Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Aus den ^ugendjahren der Sozialdemokratie
4

rennt, eine besitzlose, von der Hand in den Mund lebende Klasse,
die von den Bemittelten beschäftigt wurde und sich allein dadurch
erhielt, kurz: ein Proletariat hatte es in Frankreich wie ander¬
wärts ' immer gegeben. Unter dem ersten Napoleon aber trat
dieser Teil des Volkes in den Hintergrund, wenigstens ver¬
stummten seine Klagen und Ansprüche. Die Hälfte der Arbeiter diente im
Heere, verminderte dadurch das Arbeitsangebot, erwarb Ruhm und hatte die
Möglichkeit im Tornister, Marschall zu werden. Die Kontinentalsperre schloß
die wichtigste fremde Konkurrenz aus. Der Lohn der Arbeit stieg infolge dieser
Umstände ebenso wie die Nachfrage nach Arbeit, und die Arbeiter hatte" somit,
was sie bedurften, um sich wohl zu fühlen.

Das änderte sich mit dem Frieden. Das Kapital bekam Ruhe und Mut,
die Konkurrenz regte sich, die Industrie blühte, besonders als der Dampf ihre
Erwerbsmittel vermehrt hatte, mächtig auf, es wurde viel Arbeit verlangt, aber
noch mehr angeboten. Die kleinen Kapitalien fingen an, den großen zu unter¬
liegen, und die großen Unternehmungen bekämpften nun einander auf Kosten
des Arbeitslohnes. Wie den Stand des alten Adels, so brachte die Restau¬
ration auch das alte Proletariat wieder, nur hatte die Verfassung von 18t>->
zwischen beide den Stand der Besitzenden gestellt, da mich ihr das Recht der
Volksvertretung von einem hohen Zensus abhängig war. Hätte die Regierung
sich damals ehrlich mit dieser Klasse der Gesellschaft, der Bourgeoisie, ver¬
bündet und ihr verfassungsmäßige Freiheit verbürgt, so würde sie sich laugen
Bestand gesichert haben. Da dies aber nicht geschah, so mußte sich das Bürger¬
tum zur Verteidigung seiner staatsrechtlichen Stellung Beistand beim Prole¬
tariat suchen und diesen Beistand durch Unterstützung des Anspruchs auf
größere Geltung im Staate, auf Herabsetzung des Zensus, ja auf völlige Be¬
seitigung desselben erkaufen, womit man sich, teils bewußt, teils unbewußt,
demokratischen Zielen zuwendete. Das Mittel, diese zu erreichen, suchte mau
in geheimen Gesellschaften, wie sie in den folgenden Jahrzehnten die innere
Geschichte Frankreichs beherrscht haben. Bei der Julirevolution siegten die
wohlhabende und gebildete Mittelklasse in ihrem nur verfasst,ugstreues Regt-




Aus den ^ugendjahren der Sozialdemokratie
4

rennt, eine besitzlose, von der Hand in den Mund lebende Klasse,
die von den Bemittelten beschäftigt wurde und sich allein dadurch
erhielt, kurz: ein Proletariat hatte es in Frankreich wie ander¬
wärts ' immer gegeben. Unter dem ersten Napoleon aber trat
dieser Teil des Volkes in den Hintergrund, wenigstens ver¬
stummten seine Klagen und Ansprüche. Die Hälfte der Arbeiter diente im
Heere, verminderte dadurch das Arbeitsangebot, erwarb Ruhm und hatte die
Möglichkeit im Tornister, Marschall zu werden. Die Kontinentalsperre schloß
die wichtigste fremde Konkurrenz aus. Der Lohn der Arbeit stieg infolge dieser
Umstände ebenso wie die Nachfrage nach Arbeit, und die Arbeiter hatte» somit,
was sie bedurften, um sich wohl zu fühlen.

