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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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wie von einer den Fürstensohn befallenen Krankheit, einem den Lokomvtiven-
führer betroffenen Unglück, einer zwischen den Parteien gewalteten Un¬
einigkeit, einem seit langer Zeit bestandenen Snntmarkt, einer im vorigen
Jahrhundert vbgeschwebten Rechtssache und ähnlichem grammatischen Schand¬
zeug, das man alle Tage lesen kann. Und er thut auch klug daran, denn solche
Verbindungen sind und bleiben gegen das deutsche Sprachgefühl, so häufig sie
auch von Ungebildeten gebraucht werdeu. Vor kurzem hatte ich an mehrere
Hundert Personen eine Zuschrift abzufassen, aus die ebenso viel hundert teils
ablehnende, teils zustimmende Antworten eingingen. Ich beauftragte einen dienst¬
baren Geist, einen Schreiber, mit der Durchsicht und Ordnung der eingelaufenen
Antworten. Als er fertig war, legte er mir zwei Mappen vor, und auf der
einen stand: abgekehrte Schreiben, ans der andern: angenommene
Schreiben. Was soll das heißen? fragte ich. Nun, das hier sind die
Schreiben, die angenommen haben, und das hier sind die, die abgelehnt
haben. Großartig interessanter Fall für den Germanisten -- nicht wahr?
Aber so würde doch selbst der liederlichste Zeitungsschreiber nicht schreiben.
Wie soll man denn aber das falsche stattgehabt und stattgefunden ver¬
meiden? Es ist doch so kurz und bequem, soll man immer Relativsätze bilden?
Nein, man soll schreiben: die veranstaltete Feier, die abgehaltene Ver¬
sammlung, die vorgenommene Abstimmung, die bewilligte Audienz u. s. w.
Mit ein klein wenig Nachdenken ist der langweilige Fehler sehr leicht zu ver¬
meiden.

(Fortsetzung folgt)




Wie auf dem Lande gewählt wird

ernst du den Vogelsberg? Wahrscheinlich nicht, denn dieses von
der gewöhnlichen Heerstraße abliegende Gebirge zwischen Weiterem
einerseits und Fuloa- und Kinzigthal anderseits hat es noch zu keiner
großen Berühmtheit gebracht. Zwar hat sich ein Vogelsberger
Höhenklub gebildet, zwar hat dieser ein Vogelsberger Höhenklub-
Liederbuch und eiuen Führer durch den Vvgelsberg herausgegeben,
aber weder Bädeker noch Meyer, nach denen der größte Teil der Reisenden sein
Reisepensum abläuft oder abfährt, erwähnen seiner. Nur von ferne sieht der auf
den vielbefahrenen Schienensträngen dem holdem Süden entgegenfahrende Reisende
seine hinter einander sich auftürmenden Höhenzüge erblaue", und meint, da drüben
sei nichts, was das Sehen lohne.


wie von einer den Fürstensohn befallenen Krankheit, einem den Lokomvtiven-
führer betroffenen Unglück, einer zwischen den Parteien gewalteten Un¬
einigkeit, einem seit langer Zeit bestandenen Snntmarkt, einer im vorigen
Jahrhundert vbgeschwebten Rechtssache und ähnlichem grammatischen Schand¬
zeug, das man alle Tage lesen kann. Und er thut auch klug daran, denn solche
Verbindungen sind und bleiben gegen das deutsche Sprachgefühl, so häufig sie
auch von Ungebildeten gebraucht werdeu. Vor kurzem hatte ich an mehrere
Hundert Personen eine Zuschrift abzufassen, aus die ebenso viel hundert teils
ablehnende, teils zustimmende Antworten eingingen. Ich beauftragte einen dienst¬
baren Geist, einen Schreiber, mit der Durchsicht und Ordnung der eingelaufenen
Antworten. Als er fertig war, legte er mir zwei Mappen vor, und auf der
einen stand: abgekehrte Schreiben, ans der andern: angenommene
Schreiben. Was soll das heißen? fragte ich. Nun, das hier sind die
Schreiben, die angenommen haben, und das hier sind die, die abgelehnt
haben. Großartig interessanter Fall für den Germanisten — nicht wahr?
Aber so würde doch selbst der liederlichste Zeitungsschreiber nicht schreiben.
Wie soll man denn aber das falsche stattgehabt und stattgefunden ver¬
meiden? Es ist doch so kurz und bequem, soll man immer Relativsätze bilden?
Nein, man soll schreiben: die veranstaltete Feier, die abgehaltene Ver¬
sammlung, die vorgenommene Abstimmung, die bewilligte Audienz u. s. w.
Mit ein klein wenig Nachdenken ist der langweilige Fehler sehr leicht zu ver¬
meiden.

(Fortsetzung folgt)




Wie auf dem Lande gewählt wird

ernst du den Vogelsberg? Wahrscheinlich nicht, denn dieses von
der gewöhnlichen Heerstraße abliegende Gebirge zwischen Weiterem
einerseits und Fuloa- und Kinzigthal anderseits hat es noch zu keiner
großen Berühmtheit gebracht. Zwar hat sich ein Vogelsberger
Höhenklub gebildet, zwar hat dieser ein Vogelsberger Höhenklub-
Liederbuch und eiuen Führer durch den Vvgelsberg herausgegeben,
aber weder Bädeker noch Meyer, nach denen der größte Teil der Reisenden sein
Reisepensum abläuft oder abfährt, erwähnen seiner. Nur von ferne sieht der auf
den vielbefahrenen Schienensträngen dem holdem Süden entgegenfahrende Reisende
seine hinter einander sich auftürmenden Höhenzüge erblaue«, und meint, da drüben
sei nichts, was das Sehen lohne.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/623>, abgerufen am 22.07.2024.