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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Kie Lhre

Verwertet; jeder redet seine eigne Sprache in ungezwungenster Natürlichkeit,
und wie sie das naive Alltagskind oft zu Äußerungen von packender Komik
führt, so erhebt sie sich im Munde des überlegenen Weidmanns zu geistvolle",
mehrfach geradezu verblüffenden Wendungen. Und doch ist hier keine die
Oberfläche überwuchernde Ornamentik, die den Bau des Ganzen verdeckte; alle
Einzelheiten stehen in fester Beziehung zu diesem Ganzen, alle Gestalten erhalten
durch ihren eigentümlichen Zusammenhang mit der Grundidee des Stückes ihre
besondre Bedeutung. In dieser Behandlung verliert auch das die zarteren
Gefühle so leicht verletzende sinnliche Element, das sich hier nicht selten mit ganz
rücksichtsloser Nacktheit hervorwagt, alles Anstößige; es gehört notwendig in
den Zusammenhang, es dient der Sache. So ist dieses Stück, das alles einem
Zwecke einheitlich- unterordnet, so recht ein Erzeugnis unsrer auf das Praktische
gerichteten Zeit.

Und was ist nnn dieser Zweck? Er besteht keineswegs in der Hervor¬
bringung eines bloßen Bühnenerfolges, der dein Theaterdirektor ein volles
Haus, dem Dichter einen Namen schaffen soll. Er beschränkt sich auch nicht
darauf, ein buntes Stück Menschenleben, so wie es ist, abzumalen, souderu
dieses Bild soll zugleich veranschaulichen, was im Umkreise des Begriffs der
Ehre sein soll und was nicht sein soll. Die geistvollen Aussprüche, durch die
Graf Trask nicht selten einen lauten Beifallsjubel im Zuschauerraum hervorruft,
sollen mehr sein als schnell vorübergleitende Gedankenblitze: sie wollen bestehende
Anschauungen aufheben, sie wollen neue begründen -- das Stück ist ein
Tendenzstück. Aber eben dieser Umstand giebt der Kritik die Berechtigung, ja
Lr macht es ihr zur Pflicht, neben seinem dramatischen Wert, den der Erfolg
schon über allen Zweifel erhoben hat, auch seinen sittlichen zu erörtern.

Nicht der Held, aber die Hauptperson des Schauspiels ist der Graf Trask
von Saarberg. Als Offizier der Gardekürassiere hat er einst im Haznrdspiel
gegen einen Kameraden eine fabelhafte Summe nicht bar eingesetzt, souderu
'uit seinem Ehrenwort verbürgt und hinterher, als er verloren hatte, sich nußer
stände gesehen, sie zu zahlen. Von seinem Vater verflucht, vou seinen Kame¬
raden verstoßen, besinnt er sich in dem Augenblicke, wo er im Begriff steht,
vou jenen mit gespanntem Hahn für ihn zurückgelassene Pistole auf sich
"dzudrücken, daß es thöricht sei, einen dummen Streich durch einen zweiten
wieder gut machen zu wollen; er legt die Waffe zurück und verschwindet. Aber
Unst für immer. In Westindien gelingt es seiner vom Glück in ausgezeichneter
^else begünstigten Thatkraft und Umsicht, sich im Kolvnialwarenhandel so
Außerordentlichen Reichtum und kaufmännischen Einfluß zu erwerben, daß er
unter dem Namen des Kaffeekönigs auch bei den großen Kaufhäusern Europas
^ hohem Ansehen steht. So kehrt er nach einer Reihe von Jahren wieder
6n die Stätte seines ehemaligen Offizierslebens zurück. Seine alte Schuld hat
^ längst getilgt, auch die zerrütteten Finanzverhültnisse des Vaters, wieder


Kie Lhre

Verwertet; jeder redet seine eigne Sprache in ungezwungenster Natürlichkeit,
und wie sie das naive Alltagskind oft zu Äußerungen von packender Komik
führt, so erhebt sie sich im Munde des überlegenen Weidmanns zu geistvolle»,
mehrfach geradezu verblüffenden Wendungen. Und doch ist hier keine die
Oberfläche überwuchernde Ornamentik, die den Bau des Ganzen verdeckte; alle
Einzelheiten stehen in fester Beziehung zu diesem Ganzen, alle Gestalten erhalten
durch ihren eigentümlichen Zusammenhang mit der Grundidee des Stückes ihre
besondre Bedeutung. In dieser Behandlung verliert auch das die zarteren
Gefühle so leicht verletzende sinnliche Element, das sich hier nicht selten mit ganz
rücksichtsloser Nacktheit hervorwagt, alles Anstößige; es gehört notwendig in
den Zusammenhang, es dient der Sache. So ist dieses Stück, das alles einem
Zwecke einheitlich- unterordnet, so recht ein Erzeugnis unsrer auf das Praktische
gerichteten Zeit.

Und was ist nnn dieser Zweck? Er besteht keineswegs in der Hervor¬
bringung eines bloßen Bühnenerfolges, der dein Theaterdirektor ein volles
Haus, dem Dichter einen Namen schaffen soll. Er beschränkt sich auch nicht
darauf, ein buntes Stück Menschenleben, so wie es ist, abzumalen, souderu
dieses Bild soll zugleich veranschaulichen, was im Umkreise des Begriffs der
Ehre sein soll und was nicht sein soll. Die geistvollen Aussprüche, durch die
Graf Trask nicht selten einen lauten Beifallsjubel im Zuschauerraum hervorruft,
sollen mehr sein als schnell vorübergleitende Gedankenblitze: sie wollen bestehende
Anschauungen aufheben, sie wollen neue begründen — das Stück ist ein
Tendenzstück. Aber eben dieser Umstand giebt der Kritik die Berechtigung, ja
Lr macht es ihr zur Pflicht, neben seinem dramatischen Wert, den der Erfolg
schon über allen Zweifel erhoben hat, auch seinen sittlichen zu erörtern.

