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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Ehre

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^ ^meer den im letzten Winter zur Darstellung gebrachten neuen
Dramen ist entschieden das bedeutendste das vieraktige Schallspiel
von Hermann Sudermann: Die Ehre. Seine Ausführung
ist geradezu ein Ereignis gewesen. Wenn wir das Stück hier
einer nähern Prüfung unterwerfen, so soll dabei jede Beziehung
auf die Person des Verfassers und auf seine anderweitigen Leistungen vermieden
werden; wie das Schauspiel ohne jede Reklame, ohne die Gunst oder Ungunst
irgend welcher Vorurteile lediglich durch sich selbst gewirkt hat, so soll es auch
ganz aus sich allein heraus aufgefaßt und beurteilt werden.

Seine Wirkung ist in der That ganz ungewöhnlich gewesen; das beweist
der zahlreiche Besuch, durch den wohl überall das Publikum zu immer neue"
Wiederholungen aufforderte, die Spannung, mit der die Zuschauer die Dar¬
stellung begleiteten, selbst die beschauliche Haltung der Menge während der
Pansen: jeder fühlte das Bedürfnis, sich mit den eben empfangenen Eindrücken
auseinanderzusetzen.

Und diese Wirkung beruht nicht etwa auf irgend einem außergewöhnlich
fesselnden poetischen Reiz; es ist keine Zauberwelt verklärten Daseins, in die der
Dichter unsre Einbildungskraft gebannt hat, wir bewegen uns in der unmittel¬
barsten, handgreiflichsten Wirklichkeit, die auch nicht der leiseste Hauch von
Poesie durchzieht, und nicht unser ästhetisches, sondern unser sittliches, unser
soziales Interesse wird angeregt, dies freilich in ganz außerordentlichem Maße-

Den Gegenstand des Stückes bildet die "Ehre," dieser in allen Farben
schillernde Begriff, dessen Klärung lind Abgrenzung zu unsrer Zeit, wo die
Schranken zwischen den einzelnen Stünden immer mehr dahin schwinden, die
Anschannngskreise einst weltweit getrennter Gesellschaftsklassen einander immer
enger berühren und in ihrem Zusammenstoß Konflikte der mnnnichfachsten Art
ins Leben rufen, ein unabweisbares Problem geworden ist. Es ist ein glück¬
licher, geschickter Griff mitten ins volle Menschenleben hinein, und der Wahl
des Gegenstandes entspricht die meisterhafte Behandlung.

Aus einer klaren und zugleich weitdeuteuden Exposition entwickelt sich d>e
Handlung sicher und spannungsvoll, immer neue Erwartungen anregend und
immer aufs neue überraschend. Mit großer Lebendigkeit sind die Personen
gezeichnet, die kleinsten Züge dem Leben abgelauscht und an wirksamster Stelle




Die Ehre

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^ ^meer den im letzten Winter zur Darstellung gebrachten neuen
Dramen ist entschieden das bedeutendste das vieraktige Schallspiel
von Hermann Sudermann: Die Ehre. Seine Ausführung
ist geradezu ein Ereignis gewesen. Wenn wir das Stück hier
einer nähern Prüfung unterwerfen, so soll dabei jede Beziehung
auf die Person des Verfassers und auf seine anderweitigen Leistungen vermieden
werden; wie das Schauspiel ohne jede Reklame, ohne die Gunst oder Ungunst
irgend welcher Vorurteile lediglich durch sich selbst gewirkt hat, so soll es auch
ganz aus sich allein heraus aufgefaßt und beurteilt werden.

Seine Wirkung ist in der That ganz ungewöhnlich gewesen; das beweist
der zahlreiche Besuch, durch den wohl überall das Publikum zu immer neue»
Wiederholungen aufforderte, die Spannung, mit der die Zuschauer die Dar¬
stellung begleiteten, selbst die beschauliche Haltung der Menge während der
Pansen: jeder fühlte das Bedürfnis, sich mit den eben empfangenen Eindrücken
auseinanderzusetzen.

