Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bedingen und andre Modewörter

Kloster Altenberg, das den bedrängten Thalbewohnern bereits gegen die grimmen
Hunnen eine Zufluchtsstätte war; später wirkte dort die Tochter der heiligen
Elisabeth, Gertrud, als Äbtissin, das Opfer eines frommen Gelübdes ihrer
Mutter, die die Tochter in schwerer Stunde dem Himmel versprochen hatte;
die alte Klosterkirche birgt ihr Grab, Nicht weit von Nltenbcrg erhebt sich die
Dahlheimer Kapelle als das einzige Bauwerk, das der dreißigjährige Krieg von
dem einst blühenden Dorfe zurückgelassen hat; im übrigen ist es, wie so mancher
volkreiche Ort, im Kriege zu gründe gegangen und dem Erdboden gleich gemacht
worden. Gleich einem silbernen Bande dnrchschliugt der Fluß in anmutigen
Windungen die Sohle des Thales, bis er sich in weiter Ferne hinter einer viel¬
fachen Hügelkette verliert. An schönen Abende", wenn die scheidende Sonne
hinter dunkler Wolkenwand ihre letzten Strahlen ans diese Landschaft wirft und
Berge und Thäler in scharfen Schattirungen von einander scheidet, ist der
Anblick von großer Lieblichkeit.




Bedingen und andre Modewörter

f-TMA"^
Mcum ich nur endlich einmal dahinter kommen könnte, was eigent¬
lich bedingen heißt! Auf jeder Seite eines neuen Buches, in
jeder Zeitnugsspalte muß ichs lesen -- gehört habe ichs selten --,
aber jeder braucht? in anderm Sinne! mitunter ein und derselbe
Mensch dreimal auf einer Seite, und jedesmal in anderm Sinne!
Für eine" Leser, der noch nicht gelernt hat, bloß mit den Auge" zu lesen, der
steh gern etwas dabei denken mochte, wenn erkiest, ist es rein zum Tvllwerdeu!
Mir flimmerts jedesmal vor den Angen, wenn ich das Wort nur von ferne
herankommen sehe: in welchem Sinne wird denn ders wieder brauchen! denke
ich immer. Unter allen Modewörtern, die jetzt im Schwange sind, ist es wohl
das widerwärtigste; ich schriebe es nicht, nud wenn ich hundert Jahre alt würde.

Daß es Sprachmoden giebt so gut wie Kleidermoden, und Modewörter
^ gut wie Mvdekleider, Modefarben und Modefrisuren, darüber kann wohl
^'in Zweifel sein. Es giebt Wörter und Redensarten, die alle Kennzeichen einer
^odeschöpfung an sich tragen. Denn welches sind diese Kennzeichen? Die Mode
wird gemacht von Leuten, die in der Regel nicht den besten Geschmack haben.
ist sie ja so dumm, daß man sich ihre Entstehung kaum anders erklären
k"um, als daß mau annimmt, der Fabrikant habe absichtlich etwas recht dummes
unter die Leute geworfen, um zu sehen, ob sie auch darauf hineinfallen würden.


Bedingen und andre Modewörter

Kloster Altenberg, das den bedrängten Thalbewohnern bereits gegen die grimmen
Hunnen eine Zufluchtsstätte war; später wirkte dort die Tochter der heiligen
Elisabeth, Gertrud, als Äbtissin, das Opfer eines frommen Gelübdes ihrer
Mutter, die die Tochter in schwerer Stunde dem Himmel versprochen hatte;
die alte Klosterkirche birgt ihr Grab, Nicht weit von Nltenbcrg erhebt sich die
Dahlheimer Kapelle als das einzige Bauwerk, das der dreißigjährige Krieg von
dem einst blühenden Dorfe zurückgelassen hat; im übrigen ist es, wie so mancher
volkreiche Ort, im Kriege zu gründe gegangen und dem Erdboden gleich gemacht
worden. Gleich einem silbernen Bande dnrchschliugt der Fluß in anmutigen
Windungen die Sohle des Thales, bis er sich in weiter Ferne hinter einer viel¬
fachen Hügelkette verliert. An schönen Abende», wenn die scheidende Sonne
hinter dunkler Wolkenwand ihre letzten Strahlen ans diese Landschaft wirft und
Berge und Thäler in scharfen Schattirungen von einander scheidet, ist der
Anblick von großer Lieblichkeit.