Nicht der Held, aber die Hauptperson des Schauspiels ist der Graf Trask
von Saarberg. Als Offizier der Gardekürassiere hat er einst im Haznrdspiel
gegen einen Kameraden eine fabelhafte Summe nicht bar eingesetzt, souderu
'uit seinem Ehrenwort verbürgt und hinterher, als er verloren hatte, sich nußer
stände gesehen, sie zu zahlen. Von seinem Vater verflucht, vou seinen Kame¬
raden verstoßen, besinnt er sich in dem Augenblicke, wo er im Begriff steht,
vou jenen mit gespanntem Hahn für ihn zurückgelassene Pistole auf sich
"dzudrücken, daß es thöricht sei, einen dummen Streich durch einen zweiten
wieder gut machen zu wollen; er legt die Waffe zurück und verschwindet. Aber
Unst für immer. In Westindien gelingt es seiner vom Glück in ausgezeichneter
^else begünstigten Thatkraft und Umsicht, sich im Kolvnialwarenhandel so
Außerordentlichen Reichtum und kaufmännischen Einfluß zu erwerben, daß er
unter dem Namen des Kaffeekönigs auch bei den großen Kaufhäusern Europas
^ hohem Ansehen steht. So kehrt er nach einer Reihe von Jahren wieder
6n die Stätte seines ehemaligen Offizierslebens zurück. Seine alte Schuld hat
^ längst getilgt, auch die zerrütteten Finanzverhültnisse des Vaters, wieder


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[0317] Kie Lhre Verwertet; jeder redet seine eigne Sprache in ungezwungenster Natürlichkeit, und wie sie das naive Alltagskind oft zu Äußerungen von packender Komik führt, so erhebt sie sich im Munde des überlegenen Weidmanns zu geistvolle», mehrfach geradezu verblüffenden Wendungen. Und doch ist hier keine die Oberfläche überwuchernde Ornamentik, die den Bau des Ganzen verdeckte; alle Einzelheiten stehen in fester Beziehung zu diesem Ganzen, alle Gestalten erhalten durch ihren eigentümlichen Zusammenhang mit der Grundidee des Stückes ihre besondre Bedeutung. In dieser Behandlung verliert auch das die zarteren Gefühle so leicht verletzende sinnliche Element, das sich hier nicht selten mit ganz rücksichtsloser Nacktheit hervorwagt, alles Anstößige; es gehört notwendig in den Zusammenhang, es dient der Sache. So ist dieses Stück, das alles einem Zwecke einheitlich- unterordnet, so recht ein Erzeugnis unsrer auf das Praktische gerichteten Zeit. Und was ist nnn dieser Zweck? Er besteht keineswegs in der Hervor¬ bringung eines bloßen Bühnenerfolges, der dein Theaterdirektor ein volles Haus, dem Dichter einen Namen schaffen soll. Er beschränkt sich auch nicht darauf, ein buntes Stück Menschenleben, so wie es ist, abzumalen, souderu dieses Bild soll zugleich veranschaulichen, was im Umkreise des Begriffs der Ehre sein soll und was nicht sein soll. Die geistvollen Aussprüche, durch die Graf Trask nicht selten einen lauten Beifallsjubel im Zuschauerraum hervorruft, sollen mehr sein als schnell vorübergleitende Gedankenblitze: sie wollen bestehende Anschauungen aufheben, sie wollen neue begründen — das Stück ist ein Tendenzstück. Aber eben dieser Umstand giebt der Kritik die Berechtigung, ja Lr macht es ihr zur Pflicht, neben seinem dramatischen Wert, den der Erfolg schon über allen Zweifel erhoben hat, auch seinen sittlichen zu erörtern. Nicht der Held, aber die Hauptperson des Schauspiels ist der Graf Trask von Saarberg. Als Offizier der Gardekürassiere hat er einst im Haznrdspiel gegen einen Kameraden eine fabelhafte Summe nicht bar eingesetzt, souderu 'uit seinem Ehrenwort verbürgt und hinterher, als er verloren hatte, sich nußer stände gesehen, sie zu zahlen. Von seinem Vater verflucht, vou seinen Kame¬ raden verstoßen, besinnt er sich in dem Augenblicke, wo er im Begriff steht, vou jenen mit gespanntem Hahn für ihn zurückgelassene Pistole auf sich "dzudrücken, daß es thöricht sei, einen dummen Streich durch einen zweiten wieder gut machen zu wollen; er legt die Waffe zurück und verschwindet. Aber Unst für immer. In Westindien gelingt es seiner vom Glück in ausgezeichneter ^else begünstigten Thatkraft und Umsicht, sich im Kolvnialwarenhandel so Außerordentlichen Reichtum und kaufmännischen Einfluß zu erwerben, daß er unter dem Namen des Kaffeekönigs auch bei den großen Kaufhäusern Europas ^ hohem Ansehen steht. So kehrt er nach einer Reihe von Jahren wieder 6n die Stätte seines ehemaligen Offizierslebens zurück. Seine alte Schuld hat ^ längst getilgt, auch die zerrütteten Finanzverhültnisse des Vaters, wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/317>, abgerufen am 26.06.2024.