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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten
(Fortsetzung)

I es wende mich nun zum Verbum, und zwar zunächst zu der Ver¬
wirrung, die neuerdings in die Tempora (Jmperfektum, Perfek¬
tum und Plusquamperfektum) eindringt und die wieder ein
trauriges Zeichen der immer mehr zunehmenden Abstumpfung, ja
Verrohung unsers Sprachgefühls ist.

Das Jmperfektum ist in gutem Schriftdeutsch das Tempus der Erzählung;
es hat nur zu erzählen, weiter nichts, und wiederum nur das Jmperfektum
ist es, das zu erzählen hat, kein andres Tempus. Nur der Österreicher und
der Jude erzählt im Perfektum (hab ich gemacht -- bin ich gewesen).
In gutem Schriftdeutsch dient das Perfektum ausschließlich zur Angabe, zur
Mitteilung einer soeben geschehenen Handlung, nie zur Erzählung. Wenn ich
eine Menschenmasse auf der Straße laufen sehe und frage: Was giebts denn?
was ist denn los? so wird mir geantwortet: der Blitz hat eingeschlagen,
und am Markte ist Feuer ausgebrochen, d. h. dies ist soeben geschehen.
Wenn ich dagegen nach einiger Zeit -- ob nach einer Stunde oder nach zehn
Jahren, ist gleichgiltig -- den Vorgang jemand erzähle, kann ich nur sagen:
der Blitz schlug ein, und am Markte brach Feuer aus. Man sollte meinen,
dieser Unterschied sei so mit Händen zu greifen, daß er gar nicht verwischt werden
könne. Und doch bringt unsre Zeitungssprache, die uns schon mit so vielem
Sprachunrat überschwemmt hat, auch das jetzt fertig! Man sehe nur die
kurzen Nachrichten an, die das Neueste vom Tage bringen, besonders die tele¬
graphischen Depeschen: es ist greulich, wie da neuerdings das Jmperfektum mi߬
braucht wird. Der und der erhielt einen Orden -- in Heidelberg starb
Professor ,L -- Minister so und so reichte seine Entlassung ein -- in Dingsda
wurde die Sparkasse erbrochen. Wann denn? frage ich jedesmal
unwillkürlich. Du willst mir doch eine brühwarme Neuigkeit mitteilen lind
drückst dich aus, als ob du mir etwas erzähltest, was vor dreihundert Jahren
geschehen ist! Etwas andres ist es, wenn eine Zeitbestimmung der Vergangen¬
heit hinzutritt -- und wäre es nur ein gestern; dann verliert der Satz
sofort den Charakter einer bloßen thatsächlichen Mitteilung von etwas eben
Gescheheneni lind nimmt den der Erzählung an, kann ihn wenigstens annehmen.




Allerhand Sprachdummheiten
(Fortsetzung)

I es wende mich nun zum Verbum, und zwar zunächst zu der Ver¬
wirrung, die neuerdings in die Tempora (Jmperfektum, Perfek¬
tum und Plusquamperfektum) eindringt und die wieder ein
trauriges Zeichen der immer mehr zunehmenden Abstumpfung, ja
Verrohung unsers Sprachgefühls ist.

