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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Partei im Auge gehabt, die Regierung handelte nach bestem Wissen für die Ge¬
samtheit. Da niemand den Besitz eines Rechtes verlöre, so halten wir den Übergang
keineswegs für gefährlich; es würde viel Zeitungslärm, vielleicht auch hie und
da eine Zusauunenrvttung geben, aber daran ist man schon gewöhnt, und noch
hat die Regierung die Macht in den Handen; sie wäre thöricht, sich diese ent¬
winden zu lassen, sie wäre verantwortlich, denn ihr steht es zu, für das Wohl
der Gesamtheit zu wachen.

Eine zweite Art der Einführung bestünde darin, daß ein Land, etwa
Sachsen, Baden oder Württemberg den Versuch mit der Standesvertretuug
machte. Mißglückte er, wäre nicht viel verloren; glückte er, so könnte Großes
gewonnen werden: Ruhe, politische und soziale Wiedergenesung de5 deutschen
Volkes.




Aus den ^ugendjahren der Sozialdemokratie
i

nsre Sozialdemokratie will, obwohl sie im dentschen Reiche ihr
Brot verdient und sich im deutschen Reichstage vertreten läßt,
leine deutsche Partei sein, und ihrem Ursprünge nach ist sie das
auch uicht. Den vaterländischen Interessen nicht bloß abgekehrt,
sondern feindlich, verfolgt sie eingestandenermaßen Ziele, die auf
den Umsturz aller bisher die einzelnen Völker zusammenhaltenden und ent¬
wickelnde" Staaten, anch der republikanische", hinauslaufen und zuletzt in der
Herstellung einer neue" Gesellschaft, einer neuen Menschheit ihren Gipfelpunkt
erreichen sollen, ans dem unbedingte Gleichheit nicht bloß des Rechtes, sonder"
auch des Besitzes herrscht. Ihrer Herkunft nach aber ist sie eine Französin,
eine Tochter des Geistes der Revolution, der die Welt seit 1789 immer von
neuem unizuwerfe" und umzugestalten bestrebt ist, und der, wenn es nicht ge¬
lingt, ihn dauernd zu fesseln, damit fortfahren wird, bis er seine Kräfte er¬
schöpft hat.

In den folgende" geschichtlichen Betrachtungen werfen wir einen Blick ans
die theoretischen Anfänge und die ersten gewaltsamen Versuche der Sozialdemo¬
kratie, ihre Lehre zu verwirklichen. Wie diese Lehre außerhalb Frankreichs, vor¬
züglich von deutscheu Juden weiter ausgebildet, und wie ein späterer Versuch,
sie ins praktische Leben einzuführen, in der Pariser ^tomninne unternommen wurde


Partei im Auge gehabt, die Regierung handelte nach bestem Wissen für die Ge¬
samtheit. Da niemand den Besitz eines Rechtes verlöre, so halten wir den Übergang
keineswegs für gefährlich; es würde viel Zeitungslärm, vielleicht auch hie und
da eine Zusauunenrvttung geben, aber daran ist man schon gewöhnt, und noch
hat die Regierung die Macht in den Handen; sie wäre thöricht, sich diese ent¬
winden zu lassen, sie wäre verantwortlich, denn ihr steht es zu, für das Wohl
der Gesamtheit zu wachen.

Eine zweite Art der Einführung bestünde darin, daß ein Land, etwa
Sachsen, Baden oder Württemberg den Versuch mit der Standesvertretuug
machte. Mißglückte er, wäre nicht viel verloren; glückte er, so könnte Großes
gewonnen werden: Ruhe, politische und soziale Wiedergenesung de5 deutschen
Volkes.




