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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassungsstreit in Preußen
(Line historisch-politische Studie
von R. Paxe (Schluß)

n das Jcihr 186Z fiel eine Reihe von erhebenden Gedenkfeiern
der gewaltigen Ereignisse und der unvergeßlichen Thaten des
Befreiungskrieges. Zum funfzigsten male kehrten die Tage wieder,
an denen Friedrich Wilhelm III. den Aufruf: "An mein Volk"
erlassen hatte, an denen bei Großbeeren, an der Katzbach, bei
^Lennewitz die preußischen Waffen unsterblichen Ruhm errungen hatten. Das
Hetzen und Treiben des Abgeordnetenhauses hatte aber damals, namentlich in
^u sogenannten gebildeten Klassen, allen gesunden patriotischen Sinn soweit
erstickt, daß jener Großthaten der Väter kaum gedacht wurde. Sogar der
18. Oktober, der Gedenktag der Völkerschlacht bei Leipzig, wurde wohl in
den Mittel- und Kleinstaaten fast allgemein, in Preußen aber eigentlich nur
amtlich und von der Armee, von weitern Kreisen des Volkes fast gar nicht
^feiert. Die demokratische Presse war nicht damit zufrieden, daß an den
öffentliche Gebäuden in Berlin nur preußische Fahnen zu sehen waren, was
doch ganz natürlich war, da nur preußische Ruhmesthaten zu feiern waren.
Sie beschwerte sich darüber, daß in vielen Städten das Ausstecken von soge¬
nannten deutschen Fahnen verboten wurde. Unter deutscheu Fahnen verstanden
die "Liberalen" in jener Zeit der politischen Zerfahrenheit und Begriffs¬
verwirrung die schwarz-rot-goldnen Fahnen, obschon diese ganze Farben-
gusanuneustellung eine willkürliche Erfindung einiger schwärmerischen Studenten
w Jena war, denen dabei wahrscheinlich die Abzeichen der Lützowschen Frei-
Ichar vorgeschwebt hatten. Abgesehen von den traurigen Erinnerungen des
Jahres 1343 hatten diese Farben damals nicht den geringsten geschichtlichen
Hintergrund; deutsche Farben oder gar Reichsfarben sind sie niemals gewesen.
Dagegen lud eine Anzahl von Kölner Bürgern die drei Präsidenten des Ab¬
geordnetenhauses, die sämtlichen liberalen Abgeordneten aus Rheinland und
Westfalen und den Herrn Schultze-Delitzsch zu. einem großen "provinziellen
^artete'^ nach Köln ein. Das Fest sand am 18. und 19. Juli statt und ge¬
staltete sich zu einer großen Kundgebung gegen die Regierung, die damals noch
den Unfug gestattete.




Der Verfassungsstreit in Preußen
(Line historisch-politische Studie
von R. Paxe (Schluß)