Das Jmperfektum ist in gutem Schriftdeutsch das Tempus der Erzählung;
es hat nur zu erzählen, weiter nichts, und wiederum nur das Jmperfektum
ist es, das zu erzählen hat, kein andres Tempus. Nur der Österreicher und
der Jude erzählt im Perfektum (hab ich gemacht — bin ich gewesen).
In gutem Schriftdeutsch dient das Perfektum ausschließlich zur Angabe, zur
Mitteilung einer soeben geschehenen Handlung, nie zur Erzählung. Wenn ich
eine Menschenmasse auf der Straße laufen sehe und frage: Was giebts denn?
was ist denn los? so wird mir geantwortet: der Blitz hat eingeschlagen,
und am Markte ist Feuer ausgebrochen, d. h. dies ist soeben geschehen.
Wenn ich dagegen nach einiger Zeit — ob nach einer Stunde oder nach zehn
Jahren, ist gleichgiltig — den Vorgang jemand erzähle, kann ich nur sagen:
der Blitz schlug ein, und am Markte brach Feuer aus. Man sollte meinen,
dieser Unterschied sei so mit Händen zu greifen, daß er gar nicht verwischt werden
könne. Und doch bringt unsre Zeitungssprache, die uns schon mit so vielem
Sprachunrat überschwemmt hat, auch das jetzt fertig! Man sehe nur die
kurzen Nachrichten an, die das Neueste vom Tage bringen, besonders die tele¬
graphischen Depeschen: es ist greulich, wie da neuerdings das Jmperfektum mi߬
braucht wird. Der und der erhielt einen Orden — in Heidelberg starb
Professor ,L — Minister so und so reichte seine Entlassung ein — in Dingsda
wurde die Sparkasse erbrochen. Wann denn? frage ich jedesmal
unwillkürlich. Du willst mir doch eine brühwarme Neuigkeit mitteilen lind
drückst dich aus, als ob du mir etwas erzähltest, was vor dreihundert Jahren
geschehen ist! Etwas andres ist es, wenn eine Zeitbestimmung der Vergangen¬
heit hinzutritt — und wäre es nur ein gestern; dann verliert der Satz
sofort den Charakter einer bloßen thatsächlichen Mitteilung von etwas eben
Gescheheneni lind nimmt den der Erzählung an, kann ihn wenigstens annehmen.


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[0618] [Abbildung] Allerhand Sprachdummheiten (Fortsetzung) I es wende mich nun zum Verbum, und zwar zunächst zu der Ver¬ wirrung, die neuerdings in die Tempora (Jmperfektum, Perfek¬ tum und Plusquamperfektum) eindringt und die wieder ein trauriges Zeichen der immer mehr zunehmenden Abstumpfung, ja Verrohung unsers Sprachgefühls ist. Das Jmperfektum ist in gutem Schriftdeutsch das Tempus der Erzählung; es hat nur zu erzählen, weiter nichts, und wiederum nur das Jmperfektum ist es, das zu erzählen hat, kein andres Tempus. Nur der Österreicher und der Jude erzählt im Perfektum (hab ich gemacht — bin ich gewesen). In gutem Schriftdeutsch dient das Perfektum ausschließlich zur Angabe, zur Mitteilung einer soeben geschehenen Handlung, nie zur Erzählung. Wenn ich eine Menschenmasse auf der Straße laufen sehe und frage: Was giebts denn? was ist denn los? so wird mir geantwortet: der Blitz hat eingeschlagen, und am Markte ist Feuer ausgebrochen, d. h. dies ist soeben geschehen. Wenn ich dagegen nach einiger Zeit — ob nach einer Stunde oder nach zehn Jahren, ist gleichgiltig — den Vorgang jemand erzähle, kann ich nur sagen: der Blitz schlug ein, und am Markte brach Feuer aus. Man sollte meinen, dieser Unterschied sei so mit Händen zu greifen, daß er gar nicht verwischt werden könne. Und doch bringt unsre Zeitungssprache, die uns schon mit so vielem Sprachunrat überschwemmt hat, auch das jetzt fertig! Man sehe nur die kurzen Nachrichten an, die das Neueste vom Tage bringen, besonders die tele¬ graphischen Depeschen: es ist greulich, wie da neuerdings das Jmperfektum mi߬ braucht wird. Der und der erhielt einen Orden — in Heidelberg starb Professor ,L — Minister so und so reichte seine Entlassung ein — in Dingsda wurde die Sparkasse erbrochen. Wann denn? frage ich jedesmal unwillkürlich. Du willst mir doch eine brühwarme Neuigkeit mitteilen lind drückst dich aus, als ob du mir etwas erzähltest, was vor dreihundert Jahren geschehen ist! Etwas andres ist es, wenn eine Zeitbestimmung der Vergangen¬ heit hinzutritt — und wäre es nur ein gestern; dann verliert der Satz sofort den Charakter einer bloßen thatsächlichen Mitteilung von etwas eben Gescheheneni lind nimmt den der Erzählung an, kann ihn wenigstens annehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/618>, abgerufen am 03.07.2024.