Und diese Wirkung beruht nicht etwa auf irgend einem außergewöhnlich
fesselnden poetischen Reiz; es ist keine Zauberwelt verklärten Daseins, in die der
Dichter unsre Einbildungskraft gebannt hat, wir bewegen uns in der unmittel¬
barsten, handgreiflichsten Wirklichkeit, die auch nicht der leiseste Hauch von
Poesie durchzieht, und nicht unser ästhetisches, sondern unser sittliches, unser
soziales Interesse wird angeregt, dies freilich in ganz außerordentlichem Maße-

Den Gegenstand des Stückes bildet die „Ehre," dieser in allen Farben
schillernde Begriff, dessen Klärung lind Abgrenzung zu unsrer Zeit, wo die
Schranken zwischen den einzelnen Stünden immer mehr dahin schwinden, die
Anschannngskreise einst weltweit getrennter Gesellschaftsklassen einander immer
enger berühren und in ihrem Zusammenstoß Konflikte der mnnnichfachsten Art
ins Leben rufen, ein unabweisbares Problem geworden ist. Es ist ein glück¬
licher, geschickter Griff mitten ins volle Menschenleben hinein, und der Wahl
des Gegenstandes entspricht die meisterhafte Behandlung.

Aus einer klaren und zugleich weitdeuteuden Exposition entwickelt sich d>e
Handlung sicher und spannungsvoll, immer neue Erwartungen anregend und
immer aufs neue überraschend. Mit großer Lebendigkeit sind die Personen
gezeichnet, die kleinsten Züge dem Leben abgelauscht und an wirksamster Stelle


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[0316] [Abbildung] Die Ehre MM,-» ^ ^-»»^M WUM cklDW' GkZV^K-». ^ ^meer den im letzten Winter zur Darstellung gebrachten neuen Dramen ist entschieden das bedeutendste das vieraktige Schallspiel von Hermann Sudermann: Die Ehre. Seine Ausführung ist geradezu ein Ereignis gewesen. Wenn wir das Stück hier einer nähern Prüfung unterwerfen, so soll dabei jede Beziehung auf die Person des Verfassers und auf seine anderweitigen Leistungen vermieden werden; wie das Schauspiel ohne jede Reklame, ohne die Gunst oder Ungunst irgend welcher Vorurteile lediglich durch sich selbst gewirkt hat, so soll es auch ganz aus sich allein heraus aufgefaßt und beurteilt werden. Seine Wirkung ist in der That ganz ungewöhnlich gewesen; das beweist der zahlreiche Besuch, durch den wohl überall das Publikum zu immer neue» Wiederholungen aufforderte, die Spannung, mit der die Zuschauer die Dar¬ stellung begleiteten, selbst die beschauliche Haltung der Menge während der Pansen: jeder fühlte das Bedürfnis, sich mit den eben empfangenen Eindrücken auseinanderzusetzen. Und diese Wirkung beruht nicht etwa auf irgend einem außergewöhnlich fesselnden poetischen Reiz; es ist keine Zauberwelt verklärten Daseins, in die der Dichter unsre Einbildungskraft gebannt hat, wir bewegen uns in der unmittel¬ barsten, handgreiflichsten Wirklichkeit, die auch nicht der leiseste Hauch von Poesie durchzieht, und nicht unser ästhetisches, sondern unser sittliches, unser soziales Interesse wird angeregt, dies freilich in ganz außerordentlichem Maße- Den Gegenstand des Stückes bildet die „Ehre," dieser in allen Farben schillernde Begriff, dessen Klärung lind Abgrenzung zu unsrer Zeit, wo die Schranken zwischen den einzelnen Stünden immer mehr dahin schwinden, die Anschannngskreise einst weltweit getrennter Gesellschaftsklassen einander immer enger berühren und in ihrem Zusammenstoß Konflikte der mnnnichfachsten Art ins Leben rufen, ein unabweisbares Problem geworden ist. Es ist ein glück¬ licher, geschickter Griff mitten ins volle Menschenleben hinein, und der Wahl des Gegenstandes entspricht die meisterhafte Behandlung. Aus einer klaren und zugleich weitdeuteuden Exposition entwickelt sich d>e Handlung sicher und spannungsvoll, immer neue Erwartungen anregend und immer aufs neue überraschend. Mit großer Lebendigkeit sind die Personen gezeichnet, die kleinsten Züge dem Leben abgelauscht und an wirksamster Stelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/316>, abgerufen am 26.12.2024.