Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Drei Dichterinnen

Es wird seine Vergangenheit, seine thörichte Leidenschaft für die kokette Sabina
Hausmann, die ihn zur Liebesprvbe ans heilige Grab geschickt hat, erzählt und so
die spätere Handlung vorbereitet. Gerade als sich Oswald und Margareta
-- das typische liebliche deutsche Mädchen -- verloben, wird er zum Konzil nach
Konstanz abberufen. Es folgt Margnretas Einsamkeit und Sehnsucht nach
dem fernen Geliebten, dann ihre Hochzeit, ihr Leben auf Hauenstein. Wir
merken inzwischen auch, daß Oswald seine Margareta nicht so leidenschaftlich
liebt, daß er Sabiner ganz vergessen hätte, und begreifen, daß er in die
niederträchtige Falle geht, die ihm die Jugendgeliebte legt. Oswalds Poeten¬
trauer in der Gefangenschaft wird ergreifend geschildert. Dann erweitert sich
der Horizont der Dichtung zur Schilderung der Kämpfe Friedrichs mit dem
Adel. Eine eigene, ganz modern novellistische Erfindung der Hörmann ist die
Versuchung Margaretas durch Oswalds jüngern Halbbruder, der schöner ist
und sie leidenschaftlich liebt. Beim Falle der Burg Hauenstein geht er unter,
Margareta rettet sich, um sich nachher mit ihrem Gatten zu dauerndem Glück
zu vereinen. Und den Beschluß macht die wirkungsvolle Szene des Sieges¬
banketts Herzog Friedrichs in Meran. Der Landesfürst hat mit seinen Adelichen
Frieden geschlossen, Tirol hat seine Ruhe wieder. Sie sitzen da und trinken
in freudiger Stimmung, nur eines vermissen sie bei der Feier: Gesang, das
Dichterwort. Es giebt aber keine Säuger mehr, und der süßeste Liedermund
schmachtet noch immer im Kerker der falschen Sabina. Da sendet Friedrich
nach Oswald Boten mit dem Freiheitsbrief und mit köstlichen Gewändern, und
der Dichter wird ans der Nacht des Gefängnisses an das Licht der Festtafel
geholt. Die Überraschung, die Rührung Oswalds, sein charaktervolles Zögern,
die Hand des Jugendfreundes Friedrich zu ergreifen, die ihm fo schwere Wunden
geschlagen hat, und dann die Versöhnung beider -- das alles giebt eine glänzende
Szene, die auch mit wäder Kunst dargestellt ist. So steigert sich das Interesse
an der Erzählung bis zum Ende. Die Dichterin verrät übrigens auch hier
ihre lyrische Begabung, ihr Vortrag ist durchzogen und durchwärmt von
kleinen lyrischen Blüten. Ihre Liebe zur Tiroler Heimat aber bildet den Kern
ihres dichterische" Pathos. Sie hat eine Erzählung geschaffen, die man nicht
nach einmaligem Lesen für immer weglegt, sondern die man öfter zur Hand
nimmt und dann umso lieber gewinnt.


