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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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weiten Abstand darlegt, vollzieht er nicht das Werk des Realisten, sondern des
vollendeten Pessimisten, und dessen notwendige Ergänzung ist bekanntlich gerade
der Idealist. Keinem modernen Dramatiker fehlt mehr die Fähigkeit der ob¬
jektiven Anschauung, und so erscheint Ibsen als das gerade Gegenteil dessen,
als was er nach dem Wunsche mancher Wortführer durch die Litteratur¬
geschichte gehen soll. Er ist der ausgesprochene Idealist, der nur im Unter¬
schiede gegen andre den Beweis für seinen Idealismus 6 "ontrario erbringt,
aus seiner eigentümlichen Darstellung der Nachtseiten unsrer sozialen Verhält¬
nisse. Gerade der wahre Realist müßte anerkennen, daß nicht alles auf der
Welt schlecht und unheilbar ist; dagegen ist es dem Idealisten schwer zu ver¬
wehren, seine Träume von Recht und Glück so hoch zu spannen, daß ihnen
in der Realität nichts mehr nahe zu kommen vermag. Darüber verliert er
aber jeden Boden unter deu Füßen, und wir würden ihn mit verliere", wen"
wir auf den Flügeln seiner trügerischen Dialektik ihm in seine Wolkenregionen
folgen wollten.




Die Prüfungskommissionen für (Linjährig-Freiroillige

is im Februar dieses Jahres der Kultusminister im Abgeordneten¬
hause die Mitteilung machte, daß die Absicht bestünde, die Be¬
rechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienste von den höhern
Schulen zu trennen und diese künftig durch eine besondre Prüfung
nachweisen zu lassen, herrschte wohl in Schulkreisen allgemeine
Freude darüber. Man glaubte der Lösung der Schulfrage einen Schritt näher
gekommen zu sein. Zugleich legte man sich die Frage vor: Wie wird wohl
in Zukunft diese Berechtigung nachgewiesen werden? Wird diese Prüfung vor
derselben Kommission zu geschehen haben, die jetzt schon in jeder Regierungs¬
stadt alljährlich zweimal, im Frühjahr und Herbst, zusammentritt, oder beab¬
sichtigt der Staat mehrere solcher Kommissionen in jedem Regierungsbezirk
einzurichten, oder will er überhaupt andre Einrichtungen treffen? Da nun
über diese Prüfungskommissionen in weitern Kreisen sehr wenig bekannt zu sein
pflegt, so möge über ihre Zweckmäßigkeit und ihre Mängel eine kurze Erörte¬
rung gestattet sein.

Die Kommission besteht aus drei ordentlichen und gewöhnlich fünf außer¬
ordentlichen Mitgliedern. Die drei ordentlichen Mitglieder sind: ein juristisch


weiten Abstand darlegt, vollzieht er nicht das Werk des Realisten, sondern des
vollendeten Pessimisten, und dessen notwendige Ergänzung ist bekanntlich gerade
der Idealist. Keinem modernen Dramatiker fehlt mehr die Fähigkeit der ob¬
jektiven Anschauung, und so erscheint Ibsen als das gerade Gegenteil dessen,
als was er nach dem Wunsche mancher Wortführer durch die Litteratur¬
geschichte gehen soll. Er ist der ausgesprochene Idealist, der nur im Unter¬
schiede gegen andre den Beweis für seinen Idealismus 6 «ontrario erbringt,
aus seiner eigentümlichen Darstellung der Nachtseiten unsrer sozialen Verhält¬
nisse. Gerade der wahre Realist müßte anerkennen, daß nicht alles auf der
Welt schlecht und unheilbar ist; dagegen ist es dem Idealisten schwer zu ver¬
wehren, seine Träume von Recht und Glück so hoch zu spannen, daß ihnen
in der Realität nichts mehr nahe zu kommen vermag. Darüber verliert er
aber jeden Boden unter deu Füßen, und wir würden ihn mit verliere», wen»
wir auf den Flügeln seiner trügerischen Dialektik ihm in seine Wolkenregionen
folgen wollten.




Die Prüfungskommissionen für (Linjährig-Freiroillige

is im Februar dieses Jahres der Kultusminister im Abgeordneten¬
hause die Mitteilung machte, daß die Absicht bestünde, die Be¬
rechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienste von den höhern
Schulen zu trennen und diese künftig durch eine besondre Prüfung
nachweisen zu lassen, herrschte wohl in Schulkreisen allgemeine
Freude darüber. Man glaubte der Lösung der Schulfrage einen Schritt näher
gekommen zu sein. Zugleich legte man sich die Frage vor: Wie wird wohl
in Zukunft diese Berechtigung nachgewiesen werden? Wird diese Prüfung vor
derselben Kommission zu geschehen haben, die jetzt schon in jeder Regierungs¬
stadt alljährlich zweimal, im Frühjahr und Herbst, zusammentritt, oder beab¬
sichtigt der Staat mehrere solcher Kommissionen in jedem Regierungsbezirk
einzurichten, oder will er überhaupt andre Einrichtungen treffen? Da nun
über diese Prüfungskommissionen in weitern Kreisen sehr wenig bekannt zu sein
pflegt, so möge über ihre Zweckmäßigkeit und ihre Mängel eine kurze Erörte¬
rung gestattet sein.

Die Kommission besteht aus drei ordentlichen und gewöhnlich fünf außer¬
ordentlichen Mitgliedern. Die drei ordentlichen Mitglieder sind: ein juristisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/140>, abgerufen am 26.06.2024.