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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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daß die Justizverwaltung bemüht ist, die Seßhaftmachuiig vo" Anwälten an
den Anitsgerichtssitze" dadurch zu befördern, daß sie den dort wohnenden An¬
wälten früher das Notariat verleiht. Das ist gewiß dankbar anzuerkennen.
Aber die Thatsache bleibt doch bestehen, daß es an den kleinen Orten an An¬
wälten mangelt, die größer" dagegen überfüllt sind/') Alle diese Anwälte
verlangen nun von dem Publikum unterhalten zu werden. Vvllbeschäftigte
Anwälte haben bei den hohen Gebühren, die auch dnrch Übereinkommen mit
der Partei noch erhöht werden können, ein sehr reichliches Einkommen. Glaub¬
haft aber ist es, daß es auch Anwälte genug giebt, die wegen unzureichender
Beschäftigung nur ein müßiges Einkommen beziehen.

Diese ganze Betrachtung ergiebt, daß nach der neuen Gerichtsorganisation
die Justiz gegen früher mit einem große" Übermaß von Kräften arbeitet. Es
könnte sich das nur etwa rechtfertigen, wenn die Rechtsprechung selbst dadurch
wesentlich besser geworden wäre. Ans die Frage, ob dies der Fall sei, werden
wir später zurückkommen.


4

Ein wesentliches Glied der neuen Organisation bildet auch der Gerichts¬
vollzieher. In der Neichsjnstizkvniniissivn bestand seinerzeit zwar wenig Zu¬
neigung für diese Einrichtung, zumal nach den schlimmen Erfahrungen, die
man noch kurz vorher damit in Baiern gemacht hatte. Aber die Entwürfe
waren nun einmal darauf zugeschnitten, und so mußte sie, wie vieles andre,
angenommen werden. Die Zahl der Gerichtsvollzieher in Preußen betrug nach
dem ältern Berichte 1739, nach dem neuern 1811. In dein Berichte von 1882
war gesagt, die Gerichtsvollzieher seien mancherlei Versuchungen aufgehest.
namentlich der Versuchung der Untreue, da ihnen bei ihrer Amtsthätigkeit
vielfach Wertsachen und Geldsummen anvertraut werde" müßte". Bisher
hätten sie diesen Versuchen "nicht ausnahmslos" widerstanden. Doch lasse
sich Besserung hoffen. "In keiner Weise nötigen die bisherigen Erfahrungen
zu dem Zweifel, ob es überhaupt gelingen werde, in diesen Beamten den Geist
strenger Zucht und Rechtschaffenheit zu allgemeiner Geltung zu bringen." Der
Bericht von 1887 erachtet diese ausgesprochen Hoffnung für wesentlich erfüllt;
"wenngleich die Zahl solcher Gerichtsvollzieher, welche sich im Amte Ver¬
fehlungen haben zu Schulden kommen lassen, immerhin noch keine ganz geringe
gewesen ist." Es siud in den Jahren 1886 und 1887 (von den Vorjahren
verlautet nichts) 45 Gerichtsvollzieher in Disziplinaruntersuchllug gezogen, auch
17 vor die Strafgerichte gestellt und verurteilt wurde". Auch hier "ueber
wird der "starken Versuchung," welcher die Gerichtsvollzieher unterliegen, eut-



Seit 1M7 hat sich die Zahl der Anwälte "och bedeutend vermehrt, jedoch in silbern
Maße bei den Amtsgerichten, als bei den Landgerichten. ,
Die Instizvrganisation von ^8?9 ministerieller Beleuchtung

daß die Justizverwaltung bemüht ist, die Seßhaftmachuiig vo» Anwälten an
den Anitsgerichtssitze» dadurch zu befördern, daß sie den dort wohnenden An¬
wälten früher das Notariat verleiht. Das ist gewiß dankbar anzuerkennen.
Aber die Thatsache bleibt doch bestehen, daß es an den kleinen Orten an An¬
wälten mangelt, die größer» dagegen überfüllt sind/') Alle diese Anwälte
verlangen nun von dem Publikum unterhalten zu werden. Vvllbeschäftigte
Anwälte haben bei den hohen Gebühren, die auch dnrch Übereinkommen mit
der Partei noch erhöht werden können, ein sehr reichliches Einkommen. Glaub¬
haft aber ist es, daß es auch Anwälte genug giebt, die wegen unzureichender
Beschäftigung nur ein müßiges Einkommen beziehen.

Diese ganze Betrachtung ergiebt, daß nach der neuen Gerichtsorganisation
die Justiz gegen früher mit einem große» Übermaß von Kräften arbeitet. Es
könnte sich das nur etwa rechtfertigen, wenn die Rechtsprechung selbst dadurch
wesentlich besser geworden wäre. Ans die Frage, ob dies der Fall sei, werden
wir später zurückkommen.


4

Ein wesentliches Glied der neuen Organisation bildet auch der Gerichts¬
vollzieher. In der Neichsjnstizkvniniissivn bestand seinerzeit zwar wenig Zu¬
neigung für diese Einrichtung, zumal nach den schlimmen Erfahrungen, die
man noch kurz vorher damit in Baiern gemacht hatte. Aber die Entwürfe
waren nun einmal darauf zugeschnitten, und so mußte sie, wie vieles andre,
angenommen werden. Die Zahl der Gerichtsvollzieher in Preußen betrug nach
dem ältern Berichte 1739, nach dem neuern 1811. In dein Berichte von 1882
war gesagt, die Gerichtsvollzieher seien mancherlei Versuchungen aufgehest.
namentlich der Versuchung der Untreue, da ihnen bei ihrer Amtsthätigkeit
vielfach Wertsachen und Geldsummen anvertraut werde» müßte». Bisher
hätten sie diesen Versuchen „nicht ausnahmslos" widerstanden. Doch lasse
sich Besserung hoffen. „In keiner Weise nötigen die bisherigen Erfahrungen
zu dem Zweifel, ob es überhaupt gelingen werde, in diesen Beamten den Geist
strenger Zucht und Rechtschaffenheit zu allgemeiner Geltung zu bringen." Der
Bericht von 1887 erachtet diese ausgesprochen Hoffnung für wesentlich erfüllt;
„wenngleich die Zahl solcher Gerichtsvollzieher, welche sich im Amte Ver¬
fehlungen haben zu Schulden kommen lassen, immerhin noch keine ganz geringe
gewesen ist." Es siud in den Jahren 1886 und 1887 (von den Vorjahren
verlautet nichts) 45 Gerichtsvollzieher in Disziplinaruntersuchllug gezogen, auch
17 vor die Strafgerichte gestellt und verurteilt wurde». Auch hier »ueber
wird der „starken Versuchung," welcher die Gerichtsvollzieher unterliegen, eut-



Seit 1M7 hat sich die Zahl der Anwälte »och bedeutend vermehrt, jedoch in silbern
Maße bei den Amtsgerichten, als bei den Landgerichten. ,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/90>, abgerufen am 23.06.2024.