Moritz Necker


Grenzboten 1 I8V07?
Drei Dichterinnen

Es wird seine Vergangenheit, seine thörichte Leidenschaft für die kokette Sabina
Hausmann, die ihn zur Liebesprvbe ans heilige Grab geschickt hat, erzählt und so
die spätere Handlung vorbereitet. Gerade als sich Oswald und Margareta
— das typische liebliche deutsche Mädchen — verloben, wird er zum Konzil nach
Konstanz abberufen. Es folgt Margnretas Einsamkeit und Sehnsucht nach
dem fernen Geliebten, dann ihre Hochzeit, ihr Leben auf Hauenstein. Wir
merken inzwischen auch, daß Oswald seine Margareta nicht so leidenschaftlich
liebt, daß er Sabiner ganz vergessen hätte, und begreifen, daß er in die
niederträchtige Falle geht, die ihm die Jugendgeliebte legt. Oswalds Poeten¬
trauer in der Gefangenschaft wird ergreifend geschildert. Dann erweitert sich
der Horizont der Dichtung zur Schilderung der Kämpfe Friedrichs mit dem
Adel. Eine eigene, ganz modern novellistische Erfindung der Hörmann ist die
Versuchung Margaretas durch Oswalds jüngern Halbbruder, der schöner ist
und sie leidenschaftlich liebt. Beim Falle der Burg Hauenstein geht er unter,
Margareta rettet sich, um sich nachher mit ihrem Gatten zu dauerndem Glück
zu vereinen. Und den Beschluß macht die wirkungsvolle Szene des Sieges¬
banketts Herzog Friedrichs in Meran. Der Landesfürst hat mit seinen Adelichen
Frieden geschlossen, Tirol hat seine Ruhe wieder. Sie sitzen da und trinken
in freudiger Stimmung, nur eines vermissen sie bei der Feier: Gesang, das
Dichterwort. Es giebt aber keine Säuger mehr, und der süßeste Liedermund
schmachtet noch immer im Kerker der falschen Sabina. Da sendet Friedrich
nach Oswald Boten mit dem Freiheitsbrief und mit köstlichen Gewändern, und
der Dichter wird ans der Nacht des Gefängnisses an das Licht der Festtafel
geholt. Die Überraschung, die Rührung Oswalds, sein charaktervolles Zögern,
die Hand des Jugendfreundes Friedrich zu ergreifen, die ihm fo schwere Wunden
geschlagen hat, und dann die Versöhnung beider — das alles giebt eine glänzende
Szene, die auch mit wäder Kunst dargestellt ist. So steigert sich das Interesse
an der Erzählung bis zum Ende. Die Dichterin verrät übrigens auch hier
ihre lyrische Begabung, ihr Vortrag ist durchzogen und durchwärmt von
kleinen lyrischen Blüten. Ihre Liebe zur Tiroler Heimat aber bildet den Kern
ihres dichterische» Pathos. Sie hat eine Erzählung geschaffen, die man nicht
nach einmaligem Lesen für immer weglegt, sondern die man öfter zur Hand
nimmt und dann umso lieber gewinnt.


