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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Litteratur

Das moderne Landsknechttnm. Streiflichter über die soziale Stellung der Offiziorkorps.
Von Leipzig, Eduard Heinrich Mayer (o. I.) '

Der Verfasser dieser Schrift, ein aktiver Offizier, verwahrt sich gegen die
Annahme, als habe er mit seinen Streiflichtern ein bestimmtes Offizierkorps treffen
Nullen, die von ihm gerügten Mängel und Gebrechen fänden sich bei allen Nationen,
'n allen Heeren; im Gründe aber meint er doch wohl die deutschen Offiziere und
deren gegenwärtige Stellung in der gebildeten Gesellschaft. Die kaiserliche Kabinets-
ordre vom 29. März d. I., die sich auf deu Ersatz des Offizierkorps bezieht, wird
ziemlich pessimistisch dreinschauenden Verfasser über manche dunkeln Punkte,
wenigstens im deutschen Soldatenleben, beruhigen. Viele Schäden oder wunde
stellen unsrer modernen Offizierkorps werden trotzdem weiter bestehen, und von
nehm einmal freimütig, wenn auch mit Übertreibungen, gesprochen zu haben, ist
unmerhin ein Verdienst des ungenannten Verfassers. "Der Militarismus, wie er
^tzt in ganz Europa vorkommt -- sagt er -- lastet wie ein Alp auf deu fort¬
geschrittene" Zeiten des neunzehnten Jahrhunderts, und es ist ein eitler Wahn, zu
glauben, daß nur die bürgerliche Bevölkerung seinen Druck verspüre. Man glaubt
drücken und wird selbst gedrückt, die Militärs empfinden es am meisten, was
es bedeutet, im Jahrhundert der Aufklärung, der freiheitlichen Ideen zu leben und
Mittelalterlichen, den Menschen um einige hundert Jahre zurückversetzenden Satzungen
"u unterstehen." Die Offiziere seien ihrer ganzen Stellung und ihren Rechtennach
weiter nichts als Landsknechte; ihre allgemeine Bildung sei unzureichend und stehe
M^um Einklange mit dem ersten Range, der ihnen im Staate eingeräumt werde;
Offiziere mit einer vollständigen Gymnasial- oder Nealschnlbildnng seien selten¬
sten. Wir müssen das letztere für Deutschland entschieden bestreiten, denn sonst
lutte der Kaiser keine Veranlassung gehabt, Negimcutskommandeure zu tadeln, die
"is unabweisbare Bedingung für die Annahme eines Offizieraspiranten das Reife-
^ugnis aufgestellt haben. Der Verfasser befindet sich auch in dem alten Wahn,
pb jeder junge Mann , der die. Reife zur Universität besitzt, bereits ein ge¬
ödeter Mensch sei, als ob man sich außerhalb der Schulbänke keine Bildung an-
Ugnen könne; er überschätzt die moderne Schulgelehrsanikeit, sie ist heutzutage nicht
ehr maßgebend, denn sonst müßten unsre Philologen die gebildetsten und einflnß-
eichst^, Miwner sein, wogegen schon die vielsagende Thatsache spricht, daß kaum
ans diesem Stande dem neuen Reichstage angehört. Es giebt unter den
, lMereu, was auch in der Broschüre anerkannt wird, sehr viel strebsame Leute;
^ diesen oft die Gelegenheit versagt ist, sich weiter zu bilden und ihre geistigen
^ ^gleiten nutzbar zu machen, ist allerdings ein großer Übelstand und mag Wohl
? ^ Entmutigung manches begabten Offiziers beitragen. Kommt . dazu uoch die
'""er weiter gemachte Kluft zwischen den Mitgliedern des Generalstabs und dem
c ?^^ffizier, so kann die Stellung des letztern allerdings eine ziemlich un-
Medigende werden. Der Verfasser klagt über die mangelhafte pädagogische Be-
gabunund Schulung der militärischen Lehrer, die gewöhnlich ihren Schülern nur
cme Lektion voraus seien, über die oft brutale B<Verfahre", das in, den alten> rie Lektion voraus seien, über die oft brutale Behandlung der Offiziere durch
Vorgesetzten, über das militär-strafgerichtliche Va
ireln 'der Landsknechte wurzle; er bezeichnet das Militärgericht als ein Behm-
bei dem der Untersuchungsrichter, der Verteidiger und der endgiltige Richter
^' ""er Person vereinigt seien. Für eine andre äußerst verderbliche Folge des alten
^uechttums hält der Verfasser die gezwungene Ehelosigkeit der Offiziere in
'".Modernen Armeen. "In ihr -- sagt er -- liegt die Ursache des unde-
" ichen innern Elends, des klaffenden Abgrundes zwischen den, übermenschlich