Das änderte sich mit dem Frieden. Das Kapital bekam Ruhe und Mut,
die Konkurrenz regte sich, die Industrie blühte, besonders als der Dampf ihre
Erwerbsmittel vermehrt hatte, mächtig auf, es wurde viel Arbeit verlangt, aber
noch mehr angeboten. Die kleinen Kapitalien fingen an, den großen zu unter¬
liegen, und die großen Unternehmungen bekämpften nun einander auf Kosten
des Arbeitslohnes. Wie den Stand des alten Adels, so brachte die Restau¬
ration auch das alte Proletariat wieder, nur hatte die Verfassung von 18t>->
zwischen beide den Stand der Besitzenden gestellt, da mich ihr das Recht der
Volksvertretung von einem hohen Zensus abhängig war. Hätte die Regierung
sich damals ehrlich mit dieser Klasse der Gesellschaft, der Bourgeoisie, ver¬
bündet und ihr verfassungsmäßige Freiheit verbürgt, so würde sie sich laugen
Bestand gesichert haben. Da dies aber nicht geschah, so mußte sich das Bürger¬
tum zur Verteidigung seiner staatsrechtlichen Stellung Beistand beim Prole¬
tariat suchen und diesen Beistand durch Unterstützung des Anspruchs auf
größere Geltung im Staate, auf Herabsetzung des Zensus, ja auf völlige Be¬
seitigung desselben erkaufen, womit man sich, teils bewußt, teils unbewußt,
demokratischen Zielen zuwendete. Das Mittel, diese zu erreichen, suchte mau
in geheimen Gesellschaften, wie sie in den folgenden Jahrzehnten die innere
Geschichte Frankreichs beherrscht haben. Bei der Julirevolution siegten die
wohlhabende und gebildete Mittelklasse in ihrem nur verfasst,ugstreues Regt-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207507"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341851_207294/figures/grenzboten_341851_207294_207507_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus den ^ugendjahren der Sozialdemokratie<lb/>
4 </head><lb/>
          <p xml:id="ID_581"> rennt, eine besitzlose, von der Hand in den Mund lebende Klasse,<lb/>
die von den Bemittelten beschäftigt wurde und sich allein dadurch<lb/>
erhielt, kurz: ein Proletariat hatte es in Frankreich wie ander¬<lb/>
wärts ' immer gegeben. Unter dem ersten Napoleon aber trat<lb/>
dieser Teil des Volkes in den Hintergrund, wenigstens ver¬<lb/>
stummten seine Klagen und Ansprüche. Die Hälfte der Arbeiter diente im<lb/>
Heere, verminderte dadurch das Arbeitsangebot, erwarb Ruhm und hatte die<lb/>
Möglichkeit im Tornister, Marschall zu werden. Die Kontinentalsperre schloß<lb/>
die wichtigste fremde Konkurrenz aus. Der Lohn der Arbeit stieg infolge dieser<lb/>
Umstände ebenso wie die Nachfrage nach Arbeit, und die Arbeiter hatte» somit,<lb/>
was sie bedurften, um sich wohl zu fühlen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_582" next="#ID_583"> Das änderte sich mit dem Frieden. Das Kapital bekam Ruhe und Mut,<lb/>
die Konkurrenz regte sich, die Industrie blühte, besonders als der Dampf ihre<lb/>
Erwerbsmittel vermehrt hatte, mächtig auf, es wurde viel Arbeit verlangt, aber<lb/>
noch mehr angeboten. Die kleinen Kapitalien fingen an, den großen zu unter¬<lb/>
liegen, und die großen Unternehmungen bekämpften nun einander auf Kosten<lb/>
des Arbeitslohnes. Wie den Stand des alten Adels, so brachte die Restau¬<lb/>
ration auch das alte Proletariat wieder, nur hatte die Verfassung von 18t&gt;-&gt;<lb/>
zwischen beide den Stand der Besitzenden gestellt, da mich ihr das Recht der<lb/>
Volksvertretung von einem hohen Zensus abhängig war. Hätte die Regierung<lb/>