Moritz Necker


Grenzboten 1 I8V07?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0617" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207262"/>
          <fw type="header" place="top"> Drei Dichterinnen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1840" prev="#ID_1839"> Es wird seine Vergangenheit, seine thörichte Leidenschaft für die kokette Sabina<lb/>
Hausmann, die ihn zur Liebesprvbe ans heilige Grab geschickt hat, erzählt und so<lb/>
die spätere Handlung vorbereitet. Gerade als sich Oswald und Margareta<lb/>
&#x2014; das typische liebliche deutsche Mädchen &#x2014; verloben, wird er zum Konzil nach<lb/>
Konstanz abberufen. Es folgt Margnretas Einsamkeit und Sehnsucht nach<lb/>
dem fernen Geliebten, dann ihre Hochzeit, ihr Leben auf Hauenstein. Wir<lb/>
merken inzwischen auch, daß Oswald seine Margareta nicht so leidenschaftlich<lb/>
liebt, daß er Sabiner ganz vergessen hätte, und begreifen, daß er in die<lb/>
niederträchtige Falle geht, die ihm die Jugendgeliebte legt. Oswalds Poeten¬<lb/>
trauer in der Gefangenschaft wird ergreifend geschildert. Dann erweitert sich<lb/>
der Horizont der Dichtung zur Schilderung der Kämpfe Friedrichs mit dem<lb/>
Adel. Eine eigene, ganz modern novellistische Erfindung der Hörmann ist die<lb/>
Versuchung Margaretas durch Oswalds jüngern Halbbruder, der schöner ist<lb/>
und sie leidenschaftlich liebt. Beim Falle der Burg Hauenstein geht er unter,<lb/>
Margareta rettet sich, um sich nachher mit ihrem Gatten zu dauerndem Glück<lb/>
zu vereinen. Und den Beschluß macht die wirkungsvolle Szene des Sieges¬<lb/>
banketts Herzog Friedrichs in Meran. Der Landesfürst hat mit seinen Adelichen<lb/>
Frieden geschlossen, Tirol hat seine Ruhe wieder. Sie sitzen da und trinken<lb/>
in freudiger Stimmung, nur eines vermissen sie bei der Feier: Gesang, das<lb/>
Dichterwort. Es giebt aber keine Säuger mehr, und der süßeste Liedermund<lb/>
schmachtet noch immer im Kerker der falschen Sabina. Da sendet Friedrich<lb/>
nach Oswald Boten mit dem Freiheitsbrief und mit köstlichen Gewändern, und<lb/>
der Dichter wird ans der Nacht des Gefängnisses an das Licht der Festtafel<lb/>
geholt. Die Überraschung, die Rührung Oswalds, sein charaktervolles Zögern,<lb/>
die Hand des Jugendfreundes Friedrich zu ergreifen, die ihm fo schwere Wunden<lb/>
geschlagen hat, und dann die Versöhnung beider &#x2014; das alles giebt eine glänzende<lb/>
Szene, die auch mit wäder Kunst dargestellt ist. So steigert sich das Interesse<lb/>
an der Erzählung bis zum Ende. Die Dichterin verrät übrigens auch hier<lb/>
ihre lyrische Begabung, ihr Vortrag ist durchzogen und durchwärmt von<lb/>
kleinen lyrischen Blüten. Ihre Liebe zur Tiroler Heimat aber bildet den Kern<lb/>
ihres dichterische» Pathos. Sie hat eine Erzählung geschaffen, die man nicht<lb/>
nach einmaligem Lesen für immer weglegt, sondern die man öfter zur Hand<lb/>
nimmt und dann umso lieber gewinnt.</p><lb/>
          <note type="byline"> Moritz Necker</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1 I8V07?</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0617] Drei Dichterinnen Es wird seine Vergangenheit, seine thörichte Leidenschaft für die kokette Sabina Hausmann, die ihn zur Liebesprvbe ans heilige Grab geschickt hat, erzählt und so die spätere Handlung vorbereitet. Gerade als sich Oswald und Margareta — das typische liebliche deutsche Mädchen — verloben, wird er zum Konzil nach Konstanz abberufen. Es folgt Margnretas Einsamkeit und Sehnsucht nach dem fernen Geliebten, dann ihre Hochzeit, ihr Leben auf Hauenstein. Wir merken inzwischen auch, daß Oswald seine Margareta nicht so leidenschaftlich liebt, daß er Sabiner ganz vergessen hätte, und begreifen, daß er in die niederträchtige Falle geht, die ihm die Jugendgeliebte legt. Oswalds Poeten¬ trauer in der Gefangenschaft wird ergreifend geschildert. Dann erweitert sich der Horizont der Dichtung zur Schilderung der Kämpfe Friedrichs mit dem Adel. Eine eigene, ganz modern novellistische Erfindung der Hörmann ist die Versuchung Margaretas durch Oswalds jüngern Halbbruder, der schöner ist und sie leidenschaftlich liebt. Beim Falle der Burg Hauenstein geht er unter, Margareta rettet sich, um sich nachher mit ihrem Gatten zu dauerndem Glück zu vereinen. Und den Beschluß macht die wirkungsvolle Szene des Sieges¬ banketts Herzog Friedrichs in Meran. Der Landesfürst hat mit seinen Adelichen Frieden geschlossen, Tirol hat seine Ruhe wieder. Sie sitzen da und trinken in freudiger Stimmung, nur eines vermissen sie bei der Feier: Gesang, das Dichterwort. Es giebt aber keine Säuger mehr, und der süßeste Liedermund schmachtet noch immer im Kerker der falschen Sabina. Da sendet Friedrich nach Oswald Boten mit dem Freiheitsbrief und mit köstlichen Gewändern, und der Dichter wird ans der Nacht des Gefängnisses an das Licht der Festtafel geholt. Die Überraschung, die Rührung Oswalds, sein charaktervolles Zögern, die Hand des Jugendfreundes Friedrich zu ergreifen, die ihm fo schwere Wunden geschlagen hat, und dann die Versöhnung beider — das alles giebt eine glänzende Szene, die auch mit wäder Kunst dargestellt ist. So steigert sich das Interesse an der Erzählung bis zum Ende. Die Dichterin verrät übrigens auch hier ihre lyrische Begabung, ihr Vortrag ist durchzogen und durchwärmt von kleinen lyrischen Blüten. Ihre Liebe zur Tiroler Heimat aber bildet den Kern ihres dichterische» Pathos. Sie hat eine Erzählung geschaffen, die man nicht nach einmaligem Lesen für immer weglegt, sondern die man öfter zur Hand nimmt und dann umso lieber gewinnt. Moritz Necker Grenzboten 1 I8V07?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/617
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/617>, abgerufen am 03.07.2024.