Litteratur

Das moderne Landsknechttnm. Streiflichter über die soziale Stellung der Offiziorkorps.
Von Leipzig, Eduard Heinrich Mayer (o. I.) '

Der Verfasser dieser Schrift, ein aktiver Offizier, verwahrt sich gegen die
Annahme, als habe er mit seinen Streiflichtern ein bestimmtes Offizierkorps treffen
Nullen, die von ihm gerügten Mängel und Gebrechen fänden sich bei allen Nationen,
'n allen Heeren; im Gründe aber meint er doch wohl die deutschen Offiziere und
deren gegenwärtige Stellung in der gebildeten Gesellschaft. Die kaiserliche Kabinets-
ordre vom 29. März d. I., die sich auf deu Ersatz des Offizierkorps bezieht, wird
ziemlich pessimistisch dreinschauenden Verfasser über manche dunkeln Punkte,
wenigstens im deutschen Soldatenleben, beruhigen. Viele Schäden oder wunde
stellen unsrer modernen Offizierkorps werden trotzdem weiter bestehen, und von
nehm einmal freimütig, wenn auch mit Übertreibungen, gesprochen zu haben, ist
unmerhin ein Verdienst des ungenannten Verfassers. „Der Militarismus, wie er
^tzt in ganz Europa vorkommt — sagt er — lastet wie ein Alp auf deu fort¬
geschrittene« Zeiten des neunzehnten Jahrhunderts, und es ist ein eitler Wahn, zu
glauben, daß nur die bürgerliche Bevölkerung seinen Druck verspüre. Man glaubt
drücken und wird selbst gedrückt, die Militärs empfinden es am meisten, was
es bedeutet, im Jahrhundert der Aufklärung, der freiheitlichen Ideen zu leben und
Mittelalterlichen, den Menschen um einige hundert Jahre zurückversetzenden Satzungen
«u unterstehen." Die Offiziere seien ihrer ganzen Stellung und ihren Rechtennach
weiter nichts als Landsknechte; ihre allgemeine Bildung sei unzureichend und stehe
M^um Einklange mit dem ersten Range, der ihnen im Staate eingeräumt werde;
Offiziere mit einer vollständigen Gymnasial- oder Nealschnlbildnng seien selten¬
sten. Wir müssen das letztere für Deutschland entschieden bestreiten, denn sonst
lutte der Kaiser keine Veranlassung gehabt, Negimcutskommandeure zu tadeln, die
"is unabweisbare Bedingung für die Annahme eines Offizieraspiranten das Reife-
^ugnis aufgestellt haben. Der Verfasser befindet sich auch in dem alten Wahn,
pb jeder junge Mann , der die. Reife zur Universität besitzt, bereits ein ge¬
ödeter Mensch sei, als ob man sich außerhalb der Schulbänke keine Bildung an-
Ugnen könne; er überschätzt die moderne Schulgelehrsanikeit, sie ist heutzutage nicht
ehr maßgebend, denn sonst müßten unsre Philologen die gebildetsten und einflnß-
eichst^, Miwner sein, wogegen schon die vielsagende Thatsache spricht, daß kaum
ans diesem Stande dem neuen Reichstage angehört. Es giebt unter den
, lMereu, was auch in der Broschüre anerkannt wird, sehr viel strebsame Leute;
^ diesen oft die Gelegenheit versagt ist, sich weiter zu bilden und ihre geistigen
^ ^gleiten nutzbar zu machen, ist allerdings ein großer Übelstand und mag Wohl
? ^ Entmutigung manches begabten Offiziers beitragen. Kommt . dazu uoch die
'""er weiter gemachte Kluft zwischen den Mitgliedern des Generalstabs und dem
c ?^^ffizier, so kann die Stellung des letztern allerdings eine ziemlich un-
Medigende werden. Der Verfasser klagt über die mangelhafte pädagogische Be-
gabunund Schulung der militärischen Lehrer, die gewöhnlich ihren Schülern nur
cme Lektion voraus seien, über die oft brutale B<Verfahre«, das in, den alten> rie Lektion voraus seien, über die oft brutale Behandlung der Offiziere durch
Vorgesetzten, über das militär-strafgerichtliche Va
ireln 'der Landsknechte wurzle; er bezeichnet das Militärgericht als ein Behm-
bei dem der Untersuchungsrichter, der Verteidiger und der endgiltige Richter
^' ""er Person vereinigt seien. Für eine andre äußerst verderbliche Folge des alten
^uechttums hält der Verfasser die gezwungene Ehelosigkeit der Offiziere in
'".Modernen Armeen. „In ihr — sagt er — liegt die Ursache des unde-
" ichen innern Elends, des klaffenden Abgrundes zwischen den, übermenschlich