sich damals ehrlich mit dieser Klasse der Gesellschaft, der Bourgeoisie, ver¬<lb/>
bündet und ihr verfassungsmäßige Freiheit verbürgt, so würde sie sich laugen<lb/>
Bestand gesichert haben. Da dies aber nicht geschah, so mußte sich das Bürger¬<lb/>
tum zur Verteidigung seiner staatsrechtlichen Stellung Beistand beim Prole¬<lb/>
tariat suchen und diesen Beistand durch Unterstützung des Anspruchs auf<lb/>
größere Geltung im Staate, auf Herabsetzung des Zensus, ja auf völlige Be¬<lb/>
seitigung desselben erkaufen, womit man sich, teils bewußt, teils unbewußt,<lb/>
demokratischen Zielen zuwendete. Das Mittel, diese zu erreichen, suchte mau<lb/>
in geheimen Gesellschaften, wie sie in den folgenden Jahrzehnten die innere<lb/>
Geschichte Frankreichs beherrscht haben. Bei der Julirevolution siegten die<lb/>
wohlhabende und gebildete Mittelklasse in ihrem nur verfasst,ugstreues Regt-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0212] [Abbildung] Aus den ^ugendjahren der Sozialdemokratie 4 rennt, eine besitzlose, von der Hand in den Mund lebende Klasse, die von den Bemittelten beschäftigt wurde und sich allein dadurch erhielt, kurz: ein Proletariat hatte es in Frankreich wie ander¬ wärts ' immer gegeben. Unter dem ersten Napoleon aber trat dieser Teil des Volkes in den Hintergrund, wenigstens ver¬ stummten seine Klagen und Ansprüche. Die Hälfte der Arbeiter diente im Heere, verminderte dadurch das Arbeitsangebot, erwarb Ruhm und hatte die Möglichkeit im Tornister, Marschall zu werden. Die Kontinentalsperre schloß die wichtigste fremde Konkurrenz aus. Der Lohn der Arbeit stieg infolge dieser Umstände ebenso wie die Nachfrage nach Arbeit, und die Arbeiter hatte» somit, was sie bedurften, um sich wohl zu fühlen. Das änderte sich mit dem Frieden. Das Kapital bekam Ruhe und Mut, die Konkurrenz regte sich, die Industrie blühte, besonders als der Dampf ihre Erwerbsmittel vermehrt hatte, mächtig auf, es wurde viel Arbeit verlangt, aber noch mehr angeboten. Die kleinen Kapitalien fingen an, den großen zu unter¬ liegen, und die großen Unternehmungen bekämpften nun einander auf Kosten des Arbeitslohnes. Wie den Stand des alten Adels, so brachte die Restau¬ ration auch das alte Proletariat wieder, nur hatte die Verfassung von 18t>-> zwischen beide den Stand der Besitzenden gestellt, da mich ihr das Recht der Volksvertretung von einem hohen Zensus abhängig war. Hätte die Regierung sich damals ehrlich mit dieser Klasse der Gesellschaft, der Bourgeoisie, ver¬ bündet und ihr verfassungsmäßige Freiheit verbürgt, so würde sie sich laugen Bestand gesichert haben. Da dies aber nicht geschah, so mußte sich das Bürger¬ tum zur Verteidigung seiner staatsrechtlichen Stellung Beistand beim Prole¬ tariat suchen und diesen Beistand durch Unterstützung des Anspruchs auf größere Geltung im Staate, auf Herabsetzung des Zensus, ja auf völlige Be¬ seitigung desselben erkaufen, womit man sich, teils bewußt, teils unbewußt, demokratischen Zielen zuwendete. Das Mittel, diese zu erreichen, suchte mau in geheimen Gesellschaften, wie sie in den folgenden Jahrzehnten die innere Geschichte Frankreichs beherrscht haben. Bei der Julirevolution siegten die wohlhabende und gebildete Mittelklasse in ihrem nur verfasst,ugstreues Regt-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/212
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/212>, abgerufen am 26.12.2024.