Bedingen und andre Modewörter

f-TMA»^
Mcum ich nur endlich einmal dahinter kommen könnte, was eigent¬
lich bedingen heißt! Auf jeder Seite eines neuen Buches, in
jeder Zeitnugsspalte muß ichs lesen — gehört habe ichs selten —,
aber jeder braucht? in anderm Sinne! mitunter ein und derselbe
Mensch dreimal auf einer Seite, und jedesmal in anderm Sinne!
Für eine» Leser, der noch nicht gelernt hat, bloß mit den Auge» zu lesen, der
steh gern etwas dabei denken mochte, wenn erkiest, ist es rein zum Tvllwerdeu!
Mir flimmerts jedesmal vor den Angen, wenn ich das Wort nur von ferne
herankommen sehe: in welchem Sinne wird denn ders wieder brauchen! denke
ich immer. Unter allen Modewörtern, die jetzt im Schwange sind, ist es wohl
das widerwärtigste; ich schriebe es nicht, nud wenn ich hundert Jahre alt würde.

Daß es Sprachmoden giebt so gut wie Kleidermoden, und Modewörter
^ gut wie Mvdekleider, Modefarben und Modefrisuren, darüber kann wohl
^'in Zweifel sein. Es giebt Wörter und Redensarten, die alle Kennzeichen einer
^odeschöpfung an sich tragen. Denn welches sind diese Kennzeichen? Die Mode
wird gemacht von Leuten, die in der Regel nicht den besten Geschmack haben.
ist sie ja so dumm, daß man sich ihre Entstehung kaum anders erklären
k"um, als daß mau annimmt, der Fabrikant habe absichtlich etwas recht dummes
unter die Leute geworfen, um zu sehen, ob sie auch darauf hineinfallen würden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207714"/>
          <fw type="header" place="top"> Bedingen und andre Modewörter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1156" prev="#ID_1155"> Kloster Altenberg, das den bedrängten Thalbewohnern bereits gegen die grimmen<lb/>
Hunnen eine Zufluchtsstätte war; später wirkte dort die Tochter der heiligen<lb/>
Elisabeth, Gertrud, als Äbtissin, das Opfer eines frommen Gelübdes ihrer<lb/>
Mutter, die die Tochter in schwerer Stunde dem Himmel versprochen hatte;<lb/>
die alte Klosterkirche birgt ihr Grab, Nicht weit von Nltenbcrg erhebt sich die<lb/>
Dahlheimer Kapelle als das einzige Bauwerk, das der dreißigjährige Krieg von<lb/>
dem einst blühenden Dorfe zurückgelassen hat; im übrigen ist es, wie so mancher<lb/>
volkreiche Ort, im Kriege zu gründe gegangen und dem Erdboden gleich gemacht<lb/>
worden. Gleich einem silbernen Bande dnrchschliugt der Fluß in anmutigen<lb/>
Windungen die Sohle des Thales, bis er sich in weiter Ferne hinter einer viel¬<lb/>
fachen Hügelkette verliert. An schönen Abende», wenn die scheidende Sonne<lb/>
hinter dunkler Wolkenwand ihre letzten Strahlen ans diese Landschaft wirft und<lb/>
Berge und Thäler in scharfen Schattirungen von einander scheidet, ist der<lb/>
Anblick von großer Lieblichkeit.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Bedingen und andre Modewörter</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1157"> f-TMA»^<lb/>
Mcum ich nur endlich einmal dahinter kommen könnte, was eigent¬<lb/>
lich bedingen heißt! Auf jeder Seite eines neuen Buches, in<lb/>
jeder Zeitnugsspalte muß ichs lesen &#x2014; gehört habe ichs selten &#x2014;,<lb/>
aber jeder braucht? in anderm Sinne! mitunter ein und derselbe<lb/>
Mensch dreimal auf einer Seite, und jedesmal in anderm Sinne!<lb/>
Für eine» Leser, der noch nicht gelernt hat, bloß mit den Auge» zu lesen, der<lb/>
steh gern etwas dabei denken mochte, wenn erkiest, ist es rein zum Tvllwerdeu!<lb/>
Mir flimmerts jedesmal vor den Angen, wenn ich das Wort nur von ferne<lb/>
herankommen sehe: in welchem Sinne wird denn ders wieder brauchen! denke<lb/>