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[0341] Litteratur Das moderne Landsknechttnm. Streiflichter über die soziale Stellung der Offiziorkorps. Von Leipzig, Eduard Heinrich Mayer (o. I.) ' Der Verfasser dieser Schrift, ein aktiver Offizier, verwahrt sich gegen die Annahme, als habe er mit seinen Streiflichtern ein bestimmtes Offizierkorps treffen Nullen, die von ihm gerügten Mängel und Gebrechen fänden sich bei allen Nationen, 'n allen Heeren; im Gründe aber meint er doch wohl die deutschen Offiziere und deren gegenwärtige Stellung in der gebildeten Gesellschaft. Die kaiserliche Kabinets- ordre vom 29. März d. I., die sich auf deu Ersatz des Offizierkorps bezieht, wird ziemlich pessimistisch dreinschauenden Verfasser über manche dunkeln Punkte, wenigstens im deutschen Soldatenleben, beruhigen. Viele Schäden oder wunde stellen unsrer modernen Offizierkorps werden trotzdem weiter bestehen, und von nehm einmal freimütig, wenn auch mit Übertreibungen, gesprochen zu haben, ist unmerhin ein Verdienst des ungenannten Verfassers. „Der Militarismus, wie er ^tzt in ganz Europa vorkommt — sagt er — lastet wie ein Alp auf deu fort¬ geschrittene« Zeiten des neunzehnten Jahrhunderts, und es ist ein eitler Wahn, zu glauben, daß nur die bürgerliche Bevölkerung seinen Druck verspüre. Man glaubt drücken und wird selbst gedrückt, die Militärs empfinden es am meisten, was es bedeutet, im Jahrhundert der Aufklärung, der freiheitlichen Ideen zu leben und Mittelalterlichen, den Menschen um einige hundert Jahre zurückversetzenden Satzungen «u unterstehen." Die Offiziere seien ihrer ganzen Stellung und ihren Rechtennach weiter nichts als Landsknechte; ihre allgemeine Bildung sei unzureichend und stehe M^um Einklange mit dem ersten Range, der ihnen im Staate eingeräumt werde; Offiziere mit einer vollständigen Gymnasial- oder Nealschnlbildnng seien selten¬ sten. Wir müssen das letztere für Deutschland entschieden bestreiten, denn sonst lutte der Kaiser keine Veranlassung gehabt, Negimcutskommandeure zu tadeln, die "is unabweisbare Bedingung für die Annahme eines Offizieraspiranten das Reife- ^ugnis aufgestellt haben. Der Verfasser befindet sich auch in dem alten Wahn, pb jeder junge Mann , der die. Reife zur Universität besitzt, bereits ein ge¬ ödeter Mensch sei, als ob man sich außerhalb der Schulbänke keine Bildung an- Ugnen könne; er überschätzt die moderne Schulgelehrsanikeit, sie ist heutzutage nicht ehr maßgebend, denn sonst müßten unsre Philologen die gebildetsten und einflnß- eichst^, Miwner sein, wogegen schon die vielsagende Thatsache spricht, daß kaum ans diesem Stande dem neuen Reichstage angehört. Es giebt unter den , lMereu, was auch in der Broschüre anerkannt wird, sehr viel strebsame Leute; ^ diesen oft die Gelegenheit versagt ist, sich weiter zu bilden und ihre geistigen ^ ^gleiten nutzbar zu machen, ist allerdings ein großer Übelstand und mag Wohl ? ^ Entmutigung manches begabten Offiziers beitragen. Kommt . dazu uoch die '""er weiter gemachte Kluft zwischen den Mitgliedern des Generalstabs und dem c ?^^ffizier, so kann die Stellung des letztern allerdings eine ziemlich un- Medigende werden. Der Verfasser klagt über die mangelhafte pädagogische Be- gabunund Schulung der militärischen Lehrer, die gewöhnlich ihren Schülern nur cme Lektion voraus seien, über die oft brutale B<Verfahre«, das in, den alten> rie Lektion voraus seien, über die oft brutale Behandlung der Offiziere durch Vorgesetzten, über das militär-strafgerichtliche Va ireln 'der Landsknechte wurzle; er bezeichnet das Militärgericht als ein Behm- bei dem der Untersuchungsrichter, der Verteidiger und der endgiltige Richter ^' ""er Person vereinigt seien. Für eine andre äußerst verderbliche Folge des alten ^uechttums hält der Verfasser die gezwungene Ehelosigkeit der Offiziere in '".Modernen Armeen. „In ihr — sagt er — liegt die Ursache des unde- " ichen innern Elends, des klaffenden Abgrundes zwischen den, übermenschlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/341>, abgerufen am 26.12.2024.