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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdnmmheiten

tiefere Einblick in daS Walten der Naturkräfte, in ihre Harmonie und Einheit
befriedigt zugleich unsern Erkenntnistrieb und gewährt uns einen ästhetischen
Genuß. Aber zu ergründen, wie Gott oder das Unbewußte oder der ursprüng¬
liche Atvmkomplex es angefangen hat, die Welt zu machen, ist nicht Aufgabe
der Wissenschaft. Dieser Überspanntheit gegenüber halten wir es mit Goethe,
der u, a, sagt: "Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu
lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der
Grenze des Begreiflicheil zu halten."




Allerhand ^prachdummheiten
(Schluß)

DWP
MtzM
KEMc>n Zeitungen muß mau jetzt täglich von überführten Kranken
und überführten Leichen lesen, das soll heißen: von Personen,
die in das oder jenes Krankenhaus oder nach ihrem Tode in
ihre Heimat zum Begräbnis gebracht worden sind. Wie kann
sich nur das Sprachgefühl so verirren! Verbrecher werdeu über¬
führt, wenn ihnen trotz ihres Leugnens ihr Verbrechen nachgewiesen wird;
dann aber werden sie ins Zuchthaus übergeführt, wenn denn durchaus
"geführt" werdeu muß. Wie ist die Regel? Es giebt eine Anzahl mit Prä¬
positionen zusammengesetzter Verba, bei denen, je nach der Bedeutung, die
sie haben, bald die Präposition, bald das Verbum betont wird, z. B. über¬
setzen (den Wanderer über den Fluß) und übersetzen sein Buch), überlegen
und überlegen, unterhalten und unterhalten, durchfliegen (durchs Examen!)
und durchfliegen (ein Buch), hintergehen und hintergehen, auch wieder¬
holen und wiederholen. Gewöhnlich haben die Bildungen mit betonter Prä¬
position die eigentliche, sinnliche, die mit betonten Verbum eine übertragene
Bedeutung. Die Bildungen um, die die Präposition betonen, trennen bei der
Flexion die Präposition ab (ich halte nnter, ich gehe hinter) und bilden das
Partizip der Vergangenheit mit der Vorsilbe ge-- (untergehalten, hinter¬
gegangeil); die dagegen, die das Verbum betonen, lassen bei der Flexion
das Verbum mit der Präposition verbunden (ich unterhalte, ich hinter¬
gehe) und bilden das Partizip ohne die Vorsilbe ge-- (unterhalten, hinter-
gangen). Wie steht es also mit iiberführeu und überführen? Es ist doch


Allerhand Sprachdnmmheiten

tiefere Einblick in daS Walten der Naturkräfte, in ihre Harmonie und Einheit
befriedigt zugleich unsern Erkenntnistrieb und gewährt uns einen ästhetischen
Genuß. Aber zu ergründen, wie Gott oder das Unbewußte oder der ursprüng¬
liche Atvmkomplex es angefangen hat, die Welt zu machen, ist nicht Aufgabe
der Wissenschaft. Dieser Überspanntheit gegenüber halten wir es mit Goethe,
der u, a, sagt: „Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu
lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der
Grenze des Begreiflicheil zu halten."




Allerhand ^prachdummheiten
(Schluß)

DWP
MtzM
KEMc>n Zeitungen muß mau jetzt täglich von überführten Kranken
und überführten Leichen lesen, das soll heißen: von Personen,
die in das oder jenes Krankenhaus oder nach ihrem Tode in
ihre Heimat zum Begräbnis gebracht worden sind. Wie kann
sich nur das Sprachgefühl so verirren! Verbrecher werdeu über¬
führt, wenn ihnen trotz ihres Leugnens ihr Verbrechen nachgewiesen wird;
dann aber werden sie ins Zuchthaus übergeführt, wenn denn durchaus
„geführt" werdeu muß. Wie ist die Regel? Es giebt eine Anzahl mit Prä¬
positionen zusammengesetzter Verba, bei denen, je nach der Bedeutung, die
sie haben, bald die Präposition, bald das Verbum betont wird, z. B. über¬
setzen (den Wanderer über den Fluß) und übersetzen sein Buch), überlegen
und überlegen, unterhalten und unterhalten, durchfliegen (durchs Examen!)
und durchfliegen (ein Buch), hintergehen und hintergehen, auch wieder¬
holen und wiederholen. Gewöhnlich haben die Bildungen mit betonter Prä¬
position die eigentliche, sinnliche, die mit betonten Verbum eine übertragene
Bedeutung. Die Bildungen um, die die Präposition betonen, trennen bei der
Flexion die Präposition ab (ich halte nnter, ich gehe hinter) und bilden das
Partizip der Vergangenheit mit der Vorsilbe ge— (untergehalten, hinter¬
gegangeil); die dagegen, die das Verbum betonen, lassen bei der Flexion
das Verbum mit der Präposition verbunden (ich unterhalte, ich hinter¬
gehe) und bilden das Partizip ohne die Vorsilbe ge— (unterhalten, hinter-
gangen). Wie steht es also mit iiberführeu und überführen? Es ist doch


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[0570] Allerhand Sprachdnmmheiten tiefere Einblick in daS Walten der Naturkräfte, in ihre Harmonie und Einheit befriedigt zugleich unsern Erkenntnistrieb und gewährt uns einen ästhetischen Genuß. Aber zu ergründen, wie Gott oder das Unbewußte oder der ursprüng¬ liche Atvmkomplex es angefangen hat, die Welt zu machen, ist nicht Aufgabe der Wissenschaft. Dieser Überspanntheit gegenüber halten wir es mit Goethe, der u, a, sagt: „Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der Grenze des Begreiflicheil zu halten." Allerhand ^prachdummheiten (Schluß) DWP MtzM KEMc>n Zeitungen muß mau jetzt täglich von überführten Kranken und überführten Leichen lesen, das soll heißen: von Personen, die in das oder jenes Krankenhaus oder nach ihrem Tode in ihre Heimat zum Begräbnis gebracht worden sind. Wie kann sich nur das Sprachgefühl so verirren! Verbrecher werdeu über¬ führt, wenn ihnen trotz ihres Leugnens ihr Verbrechen nachgewiesen wird; dann aber werden sie ins Zuchthaus übergeführt, wenn denn durchaus „geführt" werdeu muß. Wie ist die Regel? Es giebt eine Anzahl mit Prä¬ positionen zusammengesetzter Verba, bei denen, je nach der Bedeutung, die sie haben, bald die Präposition, bald das Verbum betont wird, z. B. über¬ setzen (den Wanderer über den Fluß) und übersetzen sein Buch), überlegen und überlegen, unterhalten und unterhalten, durchfliegen (durchs Examen!) und durchfliegen (ein Buch), hintergehen und hintergehen, auch wieder¬ holen und wiederholen. Gewöhnlich haben die Bildungen mit betonter Prä¬ position die eigentliche, sinnliche, die mit betonten Verbum eine übertragene Bedeutung. Die Bildungen um, die die Präposition betonen, trennen bei der Flexion die Präposition ab (ich halte nnter, ich gehe hinter) und bilden das Partizip der Vergangenheit mit der Vorsilbe ge— (untergehalten, hinter¬ gegangeil); die dagegen, die das Verbum betonen, lassen bei der Flexion das Verbum mit der Präposition verbunden (ich unterhalte, ich hinter¬ gehe) und bilden das Partizip ohne die Vorsilbe ge— (unterhalten, hinter- gangen). Wie steht es also mit iiberführeu und überführen? Es ist doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/570>, abgerufen am 21.12.2024.