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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Üehrerinnenseininare

gleichswerk nur darum beteiligt hat, weil er die stille Hoffnung hegte, dadurch
ein Ministerportefeuille zu erlangen; die Hauptsache ist, daß der nationale
Friede in Böhmen hergestellt wird, denn davon hängt die Lebenskraft der
eisleithanischen Reichshälfte vorzüglich ab.

Die extremen nationalen meinen, die Deutschen hätten nicht nachgeben,
sondern auf allen ihren Forderungen unerschütterlich beharren sollen. Wir
bezweifeln sehr, daß dies gute Früchte getragen hätte. Ja, wer den Zerfall
Österreichs wünscht, der könnte nichts besseres raten. Denn die nächste Folge
wäre unstreitig eine sehr entschiedne Schwenkung der Regierung zu Gunsten
der Slawen und Klerikalen gewesen, die Deutschen wären in eine noch unfrucht¬
barere Opposition gedrängt worden. Wenn doch unsern extremen nationalen
Politikern endlich die Einsicht käme: mit der Hegemonie der Deutschen in
Österreich, wie sie in der vvrtaaffischeu Zeit bestand, ist es vorbei! Die
übrigen Nationen sind zu mächtig emporgewachsen, sie bilden die Majorität.
Wir wollen damit nicht sagen, daß die Wiener Abmachungen den Deutschen
in Österreich alles gäben, was sie zu fordern berechtigt sind. In Böhmen
selbst, in Mähren und Schlesien, vor allem aber in Steiermark, Kärnten und
Krain ist noch viel zu erringen und zu befestigen; die Deutschen dürfen die
Hände nicht in den Schoß legen. Aber Zugeständnisse, das ist sicher, mußten
gemacht werden; der Bestand der österreichisch-ungarischen Monarchie wird von
nun an immer auf Kompromissen zwischen den Ansprüchen der einzelnen
Nationalitäten beruhen.




Unsre Lehrerinnenseminare

s ist vor einigen Wochen in diesen Blättern einmal versucht
worden, den für unsre Gesellschaft charakteristischen männlichen
Typus aufzustellen; man hat mit mehr oder weniger Gründen
den Privatdozenten, den Assessor, den Reserveoffizier zu dein
Zwecke herbeigezogen, aber man ist damit zu keinem unbestrittenen
Ergebnis gekommen. "Wir leben in einer Zeit des Strebertums," rief
neulich ein Abgeordneter im Reichstage mit Rücksicht anf einige ungesunde
Verhältnisse in unserm Beamtentum aus, und der "Streber" ist auch that¬
sächlich die Erscheinung, mit der sich der zukünftige Kulturhistoriker des aus-
gehenden neunzehnten Jahrhunderts ernstlich wird beschäftigen müssen.


Unsre Üehrerinnenseininare

gleichswerk nur darum beteiligt hat, weil er die stille Hoffnung hegte, dadurch
ein Ministerportefeuille zu erlangen; die Hauptsache ist, daß der nationale
Friede in Böhmen hergestellt wird, denn davon hängt die Lebenskraft der
eisleithanischen Reichshälfte vorzüglich ab.

Die extremen nationalen meinen, die Deutschen hätten nicht nachgeben,
sondern auf allen ihren Forderungen unerschütterlich beharren sollen. Wir
bezweifeln sehr, daß dies gute Früchte getragen hätte. Ja, wer den Zerfall
Österreichs wünscht, der könnte nichts besseres raten. Denn die nächste Folge
wäre unstreitig eine sehr entschiedne Schwenkung der Regierung zu Gunsten
der Slawen und Klerikalen gewesen, die Deutschen wären in eine noch unfrucht¬
barere Opposition gedrängt worden. Wenn doch unsern extremen nationalen
Politikern endlich die Einsicht käme: mit der Hegemonie der Deutschen in
Österreich, wie sie in der vvrtaaffischeu Zeit bestand, ist es vorbei! Die
übrigen Nationen sind zu mächtig emporgewachsen, sie bilden die Majorität.
Wir wollen damit nicht sagen, daß die Wiener Abmachungen den Deutschen
in Österreich alles gäben, was sie zu fordern berechtigt sind. In Böhmen
selbst, in Mähren und Schlesien, vor allem aber in Steiermark, Kärnten und
Krain ist noch viel zu erringen und zu befestigen; die Deutschen dürfen die
Hände nicht in den Schoß legen. Aber Zugeständnisse, das ist sicher, mußten
gemacht werden; der Bestand der österreichisch-ungarischen Monarchie wird von
nun an immer auf Kompromissen zwischen den Ansprüchen der einzelnen
Nationalitäten beruhen.