Aus den ^ugendjahren der Sozialdemokratie
i

nsre Sozialdemokratie will, obwohl sie im dentschen Reiche ihr
Brot verdient und sich im deutschen Reichstage vertreten läßt,
leine deutsche Partei sein, und ihrem Ursprünge nach ist sie das
auch uicht. Den vaterländischen Interessen nicht bloß abgekehrt,
sondern feindlich, verfolgt sie eingestandenermaßen Ziele, die auf
den Umsturz aller bisher die einzelnen Völker zusammenhaltenden und ent¬
wickelnde» Staaten, anch der republikanische», hinauslaufen und zuletzt in der
Herstellung einer neue» Gesellschaft, einer neuen Menschheit ihren Gipfelpunkt
erreichen sollen, ans dem unbedingte Gleichheit nicht bloß des Rechtes, sonder»
auch des Besitzes herrscht. Ihrer Herkunft nach aber ist sie eine Französin,
eine Tochter des Geistes der Revolution, der die Welt seit 1789 immer von
neuem unizuwerfe» und umzugestalten bestrebt ist, und der, wenn es nicht ge¬
lingt, ihn dauernd zu fesseln, damit fortfahren wird, bis er seine Kräfte er¬
schöpft hat.

In den folgende» geschichtlichen Betrachtungen werfen wir einen Blick ans
die theoretischen Anfänge und die ersten gewaltsamen Versuche der Sozialdemo¬
kratie, ihre Lehre zu verwirklichen. Wie diese Lehre außerhalb Frankreichs, vor¬
züglich von deutscheu Juden weiter ausgebildet, und wie ein späterer Versuch,
sie ins praktische Leben einzuführen, in der Pariser ^tomninne unternommen wurde


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[0024] Partei im Auge gehabt, die Regierung handelte nach bestem Wissen für die Ge¬ samtheit. Da niemand den Besitz eines Rechtes verlöre, so halten wir den Übergang keineswegs für gefährlich; es würde viel Zeitungslärm, vielleicht auch hie und da eine Zusauunenrvttung geben, aber daran ist man schon gewöhnt, und noch hat die Regierung die Macht in den Handen; sie wäre thöricht, sich diese ent¬ winden zu lassen, sie wäre verantwortlich, denn ihr steht es zu, für das Wohl der Gesamtheit zu wachen. Eine zweite Art der Einführung bestünde darin, daß ein Land, etwa Sachsen, Baden oder Württemberg den Versuch mit der Standesvertretuug machte. Mißglückte er, wäre nicht viel verloren; glückte er, so könnte Großes gewonnen werden: Ruhe, politische und soziale Wiedergenesung de5 deutschen Volkes. Aus den ^ugendjahren der Sozialdemokratie i nsre Sozialdemokratie will, obwohl sie im dentschen Reiche ihr Brot verdient und sich im deutschen Reichstage vertreten läßt, leine deutsche Partei sein, und ihrem Ursprünge nach ist sie das auch uicht. Den vaterländischen Interessen nicht bloß abgekehrt, sondern feindlich, verfolgt sie eingestandenermaßen Ziele, die auf den Umsturz aller bisher die einzelnen Völker zusammenhaltenden und ent¬ wickelnde» Staaten, anch der republikanische», hinauslaufen und zuletzt in der Herstellung einer neue» Gesellschaft, einer neuen Menschheit ihren Gipfelpunkt erreichen sollen, ans dem unbedingte Gleichheit nicht bloß des Rechtes, sonder» auch des Besitzes herrscht. Ihrer Herkunft nach aber ist sie eine Französin, eine Tochter des Geistes der Revolution, der die Welt seit 1789 immer von neuem unizuwerfe» und umzugestalten bestrebt ist, und der, wenn es nicht ge¬ lingt, ihn dauernd zu fesseln, damit fortfahren wird, bis er seine Kräfte er¬ schöpft hat. In den folgende» geschichtlichen Betrachtungen werfen wir einen Blick ans die theoretischen Anfänge und die ersten gewaltsamen Versuche der Sozialdemo¬ kratie, ihre Lehre zu verwirklichen. Wie diese Lehre außerhalb Frankreichs, vor¬ züglich von deutscheu Juden weiter ausgebildet, und wie ein späterer Versuch, sie ins praktische Leben einzuführen, in der Pariser ^tomninne unternommen wurde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/24>, abgerufen am 26.06.2024.