n das Jcihr 186Z fiel eine Reihe von erhebenden Gedenkfeiern
der gewaltigen Ereignisse und der unvergeßlichen Thaten des
Befreiungskrieges. Zum funfzigsten male kehrten die Tage wieder,
an denen Friedrich Wilhelm III. den Aufruf: „An mein Volk"
erlassen hatte, an denen bei Großbeeren, an der Katzbach, bei
^Lennewitz die preußischen Waffen unsterblichen Ruhm errungen hatten. Das
Hetzen und Treiben des Abgeordnetenhauses hatte aber damals, namentlich in
^u sogenannten gebildeten Klassen, allen gesunden patriotischen Sinn soweit
erstickt, daß jener Großthaten der Väter kaum gedacht wurde. Sogar der
18. Oktober, der Gedenktag der Völkerschlacht bei Leipzig, wurde wohl in
den Mittel- und Kleinstaaten fast allgemein, in Preußen aber eigentlich nur
amtlich und von der Armee, von weitern Kreisen des Volkes fast gar nicht
^feiert. Die demokratische Presse war nicht damit zufrieden, daß an den
öffentliche Gebäuden in Berlin nur preußische Fahnen zu sehen waren, was
doch ganz natürlich war, da nur preußische Ruhmesthaten zu feiern waren.
Sie beschwerte sich darüber, daß in vielen Städten das Ausstecken von soge¬
nannten deutschen Fahnen verboten wurde. Unter deutscheu Fahnen verstanden
die „Liberalen" in jener Zeit der politischen Zerfahrenheit und Begriffs¬
verwirrung die schwarz-rot-goldnen Fahnen, obschon diese ganze Farben-
gusanuneustellung eine willkürliche Erfindung einiger schwärmerischen Studenten
w Jena war, denen dabei wahrscheinlich die Abzeichen der Lützowschen Frei-
Ichar vorgeschwebt hatten. Abgesehen von den traurigen Erinnerungen des
Jahres 1343 hatten diese Farben damals nicht den geringsten geschichtlichen
Hintergrund; deutsche Farben oder gar Reichsfarben sind sie niemals gewesen.
Dagegen lud eine Anzahl von Kölner Bürgern die drei Präsidenten des Ab¬
geordnetenhauses, die sämtlichen liberalen Abgeordneten aus Rheinland und
Westfalen und den Herrn Schultze-Delitzsch zu. einem großen „provinziellen
^artete'^ nach Köln ein. Das Fest sand am 18. und 19. Juli statt und ge¬
staltete sich zu einer großen Kundgebung gegen die Regierung, die damals noch
den Unfug gestattete.


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[0551] [Abbildung] Der Verfassungsstreit in Preußen (Line historisch-politische Studie von R. Paxe (Schluß) n das Jcihr 186Z fiel eine Reihe von erhebenden Gedenkfeiern der gewaltigen Ereignisse und der unvergeßlichen Thaten des Befreiungskrieges. Zum funfzigsten male kehrten die Tage wieder, an denen Friedrich Wilhelm III. den Aufruf: „An mein Volk" erlassen hatte, an denen bei Großbeeren, an der Katzbach, bei ^Lennewitz die preußischen Waffen unsterblichen Ruhm errungen hatten. Das Hetzen und Treiben des Abgeordnetenhauses hatte aber damals, namentlich in ^u sogenannten gebildeten Klassen, allen gesunden patriotischen Sinn soweit erstickt, daß jener Großthaten der Väter kaum gedacht wurde. Sogar der 18. Oktober, der Gedenktag der Völkerschlacht bei Leipzig, wurde wohl in den Mittel- und Kleinstaaten fast allgemein, in Preußen aber eigentlich nur amtlich und von der Armee, von weitern Kreisen des Volkes fast gar nicht ^feiert. Die demokratische Presse war nicht damit zufrieden, daß an den öffentliche Gebäuden in Berlin nur preußische Fahnen zu sehen waren, was doch ganz natürlich war, da nur preußische Ruhmesthaten zu feiern waren. Sie beschwerte sich darüber, daß in vielen Städten das Ausstecken von soge¬ nannten deutschen Fahnen verboten wurde. Unter deutscheu Fahnen verstanden die „Liberalen" in jener Zeit der politischen Zerfahrenheit und Begriffs¬ verwirrung die schwarz-rot-goldnen Fahnen, obschon diese ganze Farben- gusanuneustellung eine willkürliche Erfindung einiger schwärmerischen Studenten w Jena war, denen dabei wahrscheinlich die Abzeichen der Lützowschen Frei- Ichar vorgeschwebt hatten. Abgesehen von den traurigen Erinnerungen des Jahres 1343 hatten diese Farben damals nicht den geringsten geschichtlichen Hintergrund; deutsche Farben oder gar Reichsfarben sind sie niemals gewesen. Dagegen lud eine Anzahl von Kölner Bürgern die drei Präsidenten des Ab¬ geordnetenhauses, die sämtlichen liberalen Abgeordneten aus Rheinland und Westfalen und den Herrn Schultze-Delitzsch zu. einem großen „provinziellen ^artete'^ nach Köln ein. Das Fest sand am 18. und 19. Juli statt und ge¬ staltete sich zu einer großen Kundgebung gegen die Regierung, die damals noch den Unfug gestattete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/551>, abgerufen am 21.12.2024.