Unsre Lehrerinnenseminare

s ist vor einigen Wochen in diesen Blättern einmal versucht
worden, den für unsre Gesellschaft charakteristischen männlichen
Typus aufzustellen; man hat mit mehr oder weniger Gründen
den Privatdozenten, den Assessor, den Reserveoffizier zu dein
Zwecke herbeigezogen, aber man ist damit zu keinem unbestrittenen
Ergebnis gekommen. „Wir leben in einer Zeit des Strebertums," rief
neulich ein Abgeordneter im Reichstage mit Rücksicht anf einige ungesunde
Verhältnisse in unserm Beamtentum aus, und der „Streber" ist auch that¬
sächlich die Erscheinung, mit der sich der zukünftige Kulturhistoriker des aus-
gehenden neunzehnten Jahrhunderts ernstlich wird beschäftigen müssen.


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[0406] Unsre Üehrerinnenseininare gleichswerk nur darum beteiligt hat, weil er die stille Hoffnung hegte, dadurch ein Ministerportefeuille zu erlangen; die Hauptsache ist, daß der nationale Friede in Böhmen hergestellt wird, denn davon hängt die Lebenskraft der eisleithanischen Reichshälfte vorzüglich ab. Die extremen nationalen meinen, die Deutschen hätten nicht nachgeben, sondern auf allen ihren Forderungen unerschütterlich beharren sollen. Wir bezweifeln sehr, daß dies gute Früchte getragen hätte. Ja, wer den Zerfall Österreichs wünscht, der könnte nichts besseres raten. Denn die nächste Folge wäre unstreitig eine sehr entschiedne Schwenkung der Regierung zu Gunsten der Slawen und Klerikalen gewesen, die Deutschen wären in eine noch unfrucht¬ barere Opposition gedrängt worden. Wenn doch unsern extremen nationalen Politikern endlich die Einsicht käme: mit der Hegemonie der Deutschen in Österreich, wie sie in der vvrtaaffischeu Zeit bestand, ist es vorbei! Die übrigen Nationen sind zu mächtig emporgewachsen, sie bilden die Majorität. Wir wollen damit nicht sagen, daß die Wiener Abmachungen den Deutschen in Österreich alles gäben, was sie zu fordern berechtigt sind. In Böhmen selbst, in Mähren und Schlesien, vor allem aber in Steiermark, Kärnten und Krain ist noch viel zu erringen und zu befestigen; die Deutschen dürfen die Hände nicht in den Schoß legen. Aber Zugeständnisse, das ist sicher, mußten gemacht werden; der Bestand der österreichisch-ungarischen Monarchie wird von nun an immer auf Kompromissen zwischen den Ansprüchen der einzelnen Nationalitäten beruhen. Unsre Lehrerinnenseminare s ist vor einigen Wochen in diesen Blättern einmal versucht worden, den für unsre Gesellschaft charakteristischen männlichen Typus aufzustellen; man hat mit mehr oder weniger Gründen den Privatdozenten, den Assessor, den Reserveoffizier zu dein Zwecke herbeigezogen, aber man ist damit zu keinem unbestrittenen Ergebnis gekommen. „Wir leben in einer Zeit des Strebertums," rief neulich ein Abgeordneter im Reichstage mit Rücksicht anf einige ungesunde Verhältnisse in unserm Beamtentum aus, und der „Streber" ist auch that¬ sächlich die Erscheinung, mit der sich der zukünftige Kulturhistoriker des aus- gehenden neunzehnten Jahrhunderts ernstlich wird beschäftigen müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/406>, abgerufen am 22.07.2024.