnung im dritten Geschoß, die namentlich in Neu¬
bauten, wo dieses dritte Geschoß das oberste Stockwerk bildet, erfahrungsgemäß
stets zuerst vermietet ist, weil es alle Annehmlichkeiten der übrigen Stockwerke bietet,
dazu die beste Luft und die meiste Sonne hat, dabei billiger ist als die übrigen
Wohnungen und den ganz unbezahlbaren Vorteil gewährt, daß der Mieter nie¬
manden über sich hat(!), daß diese Wohnung schlechterdings unvermietbar sein
würde. Denn wer soll sich von vier Familien, vielleicht kinderreichen Familien, auf
dem Kopfe herumtrampeln lassen? Er würde ja in seiner ganzen Wohnung nirgends
einen Raum finden, wohin er sich vor dem Lärm tapsender Männer-, schlurfender
Weiber- und springender Kinderbeine, hin- und hergeschobener Tische und Stühle
flüchten könnte. Aber auch die andern Wohnungen würden sich schwerer vermieten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

bis zum äußersten gestaltet. Wenn dennoch die Erzählung nicht fesselnd genug
wirkt, so liegt es daran, daß der Erzähler der Technik noch nicht ganz Herr
geworden ist. Statt in reicher Handlung, mit vielen kleinen Zügen ausgestattet,
episches Behagen erzeugend die Menschen darzustellen, verweilt er bei der
kritischen Analyse ihrer Charaktere, er spricht selbst zu viel, der Dialog ist nur
spärlich verwendet. Der Verfasser ist nicht mehr naiv genug, um schlicht zu
unterhalten, er ist schon zu sehr litterarisch, um nicht noch weit mehr zu wollen,
und er ist doch noch nicht Künstler genug, um das Wollen über den, Können
vergessen zu machen. So nehmen wir sein „Höferecht" als eine Talentprobc
in der Erwartung größerer Leistungen hin.


M N


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nochmals die Arbeiterwohnungen. Der Vorschlag den jemand in der
letzten Nummer der Grenzboten macht, der Wohnungsnot dadurch abzuhelfen, daß
sich die Hausbesitzer Straßen- oder stadtviertelweise zu Vermietergenossenschaften zu¬
sammenthun, würde nicht übel sein, wenn der Mangel an billigen Wohnungen in
unsern großen, neuen Zinshäusern nur damit zusammenhinge, daß die Hauswirte
keine Lust haben, sich mit unsichern Mietern zu belasten, die möglicherweise mit
dem Hauszins im Rückstand bleiben und schließlich, nachdem sie die Wohnung ab¬
genutzt daven, gar hinaufgesetzt werden müssen. Der Hauptgrund ist vielmehr der,
daß die bessern, teuerern Wohnungen sich leichter an sichere Leute vermieten,
wenn es in demselben Hause nicht zugleich billige Wohnungen giebt. Und das ist
doch auch ganz natürlich. Setzen wir den Fall, in einem neuen Zinshause kostete
das Erdgeschoß 1600, das erste, zweite und dritte Obergeschoß 2000, 1300 und
wieder 1600 Mark Miete, und im vierten Obergeschoß befänden sich vier Woh¬
nungen zu je 400 Mark. Was würde die Folge sein? Die unausbleibliche Folge
würde die sein, daß die Wohnung im dritten Geschoß, die namentlich in Neu¬
bauten, wo dieses dritte Geschoß das oberste Stockwerk bildet, erfahrungsgemäß
stets zuerst vermietet ist, weil es alle Annehmlichkeiten der übrigen Stockwerke bietet,
dazu die beste Luft und die meiste Sonne hat, dabei billiger ist als die übrigen
Wohnungen und den ganz unbezahlbaren Vorteil gewährt, daß der Mieter nie¬
manden über sich hat(!), daß diese Wohnung schlechterdings unvermietbar sein
würde. Denn wer soll sich von vier Familien, vielleicht kinderreichen Familien, auf
dem Kopfe herumtrampeln lassen? Er würde ja in seiner ganzen Wohnung nirgends
einen Raum finden, wohin er sich vor dem Lärm tapsender Männer-, schlurfender
Weiber- und springender Kinderbeine, hin- und hergeschobener Tische und Stühle
flüchten könnte. Aber auch die andern Wohnungen würden sich schwerer vermieten


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[0436] Maßgebliches und Unmaßgebliches bis zum äußersten gestaltet. Wenn dennoch die Erzählung nicht fesselnd genug wirkt, so liegt es daran, daß der Erzähler der Technik noch nicht ganz Herr geworden ist. Statt in reicher Handlung, mit vielen kleinen Zügen ausgestattet, episches Behagen erzeugend die Menschen darzustellen, verweilt er bei der kritischen Analyse ihrer Charaktere, er spricht selbst zu viel, der Dialog ist nur spärlich verwendet. Der Verfasser ist nicht mehr naiv genug, um schlicht zu unterhalten, er ist schon zu sehr litterarisch, um nicht noch weit mehr zu wollen, und er ist doch noch nicht Künstler genug, um das Wollen über den, Können vergessen zu machen. So nehmen wir sein „Höferecht" als eine Talentprobc in der Erwartung größerer Leistungen hin. M N Maßgebliches und Unmaßgebliches Nochmals die Arbeiterwohnungen. Der Vorschlag den jemand in der letzten Nummer der Grenzboten macht, der Wohnungsnot dadurch abzuhelfen, daß sich die Hausbesitzer Straßen- oder stadtviertelweise zu Vermietergenossenschaften zu¬ sammenthun, würde nicht übel sein, wenn der Mangel an billigen Wohnungen in unsern großen, neuen Zinshäusern nur damit zusammenhinge, daß die Hauswirte keine Lust haben, sich mit unsichern Mietern zu belasten, die möglicherweise mit dem Hauszins im Rückstand bleiben und schließlich, nachdem sie die Wohnung ab¬ genutzt daven, gar hinaufgesetzt werden müssen. Der Hauptgrund ist vielmehr der, daß die bessern, teuerern Wohnungen sich leichter an sichere Leute vermieten, wenn es in demselben Hause nicht zugleich billige Wohnungen giebt. Und das ist doch auch ganz natürlich. Setzen wir den Fall, in einem neuen Zinshause kostete das Erdgeschoß 1600, das erste, zweite und dritte Obergeschoß 2000, 1300 und wieder 1600 Mark Miete, und im vierten Obergeschoß befänden sich vier Woh¬ nungen zu je 400 Mark. Was würde die Folge sein? Die unausbleibliche Folge würde die sein, daß die Wohnung im dritten Geschoß, die namentlich in Neu¬ bauten, wo dieses dritte Geschoß das oberste Stockwerk bildet, erfahrungsgemäß stets zuerst vermietet ist, weil es alle Annehmlichkeiten der übrigen Stockwerke bietet, dazu die beste Luft und die meiste Sonne hat, dabei billiger ist als die übrigen Wohnungen und den ganz unbezahlbaren Vorteil gewährt, daß der Mieter nie¬ manden über sich hat(!), daß diese Wohnung schlechterdings unvermietbar sein würde. Denn wer soll sich von vier Familien, vielleicht kinderreichen Familien, auf dem Kopfe herumtrampeln lassen? Er würde ja in seiner ganzen Wohnung nirgends einen Raum finden, wohin er sich vor dem Lärm tapsender Männer-, schlurfender Weiber- und springender Kinderbeine, hin- und hergeschobener Tische und Stühle flüchten könnte. Aber auch die andern Wohnungen würden sich schwerer vermieten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/436>, abgerufen am 26.12.2024.