ich immer. Unter allen Modewörtern, die jetzt im Schwange sind, ist es wohl<lb/>
das widerwärtigste; ich schriebe es nicht, nud wenn ich hundert Jahre alt würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1158" next="#ID_1159"> Daß es Sprachmoden giebt so gut wie Kleidermoden, und Modewörter<lb/>
^ gut wie Mvdekleider, Modefarben und Modefrisuren, darüber kann wohl<lb/>
^'in Zweifel sein. Es giebt Wörter und Redensarten, die alle Kennzeichen einer<lb/>
^odeschöpfung an sich tragen. Denn welches sind diese Kennzeichen? Die Mode<lb/>
wird gemacht von Leuten, die in der Regel nicht den besten Geschmack haben.<lb/>
ist sie ja so dumm, daß man sich ihre Entstehung kaum anders erklären<lb/>
k"um, als daß mau annimmt, der Fabrikant habe absichtlich etwas recht dummes<lb/>
unter die Leute geworfen, um zu sehen, ob sie auch darauf hineinfallen würden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0419] Bedingen und andre Modewörter Kloster Altenberg, das den bedrängten Thalbewohnern bereits gegen die grimmen Hunnen eine Zufluchtsstätte war; später wirkte dort die Tochter der heiligen Elisabeth, Gertrud, als Äbtissin, das Opfer eines frommen Gelübdes ihrer Mutter, die die Tochter in schwerer Stunde dem Himmel versprochen hatte; die alte Klosterkirche birgt ihr Grab, Nicht weit von Nltenbcrg erhebt sich die Dahlheimer Kapelle als das einzige Bauwerk, das der dreißigjährige Krieg von dem einst blühenden Dorfe zurückgelassen hat; im übrigen ist es, wie so mancher volkreiche Ort, im Kriege zu gründe gegangen und dem Erdboden gleich gemacht worden. Gleich einem silbernen Bande dnrchschliugt der Fluß in anmutigen Windungen die Sohle des Thales, bis er sich in weiter Ferne hinter einer viel¬ fachen Hügelkette verliert. An schönen Abende», wenn die scheidende Sonne hinter dunkler Wolkenwand ihre letzten Strahlen ans diese Landschaft wirft und Berge und Thäler in scharfen Schattirungen von einander scheidet, ist der Anblick von großer Lieblichkeit. Bedingen und andre Modewörter f-TMA»^ Mcum ich nur endlich einmal dahinter kommen könnte, was eigent¬ lich bedingen heißt! Auf jeder Seite eines neuen Buches, in jeder Zeitnugsspalte muß ichs lesen — gehört habe ichs selten —, aber jeder braucht? in anderm Sinne! mitunter ein und derselbe Mensch dreimal auf einer Seite, und jedesmal in anderm Sinne! Für eine» Leser, der noch nicht gelernt hat, bloß mit den Auge» zu lesen, der steh gern etwas dabei denken mochte, wenn erkiest, ist es rein zum Tvllwerdeu! Mir flimmerts jedesmal vor den Angen, wenn ich das Wort nur von ferne herankommen sehe: in welchem Sinne wird denn ders wieder brauchen! denke ich immer. Unter allen Modewörtern, die jetzt im Schwange sind, ist es wohl das widerwärtigste; ich schriebe es nicht, nud wenn ich hundert Jahre alt würde. Daß es Sprachmoden giebt so gut wie Kleidermoden, und Modewörter ^ gut wie Mvdekleider, Modefarben und Modefrisuren, darüber kann wohl ^'in Zweifel sein. Es giebt Wörter und Redensarten, die alle Kennzeichen einer ^odeschöpfung an sich tragen. Denn welches sind diese Kennzeichen? Die Mode wird gemacht von Leuten, die in der Regel nicht den besten Geschmack haben. ist sie ja so dumm, daß man sich ihre Entstehung kaum anders erklären k"um, als daß mau annimmt, der Fabrikant habe absichtlich etwas recht dummes unter die Leute geworfen, um zu sehen, ob sie auch darauf hineinfallen würden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/419
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/419>, abgerufen am 26.12.2024.