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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Versassungsstreit in Preußen
Line historisch-politische Studie
von R. Pape (Fortsetzung)

le feierliche Krönung König Wilhelms I., die um 18. Oktober,
ein dem Tage, wo achtundvierzig Jahre zuvor in dem blutigen
Völkerringen bei Leipzig die Entscheidung gefallen war, dem
Tage, wo dreißig Jahre zuvor der einzige Sohn des Königs¬
paares, der nunmehr auch schon verewigte Kaiser Friedrich,
geboren war, zu Königsberg in Preußen vollzogen wurde, bezeichnete
gewissermaßen einen Ruhepunkt in dem politischen Meinungsstreite, der immer
heftiger wurde. Doch dauerte die angenehme Stille nicht lange. Am 6. De¬
zember fanden die Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus statt; die Fortschritts¬
partei errang einen bedeutenden Erfolg, der groß genug war, daß es über¬
flüssig erscheinen konnte, ihn noch in übertriebener Weise aufzubauschen, wie
das von der Parteipresse geschah. Daß die ganzen Anschauungen der Mehr¬
heit des Abgeordnetenhauses auf den Lehren beruhten, die die Demokraten des
Jahres 1848 als alleinseligmachend aufgestellt und verkündigt hatten, daß
überhaupt die ganze Bewegung dieser Zeit an die des Umwälzungsjahres an¬
knüpfte und in ihr wurzelte, trat nach und nach immer deutlicher zu Tage.
Dies wurde bewiesen nicht bloß durch das wühlerische Vorgehen bei den Wahlen,
nicht bloß durch das Auftreten der Negierung gegenüber, sondern namentlich
auch durch den Umstand, daß eine Reihe von Männern wieder auf dem poli¬
tischen Schauplatze erschien, die unter den Volksführcrn jener Zeit eine hervor¬
stechende Rolle gespielt hatten. So war namentlich Waldeck wieder gewählt
worden, der frühere Führer der Linken in der preußischen Nationalversammlung;
es Scharte sich auch sofort eine Partei um ihn, die sich nach seinem Namen
nannte.

Am 14. Januar 1862 eröffnete der König in Person deu Landtag durch
eine Thronrede, die so versöhnlich und entgegenkommend wie nur irgend möglich
gehalten war. Daß die Heeresreorgauisntiou aufrecht erhalten wurde, war
selbstverständlich. Wie der Landtag sich dem gegenüber stellen wollte, bewies


Grenzbvwi IV 18M 57


Der Versassungsstreit in Preußen
Line historisch-politische Studie
von R. Pape (Fortsetzung)

le feierliche Krönung König Wilhelms I., die um 18. Oktober,
ein dem Tage, wo achtundvierzig Jahre zuvor in dem blutigen
Völkerringen bei Leipzig die Entscheidung gefallen war, dem
Tage, wo dreißig Jahre zuvor der einzige Sohn des Königs¬
paares, der nunmehr auch schon verewigte Kaiser Friedrich,
geboren war, zu Königsberg in Preußen vollzogen wurde, bezeichnete
gewissermaßen einen Ruhepunkt in dem politischen Meinungsstreite, der immer
heftiger wurde. Doch dauerte die angenehme Stille nicht lange. Am 6. De¬
zember fanden die Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus statt; die Fortschritts¬
partei errang einen bedeutenden Erfolg, der groß genug war, daß es über¬
flüssig erscheinen konnte, ihn noch in übertriebener Weise aufzubauschen, wie
das von der Parteipresse geschah. Daß die ganzen Anschauungen der Mehr¬
heit des Abgeordnetenhauses auf den Lehren beruhten, die die Demokraten des
Jahres 1848 als alleinseligmachend aufgestellt und verkündigt hatten, daß
überhaupt die ganze Bewegung dieser Zeit an die des Umwälzungsjahres an¬
knüpfte und in ihr wurzelte, trat nach und nach immer deutlicher zu Tage.
Dies wurde bewiesen nicht bloß durch das wühlerische Vorgehen bei den Wahlen,
nicht bloß durch das Auftreten der Negierung gegenüber, sondern namentlich
auch durch den Umstand, daß eine Reihe von Männern wieder auf dem poli¬
tischen Schauplatze erschien, die unter den Volksführcrn jener Zeit eine hervor¬
stechende Rolle gespielt hatten. So war namentlich Waldeck wieder gewählt
worden, der frühere Führer der Linken in der preußischen Nationalversammlung;
es Scharte sich auch sofort eine Partei um ihn, die sich nach seinem Namen
nannte.

Am 14. Januar 1862 eröffnete der König in Person deu Landtag durch
eine Thronrede, die so versöhnlich und entgegenkommend wie nur irgend möglich
gehalten war. Daß die Heeresreorgauisntiou aufrecht erhalten wurde, war
selbstverständlich. Wie der Landtag sich dem gegenüber stellen wollte, bewies


Grenzbvwi IV 18M 57
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[0457] [Abbildung] Der Versassungsstreit in Preußen Line historisch-politische Studie von R. Pape (Fortsetzung) le feierliche Krönung König Wilhelms I., die um 18. Oktober, ein dem Tage, wo achtundvierzig Jahre zuvor in dem blutigen Völkerringen bei Leipzig die Entscheidung gefallen war, dem Tage, wo dreißig Jahre zuvor der einzige Sohn des Königs¬ paares, der nunmehr auch schon verewigte Kaiser Friedrich, geboren war, zu Königsberg in Preußen vollzogen wurde, bezeichnete gewissermaßen einen Ruhepunkt in dem politischen Meinungsstreite, der immer heftiger wurde. Doch dauerte die angenehme Stille nicht lange. Am 6. De¬ zember fanden die Neuwahlen zum Abgeordnetenhaus statt; die Fortschritts¬ partei errang einen bedeutenden Erfolg, der groß genug war, daß es über¬ flüssig erscheinen konnte, ihn noch in übertriebener Weise aufzubauschen, wie das von der Parteipresse geschah. Daß die ganzen Anschauungen der Mehr¬ heit des Abgeordnetenhauses auf den Lehren beruhten, die die Demokraten des Jahres 1848 als alleinseligmachend aufgestellt und verkündigt hatten, daß überhaupt die ganze Bewegung dieser Zeit an die des Umwälzungsjahres an¬ knüpfte und in ihr wurzelte, trat nach und nach immer deutlicher zu Tage. Dies wurde bewiesen nicht bloß durch das wühlerische Vorgehen bei den Wahlen, nicht bloß durch das Auftreten der Negierung gegenüber, sondern namentlich auch durch den Umstand, daß eine Reihe von Männern wieder auf dem poli¬ tischen Schauplatze erschien, die unter den Volksführcrn jener Zeit eine hervor¬ stechende Rolle gespielt hatten. So war namentlich Waldeck wieder gewählt worden, der frühere Führer der Linken in der preußischen Nationalversammlung; es Scharte sich auch sofort eine Partei um ihn, die sich nach seinem Namen nannte. Am 14. Januar 1862 eröffnete der König in Person deu Landtag durch eine Thronrede, die so versöhnlich und entgegenkommend wie nur irgend möglich gehalten war. Daß die Heeresreorgauisntiou aufrecht erhalten wurde, war selbstverständlich. Wie der Landtag sich dem gegenüber stellen wollte, bewies Grenzbvwi IV 18M 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/457>, abgerufen am 23.06.2024.